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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882.

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III.

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Der Geist, befreit von jeglicher Beschwerde, p1b_541.003
Verklärt und göttlich sonder Fehl und Schaden p1b_541.004
Darf er im reinsten Äthermeere baden p1b_541.005
Jn goldner Freiheit, ohne alle Fährde.
p1b_541.006
Er sendet milden Trost herab zur Erde p1b_541.007
Den Lieben, welche trauen Gottes Gnaden, p1b_541.008
Geleitet sie auf ihren Lebenspfaden p1b_541.009
Und spendet Segen am verlaß'nen Herde.
p1b_541.010
Und kehrt der Totesbote einstens wieder p1b_541.011
Und hebt die Sense auf zu neuen Streichen, p1b_541.012
Dann schließen sanft sich unsre Augenlider.
p1b_541.013
Ein solches Scheiden ist mir Glaubenszeichen; p1b_541.014
Schmückt doch die starren, kalten, toten Glieder p1b_541.015
Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen.
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IV.

p1b_541.017
Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen - p1b_541.018
Du holdes Kind, das kaum geblickt in's Leben, p1b_541.019
Die Eltern mußten wieder hin dich geben, p1b_541.020
Ohn' Gnade mußtest du dem Schicksal weichen!
p1b_541.021
Ein selig Lächeln, das der Unschuld Zeichen, p1b_541.022
Jch seh es noch auf deinen Lippen schweben; p1b_541.023
Es überstrahlt den Blumenschmuck daneben, p1b_541.024
So engelsschön, so lieblich, ohne gleichen!
p1b_541.025
Kaum spürtest du den Lenzeshauch der Sonne, p1b_541.026
Das Leben gab dir nur die reinste Wonne, p1b_541.027
Ein hold' Empfangen war's nur, das dir blühte!
p1b_541.028
Ein Liebempfangen elterlicher Güte. - p1b_541.029
Du warst ein Schatz, - Nun liegst du bei den p1b_541.030
Leichen, p1b_541.031
So reich als arm, wie hier sich alle gleichen.
p1b_541.032

V.

p1b_541.033
So reich als arm, - wie hier sich alle gleichen! p1b_541.034
So reich als arm, - was gilt hier Stand und p1b_541.035
Namen? p1b_541.036
So reich als arm, - sie schieden wie sie kamen! p1b_541.037
So reich als arm, - der Tod kennt kein Erweichen. p1b_541.038
p1b_541.039
Hier dieser Mann mit bunten Ordenszeichen, p1b_541.040
Sein Leben war ein Wirrsal mancher Dramen; p1b_541.041
Der Vorhang fiel. Verhüllt sind Bild und p1b_541.042
Rahmen; p1b_541.043
Einst galt er viel, - er zählte zu den Reichen.
p1b_541.044
Jetzt ist es ausgelebt das bunte Leben, p1b_541.045
Und ausgespielt das noch so kühne Streben! p1b_541.046
Wer weiß, ob alles nicht umsonst gewesen,
p1b_541.047
Ob nicht die Thaten mit dem Leib verwesen! p1b_541.048
Man senkt ihn wie den Armen in die Erde, p1b_541.049
Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde.
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VI.

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Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde, p1b_541.103
Liegt neben jenem eine arme Alte; p1b_541.104
Das Antlitz trägt noch manche Sorgenfalte, p1b_541.105
Denn kärglich ging es ihr auf dieser Erde.
p1b_541.106
Doch mit Ergebung trug sie die Beschwerde p1b_541.107
Jm freudgen Gottvertraun, an welchem prallte p1b_541.108
Des Lebens Druck, der ehern=eisig=kalte, p1b_541.109
Und betend schied sie, daß es besser werde.
p1b_541.110
Jetzt ist ihr wohl! Gott nahm sich voll Erbarmen p1b_541.111
Der Armen an; sie sah vom Himmelsthrone p1b_541.112
Den Cherub schweben mit der Siegerkrone.
p1b_541.113
Jetzt ist ihr wohl. Gott tröstet auch die Armen! - p1b_541.114
Doch alle, welche hier der Tod versehrte, p1b_541.115
Gestorben sind sie bis zum neuen "Werde". -
p1b_541.116

VII.

