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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.

Auf der andern Seite ist der Segen grosz, den Frauen
in stiller, von der Geschichte nur selten berichteter Wirk-
samkeit auch politischen Männern bereitet haben. Wie viele
haben in dem häuslichen Kreise wieder den Frieden gefun-
den, der sie für die Kämpfe und Leiden des bewegten äuszern
Lebens entschädigte und von neuem zu ihrer Pflicht stärkte.
Wie oft haben die Frauen die Rohheit und Wildheit der
Männer ermäszigt und diese vor Ausschweifung bewahrt! wie
oft dieselben durch ihre kluge Vorsicht von Miszgriffen zu-
rückgehalten, oder durch ihr lebhaftes Gefühl für Sitte und
Moral an Fehltritten gehindert, wie oft auch in der Noth ge-
rettet.

Vorzüglich in den Leiden des Gemeinwesens, im Unglück
und bei Gefahren des States zeigt sich der Einflusz der Frauen
besonders wohlthätig. Im Dulden stärker als der Mann hilft
die Frau ihm das unvermeidliche Uebel ertragen, ohne sich
von demselben demüthigen zu lassen; ihr bereiter Opfermuth
regt auch in ihm den Muth auf, dem Vaterlande seine Kräfte
willig zu opfern, und ihre Verehrung der männlichen Tapfer-
keit, die ihr selber versagt ist, treibt den Mann, dieser Ehre
würdig zu handeln und zu wagen.

Es ist daher ein schöner Zug des Statsrechtes besonders
unter den germanischen Völkern, dasz die Frau auch als
Genossin der politischen Ehre und Würde ihres Mannes be-
trachtet wird. Es liegt darin die Anerkennung der wahren
mittelbaren Beziehung des Weibes zu dem Organismus des
States, und ein würdiger Ersatz für die den Frauen versagte
Theilnahme an den eigentlichen politischen Rechten.

Anmerkung. Eine Reihe feiner Beobachtungen hat Riehl in
seiner social-politischen Studie "Die Frauen" (Deutsche Vierteljahrs-
schrift 1852) und später in seinem Buch: "Die Familie" mitgetheilt, und
mit Recht auf die ständischen Unterschiede in dem Geschlechtsverhält-
nisz aufmerksam gemacht. Die Bäuerin ist in Lebensart und Sitte dem
Bauern näher und gleicher, als die gebildete Städterin des höhern Bürger-
standes ihrem Gatten; aber jene ist einem strengeren Hausregiment unter-

Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur.

Auf der andern Seite ist der Segen grosz, den Frauen
in stiller, von der Geschichte nur selten berichteter Wirk-
samkeit auch politischen Männern bereitet haben. Wie viele
haben in dem häuslichen Kreise wieder den Frieden gefun-
den, der sie für die Kämpfe und Leiden des bewegten äuszern
Lebens entschädigte und von neuem zu ihrer Pflicht stärkte.
Wie oft haben die Frauen die Rohheit und Wildheit der
Männer ermäszigt und diese vor Ausschweifung bewahrt! wie
oft dieselben durch ihre kluge Vorsicht von Miszgriffen zu-
rückgehalten, oder durch ihr lebhaftes Gefühl für Sitte und
Moral an Fehltritten gehindert, wie oft auch in der Noth ge-
rettet.

Vorzüglich in den Leiden des Gemeinwesens, im Unglück
und bei Gefahren des States zeigt sich der Einflusz der Frauen
besonders wohlthätig. Im Dulden stärker als der Mann hilft
die Frau ihm das unvermeidliche Uebel ertragen, ohne sich
von demselben demüthigen zu lassen; ihr bereiter Opfermuth
regt auch in ihm den Muth auf, dem Vaterlande seine Kräfte
willig zu opfern, und ihre Verehrung der männlichen Tapfer-
keit, die ihr selber versagt ist, treibt den Mann, dieser Ehre
würdig zu handeln und zu wagen.

Es ist daher ein schöner Zug des Statsrechtes besonders
unter den germanischen Völkern, dasz die Frau auch als
Genossin der politischen Ehre und Würde ihres Mannes be-
trachtet wird. Es liegt darin die Anerkennung der wahren
mittelbaren Beziehung des Weibes zu dem Organismus des
States, und ein würdiger Ersatz für die den Frauen versagte
Theilnahme an den eigentlichen politischen Rechten.

Anmerkung. Eine Reihe feiner Beobachtungen hat Riehl in
seiner social-politischen Studie „Die Frauen“ (Deutsche Vierteljahrs-
schrift 1852) und später in seinem Buch: „Die Familie“ mitgetheilt, und
mit Recht auf die ständischen Unterschiede in dem Geschlechtsverhält-
nisz aufmerksam gemacht. Die Bäuerin ist in Lebensart und Sitte dem
Bauern näher und gleicher, als die gebildete Städterin des höhern Bürger-
standes ihrem Gatten; aber jene ist einem strengeren Hausregiment unter-

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[234/0252] Zweites Buch. Die Grundbedingungen des Stats in d. Menschen- u. Volksnatur. Auf der andern Seite ist der Segen grosz, den Frauen in stiller, von der Geschichte nur selten berichteter Wirk- samkeit auch politischen Männern bereitet haben. Wie viele haben in dem häuslichen Kreise wieder den Frieden gefun- den, der sie für die Kämpfe und Leiden des bewegten äuszern Lebens entschädigte und von neuem zu ihrer Pflicht stärkte. Wie oft haben die Frauen die Rohheit und Wildheit der Männer ermäszigt und diese vor Ausschweifung bewahrt! wie oft dieselben durch ihre kluge Vorsicht von Miszgriffen zu- rückgehalten, oder durch ihr lebhaftes Gefühl für Sitte und Moral an Fehltritten gehindert, wie oft auch in der Noth ge- rettet. Vorzüglich in den Leiden des Gemeinwesens, im Unglück und bei Gefahren des States zeigt sich der Einflusz der Frauen besonders wohlthätig. Im Dulden stärker als der Mann hilft die Frau ihm das unvermeidliche Uebel ertragen, ohne sich von demselben demüthigen zu lassen; ihr bereiter Opfermuth regt auch in ihm den Muth auf, dem Vaterlande seine Kräfte willig zu opfern, und ihre Verehrung der männlichen Tapfer- keit, die ihr selber versagt ist, treibt den Mann, dieser Ehre würdig zu handeln und zu wagen. Es ist daher ein schöner Zug des Statsrechtes besonders unter den germanischen Völkern, dasz die Frau auch als Genossin der politischen Ehre und Würde ihres Mannes be- trachtet wird. Es liegt darin die Anerkennung der wahren mittelbaren Beziehung des Weibes zu dem Organismus des States, und ein würdiger Ersatz für die den Frauen versagte Theilnahme an den eigentlichen politischen Rechten. Anmerkung. Eine Reihe feiner Beobachtungen hat Riehl in seiner social-politischen Studie „Die Frauen“ (Deutsche Vierteljahrs- schrift 1852) und später in seinem Buch: „Die Familie“ mitgetheilt, und mit Recht auf die ständischen Unterschiede in dem Geschlechtsverhält- nisz aufmerksam gemacht. Die Bäuerin ist in Lebensart und Sitte dem Bauern näher und gleicher, als die gebildete Städterin des höhern Bürger- standes ihrem Gatten; aber jene ist einem strengeren Hausregiment unter-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/252>, abgerufen am 27.04.2024.