Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sechzehntes Kapitel: Danziger Episode.
ministerium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7.
ging ihm eine ernste Antwort Sr. Majestät auf die Beschwerde¬
schrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen
eines Schrittes, den er um seiner und seiner Kinder Zukunft Willen
geglaubt hätte nicht unterlassen zu können, und stellte die Ent¬
bindung von allen seinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er
die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, seine Be¬
schwerden über den Minister und sein Entlassungsgesuch überging
und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte.

Während ich die Erregung des Königs als berechtigt an¬
erkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr
durch staatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge
gebe. Ich mußte es mir im dynastischen Interesse zur Aufgabe
stellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich
Wilhelm I. und Küstrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geschah
das hauptsächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg
nach dem Neuen Palais, wo Se. Majestät das Lehrbataillon
besichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Dienerschaft auf
dem Bocke französisch geführt. Es gelang mir in der That, die
väterliche Entrüstung durch die Staatsraison zu besänftigen, daß
in dem vorliegenden Kampfe zwischen Königthum und Parlament
ein Zwiespalt innerhalb des Königlichen Hauses abgestumpft,
ignorirt und todtgeschwiegen werden, daß der Vater und König in
höherm Maße dafür Sorge tragen müsse, daß die Interessen beider
nicht geschädigt würden. "Verfahren Sie säuberlich mit dem Knaben
Absalom!" sagte ich in Anspielung darauf, daß schon Geistliche im
Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten;
"vermeiden Ew. Majestät jeden Entschluß ab irato, nur die Staats¬
raison kann maßgebend sein". Einen besondern Eindruck schien
es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwischen
Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohne dem Letztern die Sympathie
der Zeitgenossen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathsam
sei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen.

Sechzehntes Kapitel: Danziger Epiſode.
miniſterium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7.
ging ihm eine ernſte Antwort Sr. Majeſtät auf die Beſchwerde¬
ſchrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen
eines Schrittes, den er um ſeiner und ſeiner Kinder Zukunft Willen
geglaubt hätte nicht unterlaſſen zu können, und ſtellte die Ent¬
bindung von allen ſeinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er
die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, ſeine Be¬
ſchwerden über den Miniſter und ſein Entlaſſungsgeſuch überging
und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte.

