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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898.

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Randbemerkungen zur Eingabe des Kronprinzen.
Se. Majestät Sich der Pflicht entziehn, so viel als in menschlichen
Kräften steht, dafür zu thun, daß der Kronprinz die Geschäfte und
Gesetze des Landes kennen lerne? Ist es nicht ein gefährliches Ex¬
periment, den künftigen König den Staatsangelegenheiten fremd
werden zu lassen, während das Wohl von Millionen darauf beruht,
daß Er mit denselben vertraut sei? S. K. H. beweist in dem vor¬
liegenden memoire die Unbekanntschaft mit der Thatsache, daß die
Theilnahme des Kronprinzen an den conseils eine verantwort¬
liche
niemals ist, sondern nur eine informatorische, daß ein votum
von S. K. H. niemals verlangt werden kann. Auf dem Verkennen
dieses Umstandes beruht das ganze raisonnement. Wenn der Kron¬
prinz mit den Staatsangelegenheiten vertrauter wäre, so könnte es
nicht geschehn, daß S. K. H. dem Könige mit Veröffentlichung der
conseil-Verhandlungen drohte, für den Fall, daß der König auf
die Wünsche Sr. K. H. nicht einginge; also mit einer Verletzung
der Gesetze, und obenein der Strafgesetze. Und das wenige Wochen,
nachdem S. K. H. selbst die Veröffentlichung des Briefwechsels mit
Sr. Majestät in sehr strengen Worten gerügt hat.

Seite 11. Der erwähnte Vorwurf ist allerdings für Jeder¬
mann im Volke ein sehr nahe liegender; Niemand klagt S. K. H.
einer solchen Absicht an, aber wohl sagt man, daß Andre, welche
solche Absicht hegen, dieselbe durch die unbewußte Mitwirkung des
Kronprinzen zu verwirklichen hoffen, und daß ruchlose Attentate
jetzt mehr als früher ihren Urhebern die Aussicht auf einen System¬
wechsel gewähren.

Seite 12. Das Verlangen, rechtzeitige Kenntniß von den
Vorlagen der Sitzungen zu haben, ist als ein begründetes jederzeit
erkannt worden, und wird stets erfüllt, ja der Wunsch ist häufig
laut geworden, daß S. K. H. die Hand dazu biete, genauer als
es bisher möglich war, au courant gehalten zu werden. Dazu
muß der Aufenthalt Sr. K. H. jederzeit bekannt und erreichbar,
der Kronprinz für die Minister persönlich zugänglich, und die Dis¬
cretion gesichert sein. Besonders aber ist nöthig, daß die vor¬

Randbemerkungen zur Eingabe des Kronprinzen.
Se. Majeſtät Sich der Pflicht entziehn, ſo viel als in menſchlichen
Kräften ſteht, dafür zu thun, daß der Kronprinz die Geſchäfte und
Geſetze des Landes kennen lerne? Iſt es nicht ein gefährliches Ex¬
periment, den künftigen König den Staatsangelegenheiten fremd
werden zu laſſen, während das Wohl von Millionen darauf beruht,
daß Er mit denſelben vertraut ſei? S. K. H. beweiſt in dem vor¬
liegenden mémoire die Unbekanntſchaft mit der Thatſache, daß die
Theilnahme des Kronprinzen an den conseils eine verantwort¬
liche
niemals iſt, ſondern nur eine informatoriſche, daß ein votum
von S. K. H. niemals verlangt werden kann. Auf dem Verkennen
dieſes Umſtandes beruht das ganze raisonnement. Wenn der Kron¬
prinz mit den Staatsangelegenheiten vertrauter wäre, ſo könnte es
nicht geſchehn, daß S. K. H. dem Könige mit Veröffentlichung der
conseil-Verhandlungen drohte, für den Fall, daß der König auf
die Wünſche Sr. K. H. nicht einginge; alſo mit einer Verletzung
der Geſetze, und obenein der Strafgeſetze. Und das wenige Wochen,
nachdem S. K. H. ſelbſt die Veröffentlichung des Briefwechſels mit
Sr. Majeſtät in ſehr ſtrengen Worten gerügt hat.