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Gestorben sind sie, bis zum neuen "Werde" p1b_541.118
Sich Alles, was besteht und hat bestanden, p1b_541.119
Verjüngt erhebt und sprengt die alten Banden; p1b_541.120
Gestorben sind sie für die blöde Erde.
p1b_541.121
Sie sind dahin, - denn ach! der Tod verzehrte p1b_541.122
Die Lebenselemente, die vorhanden, p1b_541.123
Und die für uns hienieden trostlos schwanden; p1b_541.124
Jm Tod erstarrt die blühendste Gebärde.
p1b_541.125
Da stehen wir vor festverschloßnen Schranken, p1b_541.126
Nichts blieb uns als der tröstliche Gedanken, p1b_541.127
Daß uns erblüht ein herrlich Wiedersehen.
p1b_541.128
Und dieser Trost, er mag wie Zephyrwehen p1b_541.129
Umgaukeln uns, wenn einst auch wir erbleichen: p1b_541.130
"Ein güt'ger Gott giebt das gehoffte Zeichen."
p1b_541.131

VIII.

p1b_541.132
"Ein güt'ger Gott giebt das gehoffte Zeichen," p1b_541.133
So glauben alle seit der Welt Bestehen; p1b_541.134
Die Hoffnung nur allein ward uns zu Lehen, p1b_541.135
Und rastlos drehen sich des Weltlaufs Speichen.
p1b_541.136
Der Einen Glaub' ist stark wie alte Eichen: p1b_541.137
"Es muß so sein, es kommt ein Auferstehen," p1b_541.138
Und Priester giebt's, die jeden Zweifel schmähen, p1b_541.139
Die vom Geschriebnen keine Hand breit weichen.
p1b_541.140
Doch ist die Schrift denn reinste Offenbarung, p1b_541.141
Und giebt sie keinem Zweifel jemals Nahrung? - p1b_541.142
Wohl las ich sie, - doch fand ich Stoff zum p1b_541.143
Grübeln. p1b_541.144
Das Grübeln aber führt zu schlimmen Übeln; p1b_541.145
Drum kann allein die Hoffnung uns erheben! p1b_541.146
Wir wissen nichts! Was kann uns Bürgschaft p1b_541.147
geben?
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Der Geist, befreit von jeglicher Beschwerde, p1b_541.003
Verklärt und göttlich sonder Fehl und Schaden p1b_541.004
Darf er im reinsten Äthermeere baden p1b_541.005
Jn goldner Freiheit, ohne alle Fährde.
p1b_541.006
Er sendet milden Trost herab zur Erde p1b_541.007
Den Lieben, welche trauen Gottes Gnaden, p1b_541.008
Geleitet sie auf ihren Lebenspfaden p1b_541.009
Und spendet Segen am verlaß'nen Herde.
p1b_541.010
Und kehrt der Totesbote einstens wieder p1b_541.011
Und hebt die Sense auf zu neuen Streichen, p1b_541.012
Dann schließen sanft sich unsre Augenlider.
p1b_541.013
Ein solches Scheiden ist mir Glaubenszeichen; p1b_541.014
Schmückt doch die starren, kalten, toten Glieder p1b_541.015
Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen.
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IV.

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Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen ─ p1b_541.018
Du holdes Kind, das kaum geblickt in's Leben, p1b_541.019
Die Eltern mußten wieder hin dich geben, p1b_541.020
Ohn' Gnade mußtest du dem Schicksal weichen!
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Ein selig Lächeln, das der Unschuld Zeichen, p1b_541.022
Jch seh es noch auf deinen Lippen schweben; p1b_541.023
Es überstrahlt den Blumenschmuck daneben, p1b_541.024
So engelsschön, so lieblich, ohne gleichen!
p1b_541.025
Kaum spürtest du den Lenzeshauch der Sonne, p1b_541.026
Das Leben gab dir nur die reinste Wonne, p1b_541.027
Ein hold' Empfangen war's nur, das dir blühte!
p1b_541.028
Ein Liebempfangen elterlicher Güte. ─ p1b_541.029
Du warst ein Schatz, ─ Nun liegst du bei den p1b_541.030
Leichen, p1b_541.031
So reich als arm, wie hier sich alle gleichen.
p1b_541.032

V.

