Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Neunundzwanzigstes Kapitel: Der Dreibund.
Spitze abzubrechen, das wiederholt durch fremde und einheimische
Entstellungen und gelegentlich durch diesseitige militärische Unter¬
strömungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der
Danziger Rhede zum ersten Male als Kaiser sah, und bei allen
spätern Begegnungen auch trotz der über den Berliner Congreß
verbreiteten Lügen und trotz der Kenntniß des östreichischen Ver¬
trags ein Wohlwollen bewiesen, das in Skierniewice und in Berlin
zum authentischen Ausdruck kam und darauf beruhte, daß er mir
glaubte. Selbst die durch ihre unverschämte Dreistigkeit eindrucks¬
volle Intrige mit gefälschten Briefen, die ihm in Kopenhagen zu¬
gesteckt worden waren, wurde durch meine einfache Versicherung sofort
unschädlich gemacht. Ebenso gelang es mir bei der Begegnung im
October 1889, die Zweifel, die er wieder aus Kopenhagen mit¬
gebracht hatte, zu zerstreuen bis auf den einen, ob ich Minister
bleiben würde. Er war wohl besser unterrichtet als ich, als er die
Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen
Kaiser ganz sicher sei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß
ich von dem Vertrauen Kaiser Wilhelms II. zu mir überzeugt sei
und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde ent¬
lassen werden, weil Seine Majestät bei meiner langjährigen Er¬
fahrung im Dienste und bei dem Vertrauen, das ich mir in Deutsch¬
land sowohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in
meiner Person einen schwer zu ersetzenden Diener besäße. Der
Kaiser gab seiner großen Genugthuung über meine Zuversicht Aus¬
druck, wenn er sie auch nicht unbedingt zu theilen schien.

Die internationale Politik ist ein flüssiges Element, das unter
Umständen zeitweilig fest wird, aber bei Veränderungen der Atmo¬
sphäre in seinen ursprünglichen Aggregatzustand zurückfällt. Die
clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, die
Leistungen bedingen, stillschweigend angenommen. Der Dreibund
ist eine strategische Stellung, welche Angesichts der zur Zeit seines
Abschlusses drohenden Gefahren rathsam und unter den obwaltenden
Verhältnissen zu erreichen war. Er ist von Zeit zu Zeit verlängert

Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund.
Spitze abzubrechen, das wiederholt durch fremde und einheimiſche
Entſtellungen und gelegentlich durch diesſeitige militäriſche Unter¬
ſtrömungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der
Danziger Rhede zum erſten Male als Kaiſer ſah, und bei allen
ſpätern Begegnungen auch trotz der über den Berliner Congreß
verbreiteten Lügen und trotz der Kenntniß des öſtreichiſchen Ver¬
trags ein Wohlwollen bewieſen, das in Skierniewice und in Berlin
zum authentiſchen Ausdruck kam und darauf beruhte, daß er mir
glaubte. Selbſt die durch ihre unverſchämte Dreiſtigkeit eindrucks¬
volle Intrige mit gefälſchten Briefen, die ihm in Kopenhagen zu¬
geſteckt worden waren, wurde durch meine einfache Verſicherung ſofort
unſchädlich gemacht. Ebenſo gelang es mir bei der Begegnung im
October 1889, die Zweifel, die er wieder aus Kopenhagen mit¬
gebracht hatte, zu zerſtreuen bis auf den einen, ob ich Miniſter
bleiben würde. Er war wohl beſſer unterrichtet als ich, als er die
Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen
Kaiſer ganz ſicher ſei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß
ich von dem Vertrauen Kaiſer Wilhelms II. zu mir überzeugt ſei
und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde ent¬
laſſen werden, weil Seine Majeſtät bei meiner langjährigen Er¬
fahrung im Dienſte und bei dem Vertrauen, das ich mir in Deutſch¬
land ſowohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in
meiner Perſon einen ſchwer zu erſetzenden Diener beſäße. Der
Kaiſer gab ſeiner großen Genugthuung über meine Zuverſicht Aus¬
druck, wenn er ſie auch nicht unbedingt zu theilen ſchien.

Die internationale Politik iſt ein flüſſiges Element, das unter
Umſtänden zeitweilig feſt wird, aber bei Veränderungen der Atmo¬
ſphäre in ſeinen urſprünglichen Aggregatzuſtand zurückfällt. Die
clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, die
Leiſtungen bedingen, ſtillſchweigend angenommen. Der Dreibund
iſt eine ſtrategiſche Stellung, welche Angeſichts der zur Zeit ſeines
Abſchluſſes drohenden Gefahren rathſam und unter den obwaltenden
Verhältniſſen zu erreichen war. Er iſt von Zeit zu Zeit verlängert

