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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Kaiser von Deutschland oder Deutscher Kaiser?
von Brandenburg gegenüber die Stellung des Lehnsherrn hatte,
als König von Preußen die Gleichheit beanspruchte und durchsetzte,
indem man einen Pavillon erbauen ließ, in den die beiden Mon¬
archen von den entgegengesetzten Seiten gleichzeitig eintraten, um
einander in der Mitte zu begegnen.

Die Zustimmung, die der Kronprinz zu meiner Ausführung
zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, so daß er auf
den Tisch schlagend sagte: "Und wenn es so gewesen wäre, so
befehle ich jetzt, wie es sein soll. Die Erzherzoge und Großfürsten
haben stets den Vorrang vor den preußischen Prinzen gehabt, und
so soll es ferner sein." Damit stand er auf, trat an das Fenster, den
um den Tisch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der
Titelfrage kam zu keinem klaren Abschluß; indessen konnte man sich
doch für berechtigt halten, die Ceremonie der Kaiserproclamation anzu¬
beraumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutschen
Kaiser, sondern von dem Kaiser von Deutschland dabei die Rede sei.

Diese Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor
der Feierlichkeit im Spiegelsaale, den Großherzog von Baden auf¬
zusuchen, als den ersten der anwesenden Fürsten, der voraussichtlich
nach Verlesung der Proclamation das Wort nehmen würde, und
ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiser zu bezeichnen denke. Der
Großherzog antwortete: "Als Kaiser von Deutschland, nach Befehl
Sr. Majestät." Unter den Argumenten, die ich dem Großherzoge
dafür geltend machte, daß das abschließende Hoch auf den Kaiser
nicht in dieser Form ausgebracht werden könne, war das durch¬
schlagendste meine Berufung auf die Thatsache, daß der künftige
Text der Reichsverfassung bereits durch einen Beschluß des Reichs¬
tags in Berlin präjudicirt sei. Die in seinen constitutionellen Ge¬
dankenkreis fallende Hinweisung auf den Reichstagsbeschluß bewog
ihn, den König noch einmal aufzusuchen. Die Unterredung der
beiden Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verlesung der
Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus,
daß er ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser, noch auf den

Kaiſer von Deutſchland oder Deutſcher Kaiſer?
von Brandenburg gegenüber die Stellung des Lehnsherrn hatte,
als König von Preußen die Gleichheit beanſpruchte und durchſetzte,
indem man einen Pavillon erbauen ließ, in den die beiden Mon¬
archen von den entgegengeſetzten Seiten gleichzeitig eintraten, um
einander in der Mitte zu begegnen.

Die Zuſtimmung, die der Kronprinz zu meiner Ausführung
zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, ſo daß er auf
den Tiſch ſchlagend ſagte: „Und wenn es ſo geweſen wäre, ſo
befehle ich jetzt, wie es ſein ſoll. Die Erzherzoge und Großfürſten
haben ſtets den Vorrang vor den preußiſchen Prinzen gehabt, und
ſo ſoll es ferner ſein.“ Damit ſtand er auf, trat an das Fenſter, den
um den Tiſch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der
Titelfrage kam zu keinem klaren Abſchluß; indeſſen konnte man ſich
doch für berechtigt halten, die Ceremonie der Kaiſerproclamation anzu¬
beraumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutſchen
Kaiſer, ſondern von dem Kaiſer von Deutſchland dabei die Rede ſei.

Dieſe Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor
der Feierlichkeit im Spiegelſaale, den Großherzog von Baden auf¬
zuſuchen, als den erſten der anweſenden Fürſten, der vorausſichtlich
nach Verleſung der Proclamation das Wort nehmen würde, und
ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiſer zu bezeichnen denke. Der
Großherzog antwortete: „Als Kaiſer von Deutſchland, nach Befehl
Sr. Majeſtät.“ Unter den Argumenten, die ich dem Großherzoge
dafür geltend machte, daß das abſchließende Hoch auf den Kaiſer
nicht in dieſer Form ausgebracht werden könne, war das durch¬
ſchlagendſte meine Berufung auf die Thatſache, daß der künftige
Text der Reichsverfaſſung bereits durch einen Beſchluß des Reichs¬
tags in Berlin präjudicirt ſei. Die in ſeinen conſtitutionellen Ge¬
dankenkreis fallende Hinweiſung auf den Reichstagsbeſchluß bewog
ihn, den König noch einmal aufzuſuchen. Die Unterredung der
beiden Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verleſung der
Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus,
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[121/0145] Kaiſer von Deutſchland oder Deutſcher Kaiſer? von Brandenburg gegenüber die Stellung des Lehnsherrn hatte, als König von Preußen die Gleichheit beanſpruchte und durchſetzte, indem man einen Pavillon erbauen ließ, in den die beiden Mon¬ archen von den entgegengeſetzten Seiten gleichzeitig eintraten, um einander in der Mitte zu begegnen. Die Zuſtimmung, die der Kronprinz zu meiner Ausführung zu erkennen gab, reizte den alten Herrn noch mehr, ſo daß er auf den Tiſch ſchlagend ſagte: „Und wenn es ſo geweſen wäre, ſo befehle ich jetzt, wie es ſein ſoll. Die Erzherzoge und Großfürſten haben ſtets den Vorrang vor den preußiſchen Prinzen gehabt, und ſo ſoll es ferner ſein.“ Damit ſtand er auf, trat an das Fenſter, den um den Tiſch Sitzenden den Rücken zuwendend. Die Erörterung der Titelfrage kam zu keinem klaren Abſchluß; indeſſen konnte man ſich doch für berechtigt halten, die Ceremonie der Kaiſerproclamation anzu¬ beraumen, aber der König hatte befohlen, daß nicht von dem Deutſchen Kaiſer, ſondern von dem Kaiſer von Deutſchland dabei die Rede ſei. Dieſe Sachlage veranlaßte mich, am folgenden Morgen, vor der Feierlichkeit im Spiegelſaale, den Großherzog von Baden auf¬ zuſuchen, als den erſten der anweſenden Fürſten, der vorausſichtlich nach Verleſung der Proclamation das Wort nehmen würde, und ihn zu fragen, wie er den neuen Kaiſer zu bezeichnen denke. Der Großherzog antwortete: „Als Kaiſer von Deutſchland, nach Befehl Sr. Majeſtät.“ Unter den Argumenten, die ich dem Großherzoge dafür geltend machte, daß das abſchließende Hoch auf den Kaiſer nicht in dieſer Form ausgebracht werden könne, war das durch¬ ſchlagendſte meine Berufung auf die Thatſache, daß der künftige Text der Reichsverfaſſung bereits durch einen Beſchluß des Reichs¬ tags in Berlin präjudicirt ſei. Die in ſeinen conſtitutionellen Ge¬ dankenkreis fallende Hinweiſung auf den Reichstagsbeſchluß bewog ihn, den König noch einmal aufzuſuchen. Die Unterredung der beiden Herrn blieb mir unbekannt, und ich war bei Verleſung der Proclamation in Spannung. Der Großherzog wich dadurch aus, daß er ein Hoch weder auf den Deutſchen Kaiſer, noch auf den

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/145>, abgerufen am 29.04.2024.