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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre.
der beiderlei Bevölkerungen zu ordnen, fast ebenso grosz,
wie in dem eroberten Lande. Die Ueberlegenheit eines Cul-
turvolks über die Barbaren führt aber durchweg zur Herr-
schaft jener über diese.



Drittes Capitel.
II. Secundäre Entstehungsformen.

A. Es können zwei oder mehrere Staten, die sich in
ihrer Isolirung zu schwach fühlen, oder um für ihre nationale
Gemeinschaft Einheit zu gewinnen, zu einem neuen gröszeren
Statswesen sich zusammen schlieszen. Wir nennen diese For-
men Bünde. Das neue gröszere Statswesen wird hier nicht
durch den Vertrag der Individuen, sondern durch Vertrag
der verbündeten Staten entweder begründet oder doch vor-
bereitet. Ein neuer Gesammtstat kommt aber erst durch die
neue Bundesverfassung zu Stande.

Von der Art waren schon die alten griechischen Con-
föderationen der böotischen Orte, der verunglückte Versuch
des Epaminondas, die Arkader zu einigen, die Symmachie,
über die Sparta Hegemonie übte, der ätolische und der
achäische Bund. Von der Art in Italien die Bünde der
Samniter, im spätern Mittelalter die Bünde der deutschen
Hansestädte
, der schweizerischen Eidgenossen, der
niederländischen Staten.

Diese Form erzeugt zunächst immer zusammenge-
setzte
, nicht einfache Staten, indem sie die verbündeten
Staten nicht aufhebt, sondern zu einer neuen Statsgenossen-
schaft vereinigt. Indem sie anfänglich auf Statsvertrag be-
ruht, mehr als auf Statsgesetz, so überliefert sie auch den
folgenden Geschlechtern den Gegensatz mehrerer in wesent-
lichen Dingen selbständiger, in andern nicht minder wesent-
lichen aber von der Gesammtheit abhängiger Staten, und mit

Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre.
der beiderlei Bevölkerungen zu ordnen, fast ebenso grosz,
wie in dem eroberten Lande. Die Ueberlegenheit eines Cul-
turvolks über die Barbaren führt aber durchweg zur Herr-
schaft jener über diese.



Drittes Capitel.
II. Secundäre Entstehungsformen.

A. Es können zwei oder mehrere Staten, die sich in
ihrer Isolirung zu schwach fühlen, oder um für ihre nationale
Gemeinschaft Einheit zu gewinnen, zu einem neuen gröszeren
Statswesen sich zusammen schlieszen. Wir nennen diese For-
men Bünde. Das neue gröszere Statswesen wird hier nicht
durch den Vertrag der Individuen, sondern durch Vertrag
der verbündeten Staten entweder begründet oder doch vor-
bereitet. Ein neuer Gesammtstat kommt aber erst durch die
neue Bundesverfassung zu Stande.

Von der Art waren schon die alten griechischen Con-
föderationen der böotischen Orte, der verunglückte Versuch
des Epaminondas, die Arkader zu einigen, die Symmachie,
über die Sparta Hegemonie übte, der ätolische und der
achäische Bund. Von der Art in Italien die Bünde der
Samniter, im spätern Mittelalter die Bünde der deutschen
Hansestädte
, der schweizerischen Eidgenossen, der
niederländischen Staten.

Diese Form erzeugt zunächst immer zusammenge-
setzte
, nicht einfache Staten, indem sie die verbündeten
Staten nicht aufhebt, sondern zu einer neuen Statsgenossen-
schaft vereinigt. Indem sie anfänglich auf Statsvertrag be-
ruht, mehr als auf Statsgesetz, so überliefert sie auch den
folgenden Geschlechtern den Gegensatz mehrerer in wesent-
lichen Dingen selbständiger, in andern nicht minder wesent-
lichen aber von der Gesammtheit abhängiger Staten, und mit

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[307/0325] Drittes Capitel. A. Geschichtliche Entstehungsformen. II. Secundäre. der beiderlei Bevölkerungen zu ordnen, fast ebenso grosz, wie in dem eroberten Lande. Die Ueberlegenheit eines Cul- turvolks über die Barbaren führt aber durchweg zur Herr- schaft jener über diese. Drittes Capitel. II. Secundäre Entstehungsformen. A. Es können zwei oder mehrere Staten, die sich in ihrer Isolirung zu schwach fühlen, oder um für ihre nationale Gemeinschaft Einheit zu gewinnen, zu einem neuen gröszeren Statswesen sich zusammen schlieszen. Wir nennen diese For- men Bünde. Das neue gröszere Statswesen wird hier nicht durch den Vertrag der Individuen, sondern durch Vertrag der verbündeten Staten entweder begründet oder doch vor- bereitet. Ein neuer Gesammtstat kommt aber erst durch die neue Bundesverfassung zu Stande. Von der Art waren schon die alten griechischen Con- föderationen der böotischen Orte, der verunglückte Versuch des Epaminondas, die Arkader zu einigen, die Symmachie, über die Sparta Hegemonie übte, der ätolische und der achäische Bund. Von der Art in Italien die Bünde der Samniter, im spätern Mittelalter die Bünde der deutschen Hansestädte, der schweizerischen Eidgenossen, der niederländischen Staten. Diese Form erzeugt zunächst immer zusammenge- setzte, nicht einfache Staten, indem sie die verbündeten Staten nicht aufhebt, sondern zu einer neuen Statsgenossen- schaft vereinigt. Indem sie anfänglich auf Statsvertrag be- ruht, mehr als auf Statsgesetz, so überliefert sie auch den folgenden Geschlechtern den Gegensatz mehrerer in wesent- lichen Dingen selbständiger, in andern nicht minder wesent- lichen aber von der Gesammtheit abhängiger Staten, und mit

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/325>, abgerufen am 29.04.2024.