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0282" n="258"/><fw place="top" type="header">Neunundzwanzig&#x017F;tes Kapitel: Der Dreibund.<lb/></fw>Spitze abzubrechen, das wiederholt durch fremde und einheimi&#x017F;che<lb/>
Ent&#x017F;tellungen und gelegentlich durch dies&#x017F;eitige militäri&#x017F;che Unter¬<lb/>
&#x017F;trömungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der<lb/>
Danziger Rhede zum er&#x017F;ten Male als Kai&#x017F;er &#x017F;ah, und bei allen<lb/>
&#x017F;pätern Begegnungen auch trotz der über den Berliner Congreß<lb/>
verbreiteten Lügen und trotz der Kenntniß des ö&#x017F;treichi&#x017F;chen Ver¬<lb/>
trags ein Wohlwollen bewie&#x017F;en, das in Skierniewice und in Berlin<lb/>
zum authenti&#x017F;chen Ausdruck kam und darauf beruhte, daß er mir<lb/>
glaubte. Selb&#x017F;t die durch ihre unver&#x017F;chämte Drei&#x017F;tigkeit eindrucks¬<lb/>
volle Intrige mit gefäl&#x017F;chten Briefen, die ihm in Kopenhagen zu¬<lb/>
ge&#x017F;teckt worden waren, wurde durch meine einfache Ver&#x017F;icherung &#x017F;ofort<lb/>
un&#x017F;chädlich gemacht. Eben&#x017F;o gelang es mir bei der Begegnung im<lb/>
October 1889, die Zweifel, die er wieder aus Kopenhagen mit¬<lb/>
gebracht hatte, zu zer&#x017F;treuen bis auf den einen, ob ich Mini&#x017F;ter<lb/>
bleiben würde. Er war wohl be&#x017F;&#x017F;er unterrichtet als ich, als er die<lb/>
Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen<lb/>
Kai&#x017F;er ganz &#x017F;icher &#x017F;ei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß<lb/>
ich von dem Vertrauen Kai&#x017F;er Wilhelms <hi rendition="#aq">II</hi>. zu mir überzeugt &#x017F;ei<lb/>
und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde ent¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en werden, weil Seine Maje&#x017F;tät bei meiner langjährigen Er¬<lb/>
fahrung im Dien&#x017F;te und bei dem Vertrauen, das ich mir in Deut&#x017F;ch¬<lb/>
land &#x017F;owohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in<lb/>
meiner Per&#x017F;on einen &#x017F;chwer zu er&#x017F;etzenden Diener be&#x017F;äße. Der<lb/>
Kai&#x017F;er gab &#x017F;einer großen Genugthuung über meine Zuver&#x017F;icht Aus¬<lb/>
druck, wenn er &#x017F;ie auch nicht unbedingt zu theilen &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Die internationale Politik i&#x017F;t ein flü&#x017F;&#x017F;iges Element, das unter<lb/>
Um&#x017F;tänden zeitweilig fe&#x017F;t wird, aber bei Veränderungen der Atmo¬<lb/>
&#x017F;phäre in &#x017F;einen ur&#x017F;prünglichen Aggregatzu&#x017F;tand zurückfällt. Die<lb/><hi rendition="#aq">clausula rebus sic stantibus</hi> wird bei Staatsverträgen, die<lb/>
Lei&#x017F;tungen bedingen, &#x017F;till&#x017F;chweigend angenommen. Der Dreibund<lb/>
i&#x017F;t eine &#x017F;trategi&#x017F;che Stellung, welche Ange&#x017F;ichts der zur Zeit &#x017F;eines<lb/>
Ab&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;es drohenden Gefahren rath&#x017F;am und unter den obwaltenden<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;en zu erreichen war. Er i&#x017F;t von Zeit zu Zeit verlängert<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[258/0282] Neunundzwanzigſtes Kapitel: Der Dreibund. Spitze abzubrechen, das wiederholt durch fremde und einheimiſche Entſtellungen und gelegentlich durch diesſeitige militäriſche Unter¬ ſtrömungen in ihm erregt wurde. Er hat mir, als ich ihn auf der Danziger Rhede zum erſten Male als Kaiſer ſah, und bei allen ſpätern Begegnungen auch trotz der über den Berliner Congreß verbreiteten Lügen und trotz der Kenntniß des öſtreichiſchen Ver¬ trags ein Wohlwollen bewieſen, das in Skierniewice und in Berlin zum authentiſchen Ausdruck kam und darauf beruhte, daß er mir glaubte. Selbſt die durch ihre unverſchämte Dreiſtigkeit eindrucks¬ volle Intrige mit gefälſchten Briefen, die ihm in Kopenhagen zu¬ geſteckt worden waren, wurde durch meine einfache Verſicherung ſofort unſchädlich gemacht. Ebenſo gelang es mir bei der Begegnung im October 1889, die Zweifel, die er wieder aus Kopenhagen mit¬ gebracht hatte, zu zerſtreuen bis auf den einen, ob ich Miniſter bleiben würde. Er war wohl beſſer unterrichtet als ich, als er die Frage an mich richtete, ob ich meiner Stellung bei dem jungen Kaiſer ganz ſicher ſei. Ich antwortete, was ich damals dachte, daß ich von dem Vertrauen Kaiſer Wilhelms II. zu mir überzeugt ſei und nicht glaubte, daß ich jemals gegen meinen Willen würde ent¬ laſſen werden, weil Seine Majeſtät bei meiner langjährigen Er¬ fahrung im Dienſte und bei dem Vertrauen, das ich mir in Deutſch¬ land ſowohl wie bei den auswärtigen Höfen erworben hätte, in meiner Perſon einen ſchwer zu erſetzenden Diener beſäße. Der Kaiſer gab ſeiner großen Genugthuung über meine Zuverſicht Aus¬ druck, wenn er ſie auch nicht unbedingt zu theilen ſchien. Die internationale Politik iſt ein flüſſiges Element, das unter Umſtänden zeitweilig feſt wird, aber bei Veränderungen der Atmo¬ ſphäre in ſeinen urſprünglichen Aggregatzuſtand zurückfällt. Die clausula rebus sic stantibus wird bei Staatsverträgen, die Leiſtungen bedingen, ſtillſchweigend angenommen. Der Dreibund iſt eine ſtrategiſche Stellung, welche Angeſichts der zur Zeit ſeines Abſchluſſes drohenden Gefahren rathſam und unter den obwaltenden Verhältniſſen zu erreichen war. Er iſt von Zeit zu Zeit verlängert

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/282
Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/282>, abgerufen am 01.05.2024.