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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Zweites Capitel. Der sogenannte gemischte Stat.
dingung seines Lebens, und dieses kann nicht gespalten sein,
wenn der Stat selbst beisammen bleiben soll.

Es gibt somit keine neue Gestaltung von Staten, welche
wir als die gemischten bezeichnen könnten. Vielmehr soweit
die Mischung möglich ist, findet sie hinreichende Berücksich-
tigung bei Behandlung der früher genannten reinen Stats-
formen.

Anmerkung. In unsern Tagen ist viel von "demokratischer
Monarchie
" die Rede gewesen und diese als die Aufgabe der Zeit be-
zeichnet worden. Soll damit der Gedanke ausgedrückt werden, dasz die
heutige Monarchie sich vorzugsweise auf die groszen Volksclassen (den
Demos) stützen und mit diesen in nahem Rapport bleiben müsse, so ist
das wahr, aber es wird damit nicht eine gemischte, sondern eine reine
Monarchie bezeichnet. Versteht man aber darunter eine Monarchie,
durch demokratische Institutionen beschränkt und ermäszigt, oder etwa
wie im Jahr 1830 die Juliverfassung Frankreichs eine Monarchie "von
republikanischen Institutionen umgeben," so hat der Ausdruck noch einen
Sinn, obwohl auch in diesem Falle -- wie die Geschichte lehrt -- die
Gefahr nahe genug liegt, dasz die Principien der beiderlei Institutionen
in Kampf gerathen und die Monarchie durch die aufstrebende Demokratie
oder Republik gestürzt werde. Versteht man endlich unter jenem Aus-
druck eine Mischung oder Theilung der obersten Regierungsgewalt selbst,
die zur Hälfte monarchisch, zur Hälfte demokratisch sein müsse, so hat
der Ausdruck keinen vernünftigen Sinn und könnte ein so eingerichteter
Stat unmöglich bestehen. Die französische Constituante von 1789 hatte
mit Rousseau an eine derartige Theilung der obersten Statsmacht in zwei
gleiche Gewalten geglaubt, deren eine dem Volke, die andere dem
Könige zukomme. Aber der innere Widerspruch und die Unhaltbarkeit
der Verfassung offenbarte sich, sobald sie in die Wirklichkeit übertreten
wollte. Pinheiro-Ferreira (Principes du droit public, §. 475) erklärt die
demokratische Monarchie als diejenige, in welcher es keine Privilegien
gebe, dehnt aber den Begriff der Privilegien auf jede Anerkennung einer
Aristokratie aus, versteht somit unter jener eine Monarchie, in welcher
es nur demokratische, keine aristokratischen Organismen gibt, also in
gewissem Sinne einen unvollständigen Stat, in welchem die aristokrati-
schen Elemente nicht berücksichtigt oder unterdrückt sind. Vgl. unten
Buch VII. Cap. Constit. Monarchie.



Zweites Capitel. Der sogenannte gemischte Stat.
dingung seines Lebens, und dieses kann nicht gespalten sein,
wenn der Stat selbst beisammen bleiben soll.

Es gibt somit keine neue Gestaltung von Staten, welche
wir als die gemischten bezeichnen könnten. Vielmehr soweit
die Mischung möglich ist, findet sie hinreichende Berücksich-
tigung bei Behandlung der früher genannten reinen Stats-
formen.

