Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Fünfundzwanzigstes Kapitel: Bruch mit den Conservativen.
Wo sollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern
Minister des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der
Gedanke ist mir unerträglich. Aus den Conservativen? Wen aber?
Die organisatorisch schöpferischen Geister unter ihnen sind unbe¬
kannte Größen, und so sehr ich unsrem bureaukratischen Unwesen
abhold bin, das sehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um
es reformiren zu können."

Einige Tage später, am 25. Februar, schrieb Roon an seinen
ältesten Sohn1):

"... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebsten gar
nichts schreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir gesandten
vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geschrieben, um
ihm mein Bedauern auszusprechen, daß die Dinge so verlaufen
sind u. s. w. Die stenographischen Berichte, welche mir verheißen
sind, können wahrscheinlich an meiner Auffassung der Dinge nichts
ändern: Bismarck kann unmöglich Alles selbst thun. Die noth¬
wendig gewordene Organisation oder Reorganisation der conser¬
vativen Partei ist rite Sache des Ministers des Innern, und weder
Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder sonst Jemand hat dazu
den amtlichen Beruf. Ist der dazu allein Berufene dazu nicht ge¬
neigt oder geeignet, so fehlt ihm etwas Unentbehrliches für sein
Amt, und die daraus sich ergebende Folgerung mag man ziehen und
darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die
Conservativen, durch meine oder Blanckenburgs Abwesenheit an
heilsamer Einwirkung etwa unterblieben ist: daraus kann man auch
für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn
man, wie ich, ganz sicher weiß, wie Ungeheures B. zu leisten hat
und auch leistet, so kann man ihn billigerweise nicht schelten, daß
er nicht auch noch mehr leistet und für seines Collegen Versäum¬
niß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende
Vorwurf würde vielmehr nur darin bestehen, wenn man mit Grund

1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff.

Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen.
Wo ſollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern
Miniſter des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der
Gedanke iſt mir unerträglich. Aus den Conſervativen? Wen aber?
Die organiſatoriſch ſchöpferiſchen Geiſter unter ihnen ſind unbe¬
kannte Größen, und ſo ſehr ich unſrem bureaukratiſchen Unweſen
abhold bin, das ſehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um
es reformiren zu können.“

Einige Tage ſpäter, am 25. Februar, ſchrieb Roon an ſeinen
älteſten Sohn1):

„... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebſten gar
nichts ſchreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir geſandten
vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geſchrieben, um
ihm mein Bedauern auszuſprechen, daß die Dinge ſo verlaufen
ſind u. ſ. w. Die ſtenographiſchen Berichte, welche mir verheißen
ſind, können wahrſcheinlich an meiner Auffaſſung der Dinge nichts
ändern: Bismarck kann unmöglich Alles ſelbſt thun. Die noth¬
wendig gewordene Organiſation oder Reorganiſation der conſer¬
vativen Partei iſt rite Sache des Miniſters des Innern, und weder
Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder ſonſt Jemand hat dazu
den amtlichen Beruf. Iſt der dazu allein Berufene dazu nicht ge¬
neigt oder geeignet, ſo fehlt ihm etwas Unentbehrliches für ſein
Amt, und die daraus ſich ergebende Folgerung mag man ziehen und
darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die
Conſervativen, durch meine oder Blanckenburgs Abweſenheit an
heilſamer Einwirkung etwa unterblieben iſt: daraus kann man auch
für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn
man, wie ich, ganz ſicher weiß, wie Ungeheures B. zu leiſten hat
und auch leiſtet, ſo kann man ihn billigerweiſe nicht ſchelten, daß
er nicht auch noch mehr leiſtet und für ſeines Collegen Verſäum¬
niß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende
Vorwurf würde vielmehr nur darin beſtehen, wenn man mit Grund

