Ein junger Lyriker und ein noch jüngerer Dramatiker saßen im Cafe Kaiserhof in Berlin und erörterten die Zukunft der deutschen Litteratur. Da ging ein Herr an ihrem Tisch vorüber, und der Lyriker hielt mitten in der Bemerkung, daß erst nach völliger Austilgung der Tagespresse wieder an eine anständige Litteratur zu denken sei, inne, um diesen Herrn, der sehr elegant gekleidet war und ein etwas blasiertes Wesen zur Schau trug, mit tiefer Verbeugung zu begrüßen. Der Herr, an dem eine Fülle schwarzer, weit in die Stirn ge¬ kämmter Haare und ein Klemmer mit sehr breitem schwarzem Bande besonders auffiel, sagte mit einem schiefen Lächeln: Nächste Woche kommen Sie dran! Die freien Rhythmen habe ich schon klein gehackt. Man thut, was man kann.
[Abbildung]
Erſtes Kapitel.
Ein junger Lyriker und ein noch jüngerer Dramatiker ſaßen im Café Kaiſerhof in Berlin und erörterten die Zukunft der deutſchen Litteratur. Da ging ein Herr an ihrem Tiſch vorüber, und der Lyriker hielt mitten in der Bemerkung, daß erſt nach völliger Austilgung der Tagespreſſe wieder an eine anſtändige Litteratur zu denken ſei, inne, um dieſen Herrn, der ſehr elegant gekleidet war und ein etwas blaſiertes Weſen zur Schau trug, mit tiefer Verbeugung zu begrüßen. Der Herr, an dem eine Fülle ſchwarzer, weit in die Stirn ge¬ kämmter Haare und ein Klemmer mit ſehr breitem ſchwarzem Bande beſonders auffiel, ſagte mit einem ſchiefen Lächeln: Nächſte Woche kommen Sie dran! Die freien Rhythmen habe ich ſchon klein gehackt. Man thut, was man kann.
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Erſtes Kapitel.
Ein junger Lyriker und ein noch jüngerer
Dramatiker ſaßen im Café Kaiſerhof in Berlin
und erörterten die Zukunft der deutſchen Litteratur.
Da ging ein Herr an ihrem Tiſch vorüber, und
der Lyriker hielt mitten in der Bemerkung, daß erſt
nach völliger Austilgung der Tagespreſſe wieder
an eine anſtändige Litteratur zu denken ſei, inne,
um dieſen Herrn, der ſehr elegant gekleidet war
und ein etwas blaſiertes Weſen zur Schau trug,
mit tiefer Verbeugung zu begrüßen. Der Herr, an
dem eine Fülle ſchwarzer, weit in die Stirn ge¬
kämmter Haare und ein Klemmer mit ſehr breitem
ſchwarzem Bande beſonders auffiel, ſagte mit einem
ſchiefen Lächeln: Nächſte Woche kommen Sie dran!
Die freien Rhythmen habe ich ſchon klein gehackt.
Man thut, was man kann.
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Bierbaum, Otto Julius: Stilpe. Ein Roman aus der Froschperspektive. Berlin, 1897, S. [301]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bierbaum_stilpe_1897/315>, abgerufen am 30.11.2023.
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