Anmerkung. In unsern Tagen ist viel von „demokratischer
Monarchie
“ die Rede gewesen und diese als die Aufgabe der Zeit be-
zeichnet worden. Soll damit der Gedanke ausgedrückt werden, dasz die
heutige Monarchie sich vorzugsweise auf die groszen Volksclassen (den
Demos) stützen und mit diesen in nahem Rapport bleiben müsse, so ist
das wahr, aber es wird damit nicht eine gemischte, sondern eine reine
Monarchie bezeichnet. Versteht man aber darunter eine Monarchie,
durch demokratische Institutionen beschränkt und ermäszigt, oder etwa
wie im Jahr 1830 die Juliverfassung Frankreichs eine Monarchie „von
republikanischen Institutionen umgeben,“ so hat der Ausdruck noch einen
Sinn, obwohl auch in diesem Falle — wie die Geschichte lehrt — die
Gefahr nahe genug liegt, dasz die Principien der beiderlei Institutionen
in Kampf gerathen und die Monarchie durch die aufstrebende Demokratie
oder Republik gestürzt werde. Versteht man endlich unter jenem Aus-
druck eine Mischung oder Theilung der obersten Regierungsgewalt selbst,
die zur Hälfte monarchisch, zur Hälfte demokratisch sein müsse, so hat
der Ausdruck keinen vernünftigen Sinn und könnte ein so eingerichteter
Stat unmöglich bestehen. Die französische Constituante von 1789 hatte
mit Rousseau an eine derartige Theilung der obersten Statsmacht in zwei
gleiche Gewalten geglaubt, deren eine dem Volke, die andere dem
Könige zukomme. Aber der innere Widerspruch und die Unhaltbarkeit
der Verfassung offenbarte sich, sobald sie in die Wirklichkeit übertreten
wollte. Pinheiro-Ferreira (Principes du droit public, §. 475) erklärt die
demokratische Monarchie als diejenige, in welcher es keine Privilegien
gebe, dehnt aber den Begriff der Privilegien auf jede Anerkennung einer
Aristokratie aus, versteht somit unter jener eine Monarchie, in welcher
es nur demokratische, keine aristokratischen Organismen gibt, also in
gewissem Sinne einen unvollständigen Stat, in welchem die aristokrati-
schen Elemente nicht berücksichtigt oder unterdrückt sind. Vgl. unten
Buch VII. Cap. Constit. Monarchie.



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[375/0393] Zweites Capitel. Der sogenannte gemischte Stat. dingung seines Lebens, und dieses kann nicht gespalten sein, wenn der Stat selbst beisammen bleiben soll. Es gibt somit keine neue Gestaltung von Staten, welche wir als die gemischten bezeichnen könnten. Vielmehr soweit die Mischung möglich ist, findet sie hinreichende Berücksich- tigung bei Behandlung der früher genannten reinen Stats- formen. Anmerkung. In unsern Tagen ist viel von „demokratischer Monarchie“ die Rede gewesen und diese als die Aufgabe der Zeit be- zeichnet worden. Soll damit der Gedanke ausgedrückt werden, dasz die heutige Monarchie sich vorzugsweise auf die groszen Volksclassen (den Demos) stützen und mit diesen in nahem Rapport bleiben müsse, so ist das wahr, aber es wird damit nicht eine gemischte, sondern eine reine Monarchie bezeichnet. Versteht man aber darunter eine Monarchie, durch demokratische Institutionen beschränkt und ermäszigt, oder etwa wie im Jahr 1830 die Juliverfassung Frankreichs eine Monarchie „von republikanischen Institutionen umgeben,“ so hat der Ausdruck noch einen Sinn, obwohl auch in diesem Falle — wie die Geschichte lehrt — die Gefahr nahe genug liegt, dasz die Principien der beiderlei Institutionen in Kampf gerathen und die Monarchie durch die aufstrebende Demokratie oder Republik gestürzt werde. Versteht man endlich unter jenem Aus- druck eine Mischung oder Theilung der obersten Regierungsgewalt selbst, die zur Hälfte monarchisch, zur Hälfte demokratisch sein müsse, so hat der Ausdruck keinen vernünftigen Sinn und könnte ein so eingerichteter Stat unmöglich bestehen. Die französische Constituante von 1789 hatte mit Rousseau an eine derartige Theilung der obersten Statsmacht in zwei gleiche Gewalten geglaubt, deren eine dem Volke, die andere dem Könige zukomme. Aber der innere Widerspruch und die Unhaltbarkeit der Verfassung offenbarte sich, sobald sie in die Wirklichkeit übertreten wollte. Pinheiro-Ferreira (Principes du droit public, §. 475) erklärt die demokratische Monarchie als diejenige, in welcher es keine Privilegien gebe, dehnt aber den Begriff der Privilegien auf jede Anerkennung einer Aristokratie aus, versteht somit unter jener eine Monarchie, in welcher es nur demokratische, keine aristokratischen Organismen gibt, also in gewissem Sinne einen unvollständigen Stat, in welchem die aristokrati- schen Elemente nicht berücksichtigt oder unterdrückt sind. Vgl. unten Buch VII. Cap. Constit. Monarchie.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/393>, abgerufen am 28.04.2024.