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So reich als arm, ─ wie hier sich alle gleichen! p1b_541.034
So reich als arm, ─ was gilt hier Stand und p1b_541.035
Namen? p1b_541.036
So reich als arm, ─ sie schieden wie sie kamen! p1b_541.037
So reich als arm, ─ der Tod kennt kein Erweichen. p1b_541.038
p1b_541.039
Hier dieser Mann mit bunten Ordenszeichen, p1b_541.040
Sein Leben war ein Wirrsal mancher Dramen; p1b_541.041
Der Vorhang fiel. Verhüllt sind Bild und p1b_541.042
Rahmen; p1b_541.043
Einst galt er viel, ─ er zählte zu den Reichen.
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Jetzt ist es ausgelebt das bunte Leben, p1b_541.045
Und ausgespielt das noch so kühne Streben! p1b_541.046
Wer weiß, ob alles nicht umsonst gewesen,
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Ob nicht die Thaten mit dem Leib verwesen! p1b_541.048
Man senkt ihn wie den Armen in die Erde, p1b_541.049
Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde.
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VI.

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Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde, p1b_541.103
Liegt neben jenem eine arme Alte; p1b_541.104
Das Antlitz trägt noch manche Sorgenfalte, p1b_541.105
Denn kärglich ging es ihr auf dieser Erde.
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Doch mit Ergebung trug sie die Beschwerde p1b_541.107
Jm freudgen Gottvertraun, an welchem prallte p1b_541.108
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Jetzt ist ihr wohl! Gott nahm sich voll Erbarmen p1b_541.111
Der Armen an; sie sah vom Himmelsthrone p1b_541.112
Den Cherub schweben mit der Siegerkrone.
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Jetzt ist ihr wohl. Gott tröstet auch die Armen! ─ p1b_541.114
Doch alle, welche hier der Tod versehrte, p1b_541.115
Gestorben sind sie bis zum neuen „Werde“. ─
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VII.

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Gestorben sind sie, bis zum neuen „Werde“ p1b_541.118
Sich Alles, was besteht und hat bestanden, p1b_541.119
Verjüngt erhebt und sprengt die alten Banden; p1b_541.120
Gestorben sind sie für die blöde Erde.
p1b_541.121
Sie sind dahin, ─ denn ach! der Tod verzehrte p1b_541.122
Die Lebenselemente, die vorhanden, p1b_541.123
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Jm Tod erstarrt die blühendste Gebärde.
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p1b_541.128
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VIII.

