gehörenden Lehren dar. Hier finden wir das ganz moderne Institut der vertragsmäßigen Erbfolge; ferner das Familien- fideicommiß mit seinen besonderen Successionsordnungen, in welchem die Juristen des 17. Jahrhunderts dem niedern Adel ein Mittel bereiteten, um das Bedürfniß der Familie nach einem sicheren Stammgut zu befriedigen. Auch die wechsel- seitigen Testamente in ihrer heutigen Gestaltung sind ein Pro- duct der Jurisprudenz, und auf gewisse Weise lassen sich auch die Testamentsexecutoren dahin zählen, wenigstens insofern sie unter dem Einfluß der Theorie von ihrer ursprünglichen Grundlage und Bedeutung abgewichen sind.
2. Das Criminalrecht.
In diesem Rechtstheile herrscht das Juristenrecht entschie- den vor. Will man auch darauf kein Gewicht legen, daß Carl V. peinliche Halsgerichtsordnung in manchen Stücken auf der zur Zeit ihrer Abfassung herrschenden communis DD. opinio beruht, und daß sie eigentlich erst durch die späteren Juristen die Auctorität eines unmittelbar geltenden Reichsge- setzes erlangt hat, so hat sie doch auch in anderen Beziehun- gen der Entwicklung eines selbständigen Juristenrechts den weitesten Spielraum gelassen. Das erklärt sich theils aus ihrer geringen Vollständigkeit, theils aber aus dem Bedürfniß, die veralteten, der modernen Rechtsanschauung und Bildung widerstrebenden Satzungen auf eine angemessene Weise umzu- bilden und zu ergänzen, -- eine Aufgabe, welche bei der spä- teren Unthätigkeit der Reichsgesetzgebung, vorzugsweise in die Hände der Juristen kam. Denn wenn man von einigen all- gemeinen Principien und von der Begriffsbestimmung einzelner Verbrechen absieht, -- wie viel bleibt wohl noch von dem
Eilftes Kapitel.
gehoͤrenden Lehren dar. Hier finden wir das ganz moderne Inſtitut der vertragsmaͤßigen Erbfolge; ferner das Familien- fideicommiß mit ſeinen beſonderen Succeſſionsordnungen, in welchem die Juriſten des 17. Jahrhunderts dem niedern Adel ein Mittel bereiteten, um das Beduͤrfniß der Familie nach einem ſicheren Stammgut zu befriedigen. Auch die wechſel- ſeitigen Teſtamente in ihrer heutigen Geſtaltung ſind ein Pro- duct der Jurisprudenz, und auf gewiſſe Weiſe laſſen ſich auch die Teſtamentsexecutoren dahin zaͤhlen, wenigſtens inſofern ſie unter dem Einfluß der Theorie von ihrer urſpruͤnglichen Grundlage und Bedeutung abgewichen ſind.
2. Das Criminalrecht.
In dieſem Rechtstheile herrſcht das Juriſtenrecht entſchie- den vor. Will man auch darauf kein Gewicht legen, daß Carl V. peinliche Halsgerichtsordnung in manchen Stuͤcken auf der zur Zeit ihrer Abfaſſung herrſchenden communis DD. opinio beruht, und daß ſie eigentlich erſt durch die ſpaͤteren Juriſten die Auctoritaͤt eines unmittelbar geltenden Reichsge- ſetzes erlangt hat, ſo hat ſie doch auch in anderen Beziehun- gen der Entwicklung eines ſelbſtaͤndigen Juriſtenrechts den weiteſten Spielraum gelaſſen. Das erklaͤrt ſich theils aus ihrer geringen Vollſtaͤndigkeit, theils aber aus dem Beduͤrfniß, die veralteten, der modernen Rechtsanſchauung und Bildung widerſtrebenden Satzungen auf eine angemeſſene Weiſe umzu- bilden und zu ergaͤnzen, — eine Aufgabe, welche bei der ſpaͤ- teren Unthaͤtigkeit der Reichsgeſetzgebung, vorzugsweiſe in die Haͤnde der Juriſten kam. Denn wenn man von einigen all- gemeinen Principien und von der Begriffsbeſtimmung einzelner Verbrechen abſieht, — wie viel bleibt wohl noch von dem
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Eilftes Kapitel.
gehoͤrenden Lehren dar. Hier finden wir das ganz moderne
Inſtitut der vertragsmaͤßigen Erbfolge; ferner das Familien-
fideicommiß mit ſeinen beſonderen Succeſſionsordnungen, in
welchem die Juriſten des 17. Jahrhunderts dem niedern Adel
ein Mittel bereiteten, um das Beduͤrfniß der Familie nach
einem ſicheren Stammgut zu befriedigen. Auch die wechſel-
ſeitigen Teſtamente in ihrer heutigen Geſtaltung ſind ein Pro-
duct der Jurisprudenz, und auf gewiſſe Weiſe laſſen ſich auch
die Teſtamentsexecutoren dahin zaͤhlen, wenigſtens inſofern ſie
unter dem Einfluß der Theorie von ihrer urſpruͤnglichen
Grundlage und Bedeutung abgewichen ſind.
2. Das Criminalrecht.
In dieſem Rechtstheile herrſcht das Juriſtenrecht entſchie-
den vor. Will man auch darauf kein Gewicht legen, daß
Carl V. peinliche Halsgerichtsordnung in manchen Stuͤcken
auf der zur Zeit ihrer Abfaſſung herrſchenden communis DD.
opinio beruht, und daß ſie eigentlich erſt durch die ſpaͤteren
Juriſten die Auctoritaͤt eines unmittelbar geltenden Reichsge-
ſetzes erlangt hat, ſo hat ſie doch auch in anderen Beziehun-
gen der Entwicklung eines ſelbſtaͤndigen Juriſtenrechts den
weiteſten Spielraum gelaſſen. Das erklaͤrt ſich theils aus
ihrer geringen Vollſtaͤndigkeit, theils aber aus dem Beduͤrfniß,
die veralteten, der modernen Rechtsanſchauung und Bildung
widerſtrebenden Satzungen auf eine angemeſſene Weiſe umzu-
bilden und zu ergaͤnzen, — eine Aufgabe, welche bei der ſpaͤ-
teren Unthaͤtigkeit der Reichsgeſetzgebung, vorzugsweiſe in die
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gemeinen Principien und von der Begriffsbeſtimmung einzelner
Verbrechen abſieht, — wie viel bleibt wohl noch von dem
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Beseler, Georg: Volksrecht und Juristenrecht. Leipzig, 1843, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_volksrecht_1843/348>, abgerufen am 29.11.2023.
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