Seite 11. Der erwähnte Vorwurf iſt allerdings für Jeder¬
mann im Volke ein ſehr nahe liegender; Niemand klagt S. K. H.
einer ſolchen Abſicht an, aber wohl ſagt man, daß Andre, welche
ſolche Abſicht hegen, dieſelbe durch die unbewußte Mitwirkung des
Kronprinzen zu verwirklichen hoffen, und daß ruchloſe Attentate
jetzt mehr als früher ihren Urhebern die Ausſicht auf einen Syſtem¬
wechſel gewähren.

Seite 12. Das Verlangen, rechtzeitige Kenntniß von den
Vorlagen der Sitzungen zu haben, iſt als ein begründetes jederzeit
erkannt worden, und wird ſtets erfüllt, ja der Wunſch iſt häufig
laut geworden, daß S. K. H. die Hand dazu biete, genauer als
es bisher möglich war, au courant gehalten zu werden. Dazu
muß der Aufenthalt Sr. K. H. jederzeit bekannt und erreichbar,
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cretion geſichert ſein. Beſonders aber iſt nöthig, daß die vor¬

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[329/0356] Randbemerkungen zur Eingabe des Kronprinzen. Se. Majeſtät Sich der Pflicht entziehn, ſo viel als in menſchlichen Kräften ſteht, dafür zu thun, daß der Kronprinz die Geſchäfte und Geſetze des Landes kennen lerne? Iſt es nicht ein gefährliches Ex¬ periment, den künftigen König den Staatsangelegenheiten fremd werden zu laſſen, während das Wohl von Millionen darauf beruht, daß Er mit denſelben vertraut ſei? S. K. H. beweiſt in dem vor¬ liegenden mémoire die Unbekanntſchaft mit der Thatſache, daß die Theilnahme des Kronprinzen an den conseils eine verantwort¬ liche niemals iſt, ſondern nur eine informatoriſche, daß ein votum von S. K. H. niemals verlangt werden kann. Auf dem Verkennen dieſes Umſtandes beruht das ganze raisonnement. Wenn der Kron¬ prinz mit den Staatsangelegenheiten vertrauter wäre, ſo könnte es nicht geſchehn, daß S. K. H. dem Könige mit Veröffentlichung der conseil-Verhandlungen drohte, für den Fall, daß der König auf die Wünſche Sr. K. H. nicht einginge; alſo mit einer Verletzung der Geſetze, und obenein der Strafgeſetze. Und das wenige Wochen, nachdem S. K. H. ſelbſt die Veröffentlichung des Briefwechſels mit Sr. Majeſtät in ſehr ſtrengen Worten gerügt hat. Seite 11. Der erwähnte Vorwurf iſt allerdings für Jeder¬ mann im Volke ein ſehr nahe liegender; Niemand klagt S. K. H. einer ſolchen Abſicht an, aber wohl ſagt man, daß Andre, welche ſolche Abſicht hegen, dieſelbe durch die unbewußte Mitwirkung des Kronprinzen zu verwirklichen hoffen, und daß ruchloſe Attentate jetzt mehr als früher ihren Urhebern die Ausſicht auf einen Syſtem¬ wechſel gewähren. Seite 12. Das Verlangen, rechtzeitige Kenntniß von den Vorlagen der Sitzungen zu haben, iſt als ein begründetes jederzeit erkannt worden, und wird ſtets erfüllt, ja der Wunſch iſt häufig laut geworden, daß S. K. H. die Hand dazu biete, genauer als es bisher möglich war, au courant gehalten zu werden. Dazu muß der Aufenthalt Sr. K. H. jederzeit bekannt und erreichbar, der Kronprinz für die Miniſter perſönlich zugänglich, und die Dis¬ cretion geſichert ſein. Beſonders aber iſt nöthig, daß die vor¬

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/356>, abgerufen am 19.05.2024.