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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Einundzwanzigstes Kapitel: Der Norddeutsche Bund.
wird. Obwohl der König die Frage nicht in demselben Maße wie
ich unter den deutsch-nationalen Gesichtspunkt zog, so unterlag er
doch nicht der Versuchung, der Ueberhebung der östreichischen Politik
und der Landtagsmajorität, der Geringschätzung, die beide der
preußischen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewalt¬
thätiges Ende zu machen. Wenn er auf die russische Zumuthung
einging, so würden wir bei der Schnelligkeit unsrer Mobilisirung,
bei der Stärke der russischen Armee in Polen und bei der damaligen
militärischen Schwäche Oestreichs wahrscheinlich, mit oder ohne den
Beistand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens,
Oestreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirksame Hülfe
leisten konnte. Wenn man sicher gewesen wäre, daß das Ergebniß
dieses Ueberlaufens ein Dreikaiserbündniß unter Schonung Oest¬
reichs gewesen wäre, so wäre meine Beurtheilung der Situation
vielleicht nicht zutreffend zu nennen gewesen. Aber diese Sicherheit
war Angesichts der divergirenden Interessen Rußlands und Oest¬
reichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrscheinlich und
auch der russischen Politik nicht zusagend, daß eine siegreiche preußisch-
russische Coalition Oestreich gegenüber auch nur mit dem Maße
von Schonung verführe, welches von preußischer Seite 1866 im
Interesse der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet
worden ist. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unsres Sieges
über die Zukunft Oestreichs mit Rußland nicht einig sein würden,
und daß Rußland selbst bei weitern Erfolgen gegen Frankreich
nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unter¬
stützungsbedürftigen Stellung an seiner Westgrenze zu erhalten; am
allerwenigsten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale
Politik im Sinne der preußischen Hegemonie zu erwarten gewesen.
Tilsit, Erfurt, Olmütz und andre historische Erinnerungen sagten:
vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der
Gortschakowschen Politik, daß wir auf dieselbe Sicherheit rechnen
könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen,
was aus Polen und Sachsen werden und ob Deutschland gegen

Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund.
wird. Obwohl der König die Frage nicht in demſelben Maße wie
ich unter den deutſch-nationalen Geſichtspunkt zog, ſo unterlag er
doch nicht der Verſuchung, der Ueberhebung der öſtreichiſchen Politik
und der Landtagsmajorität, der Geringſchätzung, die beide der
preußiſchen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewalt¬
thätiges Ende zu machen. Wenn er auf die ruſſiſche Zumuthung
einging, ſo würden wir bei der Schnelligkeit unſrer Mobiliſirung,
bei der Stärke der ruſſiſchen Armee in Polen und bei der damaligen
militäriſchen Schwäche Oeſtreichs wahrſcheinlich, mit oder ohne den
Beiſtand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens,
Oeſtreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirkſame Hülfe
leiſten konnte. Wenn man ſicher geweſen wäre, daß das Ergebniß
dieſes Ueberlaufens ein Dreikaiſerbündniß unter Schonung Oeſt¬
reichs geweſen wäre, ſo wäre meine Beurtheilung der Situation
vielleicht nicht zutreffend zu nennen geweſen. Aber dieſe Sicherheit
war Angeſichts der divergirenden Intereſſen Rußlands und Oeſt¬
reichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrſcheinlich und
auch der ruſſiſchen Politik nicht zuſagend, daß eine ſiegreiche preußiſch-
ruſſiſche Coalition Oeſtreich gegenüber auch nur mit dem Maße
von Schonung verführe, welches von preußiſcher Seite 1866 im
Intereſſe der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet
worden iſt. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unſres Sieges
über die Zukunft Oeſtreichs mit Rußland nicht einig ſein würden,
und daß Rußland ſelbſt bei weitern Erfolgen gegen Frankreich
nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unter¬
ſtützungsbedürftigen Stellung an ſeiner Weſtgrenze zu erhalten; am
allerwenigſten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale
Politik im Sinne der preußiſchen Hegemonie zu erwarten geweſen.
Tilſit, Erfurt, Olmütz und andre hiſtoriſche Erinnerungen ſagten:
vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der
Gortſchakowſchen Politik, daß wir auf dieſelbe Sicherheit rechnen
könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen,
was aus Polen und Sachſen werden und ob Deutſchland gegen

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[66/0090] Einundzwanzigſtes Kapitel: Der Norddeutſche Bund. wird. Obwohl der König die Frage nicht in demſelben Maße wie ich unter den deutſch-nationalen Geſichtspunkt zog, ſo unterlag er doch nicht der Verſuchung, der Ueberhebung der öſtreichiſchen Politik und der Landtagsmajorität, der Geringſchätzung, die beide der preußiſchen Krone bezeigten, im Bunde mit Rußland ein gewalt¬ thätiges Ende zu machen. Wenn er auf die ruſſiſche Zumuthung einging, ſo würden wir bei der Schnelligkeit unſrer Mobiliſirung, bei der Stärke der ruſſiſchen Armee in Polen und bei der damaligen militäriſchen Schwäche Oeſtreichs wahrſcheinlich, mit oder ohne den Beiſtand der damals noch unbefriedigten Begehrlichkeit Italiens, Oeſtreich übergelaufen haben, bevor Frankreich ihm wirkſame Hülfe leiſten konnte. Wenn man ſicher geweſen wäre, daß das Ergebniß dieſes Ueberlaufens ein Dreikaiſerbündniß unter Schonung Oeſt¬ reichs geweſen wäre, ſo wäre meine Beurtheilung der Situation vielleicht nicht zutreffend zu nennen geweſen. Aber dieſe Sicherheit war Angeſichts der divergirenden Intereſſen Rußlands und Oeſt¬ reichs im Orient nicht vorhanden; es war kaum wahrſcheinlich und auch der ruſſiſchen Politik nicht zuſagend, daß eine ſiegreiche preußiſch- ruſſiſche Coalition Oeſtreich gegenüber auch nur mit dem Maße von Schonung verführe, welches von preußiſcher Seite 1866 im Intereſſe der Möglichkeit künftiger Wiederannäherung beobachtet worden iſt. Ich fürchtete deshalb, daß wir im Falle unſres Sieges über die Zukunft Oeſtreichs mit Rußland nicht einig ſein würden, und daß Rußland ſelbſt bei weitern Erfolgen gegen Frankreich nicht darauf werde verzichten wollen, Preußen in einer unter¬ ſtützungsbedürftigen Stellung an ſeiner Weſtgrenze zu erhalten; am allerwenigſten wäre von Rußland eine Hülfe für eine nationale Politik im Sinne der preußiſchen Hegemonie zu erwarten geweſen. Tilſit, Erfurt, Olmütz und andre hiſtoriſche Erinnerungen ſagten: vestigia terrent. Kurz, ich hatte nicht das Vertrauen zu der Gortſchakowſchen Politik, daß wir auf dieſelbe Sicherheit rechnen könnten, welche Alexander I. 1813 gewährte, bis die Zukunftsfragen, was aus Polen und Sachſen werden und ob Deutſchland gegen

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/90>, abgerufen am 30.04.2024.