p1b_541.132
„Ein güt'ger Gott giebt das gehoffte Zeichen,“ p1b_541.133
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Und rastlos drehen sich des Weltlaufs Speichen.
p1b_541.136
Der Einen Glaub' ist stark wie alte Eichen: p1b_541.137
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[541/0575] p1b_541.001 III. p1b_541.002 Der Geist, befreit von jeglicher Beschwerde, p1b_541.003 Verklärt und göttlich sonder Fehl und Schaden p1b_541.004 Darf er im reinsten Äthermeere baden p1b_541.005 Jn goldner Freiheit, ohne alle Fährde. p1b_541.006 Er sendet milden Trost herab zur Erde p1b_541.007 Den Lieben, welche trauen Gottes Gnaden, p1b_541.008 Geleitet sie auf ihren Lebenspfaden p1b_541.009 Und spendet Segen am verlaß'nen Herde. p1b_541.010 Und kehrt der Totesbote einstens wieder p1b_541.011 Und hebt die Sense auf zu neuen Streichen, p1b_541.012 Dann schließen sanft sich unsre Augenlider. p1b_541.013 Ein solches Scheiden ist mir Glaubenszeichen; p1b_541.014 Schmückt doch die starren, kalten, toten Glieder p1b_541.015 Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen. p1b_541.016 IV. p1b_541.017 Die Friedensglorje im Gesicht, dem bleichen ─ p1b_541.018 Du holdes Kind, das kaum geblickt in's Leben, p1b_541.019 Die Eltern mußten wieder hin dich geben, p1b_541.020 Ohn' Gnade mußtest du dem Schicksal weichen! p1b_541.021 Ein selig Lächeln, das der Unschuld Zeichen, p1b_541.022 Jch seh es noch auf deinen Lippen schweben; p1b_541.023 Es überstrahlt den Blumenschmuck daneben, p1b_541.024 So engelsschön, so lieblich, ohne gleichen! p1b_541.025 Kaum spürtest du den Lenzeshauch der Sonne, p1b_541.026 Das Leben gab dir nur die reinste Wonne, p1b_541.027 Ein hold' Empfangen war's nur, das dir blühte! p1b_541.028 Ein Liebempfangen elterlicher Güte. ─ p1b_541.029 Du warst ein Schatz, ─ Nun liegst du bei den p1b_541.030 Leichen, p1b_541.031 So reich als arm, wie hier sich alle gleichen. p1b_541.032 V. p1b_541.033 So reich als arm, ─ wie hier sich alle gleichen! p1b_541.034 So reich als arm, ─ was gilt hier Stand und p1b_541.035 Namen? p1b_541.036 So reich als arm, ─ sie schieden wie sie kamen! p1b_541.037 So reich als arm, ─ der Tod kennt kein Erweichen. p1b_541.038 p1b_541.039 Hier dieser Mann mit bunten Ordenszeichen, p1b_541.040 Sein Leben war ein Wirrsal mancher Dramen; p1b_541.041 Der Vorhang fiel. Verhüllt sind Bild und p1b_541.042 Rahmen; p1b_541.043 Einst galt er viel, ─ er zählte zu den Reichen. p1b_541.044 Jetzt ist es ausgelebt das bunte Leben, p1b_541.045 Und ausgespielt das noch so kühne Streben! p1b_541.046 Wer weiß, ob alles nicht umsonst gewesen, p1b_541.047 Ob nicht die Thaten mit dem Leib verwesen! p1b_541.048 Man senkt ihn wie den Armen in die Erde, p1b_541.049 Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde. p1b_541.101 VI. p1b_541.102 Jm Schmuck verschieden, ähnlich in Gebärde, p1b_541.103 Liegt neben jenem eine arme Alte; p1b_541.104 Das Antlitz trägt noch manche Sorgenfalte, p1b_541.105 Denn kärglich ging es ihr auf dieser Erde. p1b_541.106 Doch mit Ergebung trug sie die Beschwerde p1b_541.107 Jm freudgen Gottvertraun, an welchem prallte p1b_541.108 Des Lebens Druck, der ehern=eisig=kalte, p1b_541.109 Und betend schied sie, daß es besser werde. p1b_541.110 Jetzt ist ihr wohl! Gott nahm sich voll Erbarmen p1b_541.111 Der Armen an; sie sah vom Himmelsthrone p1b_541.112 Den Cherub schweben mit der Siegerkrone. p1b_541.113 Jetzt ist ihr wohl. Gott tröstet auch die Armen! ─ p1b_541.114 Doch alle, welche hier der Tod versehrte, p1b_541.115 Gestorben sind sie bis zum neuen „Werde“. ─ p1b_541.116 VII. p1b_541.117 Gestorben sind sie, bis zum neuen „Werde“ p1b_541.118 Sich Alles, was besteht und hat bestanden, p1b_541.119 Verjüngt erhebt und sprengt die alten Banden; p1b_541.120 Gestorben sind sie für die blöde Erde. p1b_541.121 Sie sind dahin, ─ denn ach! der Tod verzehrte p1b_541.122 Die Lebenselemente, die vorhanden, p1b_541.123 Und die für uns hienieden trostlos schwanden; p1b_541.124 Jm Tod erstarrt die blühendste Gebärde. p1b_541.125 Da stehen wir vor festverschloßnen Schranken, p1b_541.126 Nichts blieb uns als der tröstliche Gedanken, p1b_541.127 Daß uns erblüht ein herrlich Wiedersehen. p1b_541.128 Und dieser Trost, er mag wie Zephyrwehen p1b_541.129 Umgaukeln uns, wenn einst auch wir erbleichen: p1b_541.130 „Ein güt'ger Gott giebt das gehoffte Zeichen.“ p1b_541.131 VIII. p1b_541.132 „Ein güt'ger Gott giebt das gehoffte Zeichen,“ p1b_541.133 So glauben alle seit der Welt Bestehen; p1b_541.134 Die Hoffnung nur allein ward uns zu Lehen, p1b_541.135 Und rastlos drehen sich des Weltlaufs Speichen. p1b_541.136 Der Einen Glaub' ist stark wie alte Eichen: p1b_541.137 „Es muß so sein, es kommt ein Auferstehen,“ p1b_541.138 Und Priester giebt's, die jeden Zweifel schmähen, p1b_541.139 Die vom Geschriebnen keine Hand breit weichen. p1b_541.140 Doch ist die Schrift denn reinste Offenbarung, p1b_541.141 Und giebt sie keinem Zweifel jemals Nahrung? ─ p1b_541.142 Wohl las ich sie, ─ doch fand ich Stoff zum p1b_541.143 Grübeln. p1b_541.144 Das Grübeln aber führt zu schlimmen Übeln; p1b_541.145 Drum kann allein die Hoffnung uns erheben! p1b_541.146 Wir wissen nichts! Was kann uns Bürgschaft p1b_541.147 geben?

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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Erster Band. Stuttgart, 1882, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik01_1882/575>, abgerufen am 29.05.2024.