Während ich die Erregung des Königs als berechtigt an¬
erkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr
durch ſtaatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge
gebe. Ich mußte es mir im dynaſtiſchen Intereſſe zur Aufgabe
ſtellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich
Wilhelm I. und Küſtrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geſchah
das hauptſächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg
nach dem Neuen Palais, wo Se. Majeſtät das Lehrbataillon
beſichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Dienerſchaft auf
dem Bocke franzöſiſch geführt. Es gelang mir in der That, die
väterliche Entrüſtung durch die Staatsraiſon zu beſänftigen, daß
in dem vorliegenden Kampfe zwiſchen Königthum und Parlament
ein Zwieſpalt innerhalb des Königlichen Hauſes abgeſtumpft,
ignorirt und todtgeſchwiegen werden, daß der Vater und König in
höherm Maße dafür Sorge tragen müſſe, daß die Intereſſen beider
nicht geſchädigt würden. „Verfahren Sie ſäuberlich mit dem Knaben
Abſalom!“ ſagte ich in Anſpielung darauf, daß ſchon Geiſtliche im
Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten;
„vermeiden Ew. Majeſtät jeden Entſchluß ab irato, nur die Staats¬
raiſon kann maßgebend ſein“. Einen beſondern Eindruck ſchien
es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwiſchen
Friedrich Wilhelm I. und ſeinem Sohne dem Letztern die Sympathie
der Zeitgenoſſen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathſam
ſei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0345" n="318"/><fw place="top" type="header">Sechzehntes Kapitel: Danziger Epi&#x017F;ode.<lb/></fw> mini&#x017F;terium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7.<lb/>
ging ihm eine ern&#x017F;te Antwort Sr. Maje&#x017F;tät auf die Be&#x017F;chwerde¬<lb/>
&#x017F;chrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen<lb/>
eines Schrittes, den er um &#x017F;einer und &#x017F;einer Kinder Zukunft Willen<lb/>
geglaubt hätte nicht unterla&#x017F;&#x017F;en zu können, und &#x017F;tellte die Ent¬<lb/>
bindung von allen &#x017F;einen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er<lb/>
die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, &#x017F;eine Be¬<lb/>
&#x017F;chwerden über den Mini&#x017F;ter und &#x017F;ein Entla&#x017F;&#x017F;ungsge&#x017F;uch überging<lb/>
und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte.</p><lb/>
          <p>Während ich die Erregung des Königs als berechtigt an¬<lb/>
erkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr<lb/>
durch &#x017F;taatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge<lb/>
gebe. Ich mußte es mir im dyna&#x017F;ti&#x017F;chen Intere&#x017F;&#x017F;e zur Aufgabe<lb/>
&#x017F;tellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich<lb/>
Wilhelm <hi rendition="#aq">I</hi>. und Kü&#x017F;trin erinnert hätten, abzuhalten. Es ge&#x017F;chah<lb/>
das haupt&#x017F;ächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg<lb/>
nach dem Neuen Palais, wo Se. Maje&#x017F;tät das Lehrbataillon<lb/>
be&#x017F;ichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Diener&#x017F;chaft auf<lb/>
dem Bocke franzö&#x017F;i&#x017F;ch geführt. Es gelang mir in der That, die<lb/>
väterliche Entrü&#x017F;tung durch die Staatsrai&#x017F;on zu be&#x017F;änftigen, daß<lb/>
in dem vorliegenden Kampfe zwi&#x017F;chen Königthum und Parlament<lb/>
ein Zwie&#x017F;palt innerhalb des Königlichen Hau&#x017F;es abge&#x017F;tumpft,<lb/>
ignorirt und todtge&#x017F;chwiegen werden, daß der Vater und König in<lb/>
höherm Maße dafür Sorge tragen mü&#x017F;&#x017F;e, daß die Intere&#x017F;&#x017F;en beider<lb/>
nicht ge&#x017F;chädigt würden. &#x201E;Verfahren Sie &#x017F;äuberlich mit dem Knaben<lb/>
Ab&#x017F;alom!&#x201C; &#x017F;agte ich in An&#x017F;pielung darauf, daß &#x017F;chon Gei&#x017F;tliche im<lb/>
Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten;<lb/>
&#x201E;vermeiden Ew. Maje&#x017F;tät jeden Ent&#x017F;chluß <hi rendition="#aq">ab irato</hi>, nur die Staats¬<lb/>
rai&#x017F;on kann maßgebend &#x017F;ein&#x201C;. Einen be&#x017F;ondern Eindruck &#x017F;chien<lb/>
es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwi&#x017F;chen<lb/>
Friedrich Wilhelm <hi rendition="#aq">I</hi>. und &#x017F;einem Sohne dem Letztern die Sympathie<lb/>
der Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rath&#x017F;am<lb/>
&#x017F;ei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0345] Sechzehntes Kapitel: Danziger Epiſode. miniſterium, die jedoch auf Befehl des Königs unterblieb. Am 7. ging ihm eine ernſte Antwort Sr. Majeſtät auf die Beſchwerde¬ ſchrift vom 4. zu. Er bat darauf den Vater um Verzeihung wegen eines Schrittes, den er um ſeiner und ſeiner Kinder Zukunft Willen geglaubt hätte nicht unterlaſſen zu können, und ſtellte die Ent¬ bindung von allen ſeinen Aemtern anheim. Am 11. erhielt er die Antwort, die ihm die erbetene Verzeihung gewährte, ſeine Be¬ ſchwerden über den Miniſter und ſein Entlaſſungsgeſuch überging und ihm für die Zukunft Schweigen zur Pflicht machte. Während ich die Erregung des Königs als berechtigt an¬ erkennen mußte, bemühte ich mich zu verhindern, daß er ihr durch ſtaatliche oder auch nur öffentlich erkennbare Acte Folge gebe. Ich mußte es mir im dynaſtiſchen Intereſſe zur Aufgabe ſtellen, den König zu beruhigen und von Schritten, die an Friedrich Wilhelm I. und Küſtrin erinnert hätten, abzuhalten. Es geſchah das hauptſächlich am 10. Juni auf einer Fahrt von Babelsberg nach dem Neuen Palais, wo Se. Majeſtät das Lehrbataillon beſichtigte; die Unterhaltung wurde wegen der Dienerſchaft auf dem Bocke franzöſiſch geführt. Es gelang mir in der That, die väterliche Entrüſtung durch die Staatsraiſon zu beſänftigen, daß in dem vorliegenden Kampfe zwiſchen Königthum und Parlament ein Zwieſpalt innerhalb des Königlichen Hauſes abgeſtumpft, ignorirt und todtgeſchwiegen werden, daß der Vater und König in höherm Maße dafür Sorge tragen müſſe, daß die Intereſſen beider nicht geſchädigt würden. „Verfahren Sie ſäuberlich mit dem Knaben Abſalom!“ ſagte ich in Anſpielung darauf, daß ſchon Geiſtliche im Lande über Samuelis Buch 2, Kapitel 15, Vers 3 und 4 predigten; „vermeiden Ew. Majeſtät jeden Entſchluß ab irato, nur die Staats¬ raiſon kann maßgebend ſein“. Einen beſondern Eindruck ſchien es zu machen, als ich daran erinnerte, daß in dem Conflicte zwiſchen Friedrich Wilhelm I. und ſeinem Sohne dem Letztern die Sympathie der Zeitgenoſſen und der Nachwelt gehöre, daß es nicht rathſam ſei, den Kronprinzen zum Märtyrer zu machen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/345
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/345>, abgerufen am 13.05.2024.