1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0170" n="146"/><fw place="top" type="header">Fünfundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Bruch mit den Con&#x017F;ervativen.<lb/></fw> Wo &#x017F;ollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern<lb/>
Mini&#x017F;ter des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der<lb/>
Gedanke i&#x017F;t mir unerträglich. Aus den Con&#x017F;ervativen? Wen aber?<lb/>
Die organi&#x017F;atori&#x017F;ch &#x017F;chöpferi&#x017F;chen Gei&#x017F;ter unter ihnen &#x017F;ind unbe¬<lb/>
kannte Größen, und &#x017F;o &#x017F;ehr ich un&#x017F;rem bureaukrati&#x017F;chen Unwe&#x017F;en<lb/>
abhold bin, das &#x017F;ehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um<lb/>
es reformiren zu können.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Einige Tage &#x017F;päter, am 25. Februar, &#x017F;chrieb Roon an &#x017F;einen<lb/>
älte&#x017F;ten Sohn<note place="foot" n="1)">Denkwürdigkeiten <hi rendition="#aq">III</hi> <hi rendition="#sup">4</hi> 70 ff.</note>:</p><lb/>
          <p>&#x201E;... Ueber Politik und Conflict möchte ich am lieb&#x017F;ten gar<lb/>
nichts &#x017F;chreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir ge&#x017F;andten<lb/>
vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck ge&#x017F;chrieben, um<lb/>
ihm mein Bedauern auszu&#x017F;prechen, daß die Dinge &#x017F;o verlaufen<lb/>
&#x017F;ind u. &#x017F;. w. Die &#x017F;tenographi&#x017F;chen Berichte, welche mir verheißen<lb/>
&#x017F;ind, können wahr&#x017F;cheinlich an meiner Auffa&#x017F;&#x017F;ung der Dinge nichts<lb/>
ändern: Bismarck kann unmöglich Alles &#x017F;elb&#x017F;t thun. Die noth¬<lb/>
wendig gewordene Organi&#x017F;ation oder Reorgani&#x017F;ation der con&#x017F;er¬<lb/>
vativen Partei i&#x017F;t <hi rendition="#aq">rite</hi> Sache des Mini&#x017F;ters des Innern, und weder<lb/>
Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder &#x017F;on&#x017F;t Jemand hat dazu<lb/>
den amtlichen Beruf. I&#x017F;t der dazu allein Berufene dazu nicht ge¬<lb/>
neigt oder geeignet, &#x017F;o fehlt ihm etwas Unentbehrliches für &#x017F;ein<lb/>
Amt, und die daraus &#x017F;ich ergebende Folgerung mag man ziehen und<lb/>
darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die<lb/>
Con&#x017F;ervativen, durch meine oder Blanckenburgs Abwe&#x017F;enheit an<lb/>
heil&#x017F;amer Einwirkung etwa unterblieben i&#x017F;t: daraus kann man auch<lb/>
für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn<lb/>
man, wie ich, ganz &#x017F;icher weiß, wie Ungeheures B. zu lei&#x017F;ten hat<lb/>
und auch lei&#x017F;tet, &#x017F;o kann man ihn billigerwei&#x017F;e nicht &#x017F;chelten, daß<lb/>
er nicht auch noch mehr lei&#x017F;tet und für &#x017F;eines Collegen Ver&#x017F;äum¬<lb/>
niß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende<lb/>
Vorwurf würde vielmehr nur darin be&#x017F;tehen, wenn man mit Grund<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0170] Fünfundzwanzigſtes Kapitel: Bruch mit den Conſervativen. Wo ſollen Sie andre Collegen hernehmen, namentlich einen andern Miniſter des Innern? Aus der Reihe der Nationalliberalen? Der Gedanke iſt mir unerträglich. Aus den Conſervativen? Wen aber? Die organiſatoriſch ſchöpferiſchen Geiſter unter ihnen ſind unbe¬ kannte Größen, und ſo ſehr ich unſrem bureaukratiſchen Unweſen abhold bin, das ſehe ich ein, der Betreffende müßte es kennen, um es reformiren zu können.“ Einige Tage ſpäter, am 25. Februar, ſchrieb Roon an ſeinen älteſten Sohn 1): „... Ueber Politik und Conflict möchte ich am liebſten gar nichts ſchreiben, nachdem ich auf Grund des am 9. mir geſandten vertraulichen Berichtes am 19. an Graf Bismarck geſchrieben, um ihm mein Bedauern auszuſprechen, daß die Dinge ſo verlaufen ſind u. ſ. w. Die ſtenographiſchen Berichte, welche mir verheißen ſind, können wahrſcheinlich an meiner Auffaſſung der Dinge nichts ändern: Bismarck kann unmöglich Alles ſelbſt thun. Die noth¬ wendig gewordene Organiſation oder Reorganiſation der conſer¬ vativen Partei iſt rite Sache des Miniſters des Innern, und weder Bismarck, noch ich, noch Blanckenburg oder ſonſt Jemand hat dazu den amtlichen Beruf. Iſt der dazu allein Berufene dazu nicht ge¬ neigt oder geeignet, ſo fehlt ihm etwas Unentbehrliches für ſein Amt, und die daraus ſich ergebende Folgerung mag man ziehen und darnach verfahren. Was durch Bismarcks Verhalten gegen die Conſervativen, durch meine oder Blanckenburgs Abweſenheit an heilſamer Einwirkung etwa unterblieben iſt: daraus kann man auch für Bismarck kaum einen wohlbegründeten Vorwurf ableiten. Wenn man, wie ich, ganz ſicher weiß, wie Ungeheures B. zu leiſten hat und auch leiſtet, ſo kann man ihn billigerweiſe nicht ſchelten, daß er nicht auch noch mehr leiſtet und für ſeines Collegen Verſäum¬ niß oder Unfähigkeit eintritt. Der allein gegen ihn zu begründende Vorwurf würde vielmehr nur darin beſtehen, wenn man mit Grund 1) Denkwürdigkeiten III 4 70 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/170
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/170>, abgerufen am 05.05.2024.