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Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884.

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III. Rhythmus und Reim bei den Strophen,

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IV. Verbindung längerer Strophen und das strophische Charakteristikum,

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V. Einteilung des Gedichtstoffes.

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§ 26. I. Anfänge der Strophenbildung und Entwickelung p3b_073.006
derselben (Philosophie des Strophenbaus).

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1. Der Anfang aller Strophenbildung ist die Zweizeile (Distichon, p3b_073.008
Reimpaar). Diese ist die elementarste Form der Strophe.

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2. Schreibt man die Zeilen des Reimpaars gebrochen, so entstehen p3b_073.010
Vierzeilen.

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3. Fügt man der Zweizeile einen einzeiligen Abgesang an, so p3b_073.012
entsteht die Dreizeile.

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4. Durch Anfügen dieses Abgesangs an die Vierzeile entsteht die p3b_073.014
Fünfzeile, welche zur Sechszeile hindrängt, sofern ihre ersten vier p3b_073.015
Zeilen aus Reimpaaren bestehen. Die 5. Zeile wird nämlich in p3b_073.016
diesem Fall als halbes Reimpaar empfunden, das seine zweite, fehlende p3b_073.017
Hälfte verlangt.

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5. Die Vierzeile mit dreizeiligem Abgesang ergiebt die Siebenzeile.

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6. Durch Brechung der Langzeilen bei der Vierzeile entsteht die p3b_073.020
Achtzeile.

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7. Die Neunzeile baut sich auf aus 2+2+5, oder 3+3+3.

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8. Die Zehnzeile setzt sich zusammen aus 4+4+2, seltener p3b_073.023
(namentlich bei Dilettanten) aus 5+5 u. s. w.

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9. Die Ausdehnung der Strophe geht meistens nur bis zur Oktave p3b_073.025
oder auch noch bis zur Decime. Doch giebt es noch zahlreiche p3b_073.026
Elf=, Zwölf=, Dreizehn- und Vierzehnzeilen. Übervierzehnzeilige Strophen p3b_073.027
gehören zu den Seltenheiten.

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bilden Vordersatz und Nachsatz ein Glied.

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Die Periode:

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"Es zogen zwei Grenadiere nach Frankreich, p3b_073.032
Die in Rußland gefangen waren. p3b_073.033
Als sie ins deutsche Quartier kamen p3b_073.034
Ließen sie die Köpfe hangen -"

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besteht aus 2 Gliedern von je einem Vordersatz und einem diesem entsprechenden p3b_073.036
Nachsatz. Jeder Satz bildet eine Verszeile, so daß die p3b_073.037
ganze Periode eine symmetrische, vierzeilige Strophe ergiebt, welche p3b_073.038
Heine also gestaltet hat:

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III. Rhythmus und Reim bei den Strophen,

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IV. Verbindung längerer Strophen und das strophische Charakteristikum,

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§ 26. I. Anfänge der Strophenbildung und Entwickelung p3b_073.006
derselben (Philosophie des Strophenbaus).

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1. Der Anfang aller Strophenbildung ist die Zweizeile (Distichon, p3b_073.008
Reimpaar). Diese ist die elementarste Form der Strophe.

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2. Schreibt man die Zeilen des Reimpaars gebrochen, so entstehen p3b_073.010
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3. Fügt man der Zweizeile einen einzeiligen Abgesang an, so p3b_073.012
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Fünfzeile, welche zur Sechszeile hindrängt, sofern ihre ersten vier p3b_073.015
Zeilen aus Reimpaaren bestehen. Die 5. Zeile wird nämlich in p3b_073.016
diesem Fall als halbes Reimpaar empfunden, das seine zweite, fehlende p3b_073.017
Hälfte verlangt.

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5. Die Vierzeile mit dreizeiligem Abgesang ergiebt die Siebenzeile.

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6. Durch Brechung der Langzeilen bei der Vierzeile entsteht die p3b_073.020
Achtzeile.

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8. Die Zehnzeile setzt sich zusammen aus 4+4+2, seltener p3b_073.023
(namentlich bei Dilettanten) aus 5+5 u. s. w.

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oder auch noch bis zur Decime. Doch giebt es noch zahlreiche p3b_073.026
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gehören zu den Seltenheiten.

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bilden Vordersatz und Nachsatz ein Glied.

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Die Periode:

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„Es zogen zwei Grenadiere nach Frankreich, p3b_073.032
Die in Rußland gefangen waren. p3b_073.033
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Zitationshilfe: Beyer, Conrad: Deutsche Poetik. Handbuch der deutschen Dichtkunst nach den Anforderungen der Gegenwart. Dritter Band. Stuttgart, 1884, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beyer_poetik03_1884/99>, abgerufen am 07.05.2024.