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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898.

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Der König giebt nach. Die Annexionen: Hanover.
Kluft zwischen den Ost- und den Westprovinzen auszufüllen und
Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des
frühern oder spätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu
schaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurhessen handelte
es sich also um Herstellung einer unter allen Eventualitäten
wirksamen Verbindung zwischen den beiden Theilen der Monarchie.
Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwischen unsern beiden
Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten
das Bedürfniß eines unbeschränkt in einer Hand befindlichen terri¬
torialen Zusammenhanges im Norden von Neuem anschaulich ge¬
macht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen östreichischen
oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten
Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgesetzt werden.
Die Besorgniß, daß die Dinge sich einmal so gestalten könnten,
wurde verschärft durch die überschwängliche Auffassung, die der
König Georg V. von seiner und seiner Dynastie Mission hatte.
Man ist nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen
Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die
Ereignisse in den Stand setzen, letztres zu thun, und der sie
nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf sich, da
die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutschen Nation,
ungetheilt als solche zu leben und zu athmen, nicht nach privat¬
rechtlichen Grundsätzen beurtheilt werden kann. Der König von
Hanover schickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen
Brief an den König, den ich Se. Majestät nicht anzunehmen bat,
weil wir nicht gemüthliche, sondern politische Gesichtspunkte im
Auge zu halten hätten, und weil die Selbständigkeit Hanovers mit
der völkerrechtlichen Befugniß, seine Truppen nach dem jedesmaligen
Ermessen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen
zu können, mit der Durchführung deutscher Einheit unvereinbar war.
Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgschaft einer hin¬
reichenden Hausmacht des leitenden Fürsten hat niemals hingereicht,
der deutschen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu sichern.

Der König giebt nach. Die Annexionen: Hanover.
Kluft zwiſchen den Oſt- und den Weſtprovinzen auszufüllen und
Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des
frühern oder ſpätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu
ſchaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurheſſen handelte
es ſich alſo um Herſtellung einer unter allen Eventualitäten
wirkſamen Verbindung zwiſchen den beiden Theilen der Monarchie.
Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwiſchen unſern beiden
Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten
das Bedürfniß eines unbeſchränkt in einer Hand befindlichen terri¬
torialen Zuſammenhanges im Norden von Neuem anſchaulich ge¬
macht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen öſtreichiſchen
oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten
Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgeſetzt werden.
Die Beſorgniß, daß die Dinge ſich einmal ſo geſtalten könnten,
wurde verſchärft durch die überſchwängliche Auffaſſung, die der
König Georg V. von ſeiner und ſeiner Dynaſtie Miſſion hatte.
Man iſt nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen
Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die
Ereigniſſe in den Stand ſetzen, letztres zu thun, und der ſie
nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf ſich, da
die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutſchen Nation,
ungetheilt als ſolche zu leben und zu athmen, nicht nach privat¬
rechtlichen Grundſätzen beurtheilt werden kann. Der König von
Hanover ſchickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen
Brief an den König, den ich Se. Majeſtät nicht anzunehmen bat,
weil wir nicht gemüthliche, ſondern politiſche Geſichtspunkte im
Auge zu halten hätten, und weil die Selbſtändigkeit Hanovers mit
der völkerrechtlichen Befugniß, ſeine Truppen nach dem jedesmaligen
Ermeſſen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen
zu können, mit der Durchführung deutſcher Einheit unvereinbar war.
Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgſchaft einer hin¬
reichenden Hausmacht des leitenden Fürſten hat niemals hingereicht,
der deutſchen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu ſichern.

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[71/0095] Der König giebt nach. Die Annexionen: Hanover. Kluft zwiſchen den Oſt- und den Weſtprovinzen auszufüllen und Preußen ein haltbar abgerundetes Gebiet auch für den Fall des frühern oder ſpätern Mißlingens der nationalen Neubildung zu ſchaffen. Bei der Annexion von Hanover und Kurheſſen handelte es ſich alſo um Herſtellung einer unter allen Eventualitäten wirkſamen Verbindung zwiſchen den beiden Theilen der Monarchie. Die Schwierigkeiten der Zollverbindung zwiſchen unſern beiden Gebietstheilen und die Haltung Hanovers im letzten Kriege hatten das Bedürfniß eines unbeſchränkt in einer Hand befindlichen terri¬ torialen Zuſammenhanges im Norden von Neuem anſchaulich ge¬ macht. Wir durften der Möglichkeit, bei künftigen öſtreichiſchen oder andern Kriegen ein oder zwei feindliche Corps von guten Truppen im Rücken zu haben, nicht von Neuem ausgeſetzt werden. Die Beſorgniß, daß die Dinge ſich einmal ſo geſtalten könnten, wurde verſchärft durch die überſchwängliche Auffaſſung, die der König Georg V. von ſeiner und ſeiner Dynaſtie Miſſion hatte. Man iſt nicht jeden Tag in der Lage, einer gefährlichen Situation der Art abzuhelfen, und der Staatsmann, den die Ereigniſſe in den Stand ſetzen, letztres zu thun, und der ſie nicht benutzt, nimmt eine große Verantwortlichkeit auf ſich, da die völkerrechtliche Politik und das Recht der deutſchen Nation, ungetheilt als ſolche zu leben und zu athmen, nicht nach privat¬ rechtlichen Grundſätzen beurtheilt werden kann. Der König von Hanover ſchickte durch einen Adjutanten nach Nikolsburg einen Brief an den König, den ich Se. Majeſtät nicht anzunehmen bat, weil wir nicht gemüthliche, ſondern politiſche Geſichtspunkte im Auge zu halten hätten, und weil die Selbſtändigkeit Hanovers mit der völkerrechtlichen Befugniß, ſeine Truppen nach dem jedesmaligen Ermeſſen des Souveräns gegen oder für Preußen in's Feld führen zu können, mit der Durchführung deutſcher Einheit unvereinbar war. Die Haltbarkeit der Verträge allein ohne die Bürgſchaft einer hin¬ reichenden Hausmacht des leitenden Fürſten hat niemals hingereicht, der deutſchen Nation Frieden und Einheit im Reiche zu ſichern.

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Zitationshilfe: Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/95>, abgerufen am 27.04.2024.