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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
Der König steht somit nicht über, sondern in der Rechtsord-
nung, nicht auszer dem Volke, sondern an der Spitze desselben.
Noch mehr beschränkt durch das Recht des ganzen Volkes
und der übrigen Glieder desselben sind die deutschen Könige. 16

Eine Eigenthümlichkeit des deutschen Königthums aber,
wodurch die geringe Macht desselben in gewissen Kreisen
sehr verstärkt wird, ist die Beziehung desselben zu dem aus-
erwählten und eng verbundenen Gefolge. Durch das kriege-
rische und zu persönlicher Treue und Ergebenheit eidlich
verpflichtete Gefolge erlangen die deutschen Könige eine ihnen
ausschlieszlich dienende Haus- und Kriegsmacht, als deren
freie "Herren" sie gelten, und deren Ehre darauf gerichtet
ist, die Ehre, Autorität und Macht des Königs gegen seine
Feinde und Widersacher zu verfechten. In dieser Eigen-
thümlichkeit liegt der Keim zu der groszen mittelalterlichen
Schöpfung der Lehensverfassung, welche die Nationalverfassung
später vielfach durchbrochen, überwuchert und groszentheils
auch umgestaltet hat.




"Ach würd' ich theilhaft des Looses
Rein zu wahren fromme Scheu bei jedem Wort und jeder Handlung.
Treu den Urgesetzen,
Welche beschwingt hoch in des Aethers
Himmlischem Geiste stammen aus dem Schoosze
Des Vaters Olympos, nicht
Aus sterblicher Männer Kraft
Geboren; nimmer hüllt sie die Zeit, traun, in Vergessenheit;
Es belebt machtvoll sie ein Gott, der nie altert."

Und noch energischer Antigone (v. 451) zum König Kreon:
"Auch nie so mächtig achtet' ich, was Du befahlst,
Um über ungeschriebenes, festes, göttliches
Gesetz hinaus zu schreiten, eine Sterbliche.
Für dieses wollt' ich nicht dereinst, aus banger Scheu
Vor Menschendünken mir der Götter Strafgericht
Zuziehen." Vgl. Oed. Col. v. 1371.
16 Tacitus, Germ. 7: "nec regibus infinita ac libera potestas." c. 11:
"penes plebem arbitrium." Sie "walten" ihrer Völker, sie "herrschen"
nicht. Schmitthenner, Statsr. S. 40.

Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc.
Der König steht somit nicht über, sondern in der Rechtsord-
nung, nicht auszer dem Volke, sondern an der Spitze desselben.
Noch mehr beschränkt durch das Recht des ganzen Volkes
und der übrigen Glieder desselben sind die deutschen Könige. 16

Eine Eigenthümlichkeit des deutschen Königthums aber,
wodurch die geringe Macht desselben in gewissen Kreisen
sehr verstärkt wird, ist die Beziehung desselben zu dem aus-
erwählten und eng verbundenen Gefolge. Durch das kriege-
rische und zu persönlicher Treue und Ergebenheit eidlich
verpflichtete Gefolge erlangen die deutschen Könige eine ihnen
ausschlieszlich dienende Haus- und Kriegsmacht, als deren
freie „Herren“ sie gelten, und deren Ehre darauf gerichtet
ist, die Ehre, Autorität und Macht des Königs gegen seine
Feinde und Widersacher zu verfechten. In dieser Eigen-
thümlichkeit liegt der Keim zu der groszen mittelalterlichen
Schöpfung der Lehensverfassung, welche die Nationalverfassung
später vielfach durchbrochen, überwuchert und groszentheils
auch umgestaltet hat.




„Ach würd' ich theilhaft des Looses
Rein zu wahren fromme Scheu bei jedem Wort und jeder Handlung.
Treu den Urgesetzen,
Welche beschwingt hoch in des Aethers
Himmlischem Geiste stammen aus dem Schoosze
Des Vaters Olympos, nicht
Aus sterblicher Männer Kraft
Geboren; nimmer hüllt sie die Zeit, traun, in Vergessenheit;
Es belebt machtvoll sie ein Gott, der nie altert.“

Und noch energischer Antigone (v. 451) zum König Kreon:
„Auch nie so mächtig achtet' ich, was Du befahlst,
Um über ungeschriebenes, festes, göttliches
Gesetz hinaus zu schreiten, eine Sterbliche.
Für dieses wollt' ich nicht dereinst, aus banger Scheu
Vor Menschendünken mir der Götter Strafgericht
Zuziehen.“ Vgl. Oed. Col. v. 1371.
16 Tacitus, Germ. 7: „nec regibus infinita ac libera potestas.“ c. 11:
„penes plebem arbitrium.“ Sie „walten“ ihrer Völker, sie „herrschen“
nicht. Schmitthenner, Statsr. S. 40.
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[409/0427] Achtes Capitel. II. Monarch. Statsformen. A. Hellenisches etc. Der König steht somit nicht über, sondern in der Rechtsord- nung, nicht auszer dem Volke, sondern an der Spitze desselben. Noch mehr beschränkt durch das Recht des ganzen Volkes und der übrigen Glieder desselben sind die deutschen Könige. 16 Eine Eigenthümlichkeit des deutschen Königthums aber, wodurch die geringe Macht desselben in gewissen Kreisen sehr verstärkt wird, ist die Beziehung desselben zu dem aus- erwählten und eng verbundenen Gefolge. Durch das kriege- rische und zu persönlicher Treue und Ergebenheit eidlich verpflichtete Gefolge erlangen die deutschen Könige eine ihnen ausschlieszlich dienende Haus- und Kriegsmacht, als deren freie „Herren“ sie gelten, und deren Ehre darauf gerichtet ist, die Ehre, Autorität und Macht des Königs gegen seine Feinde und Widersacher zu verfechten. In dieser Eigen- thümlichkeit liegt der Keim zu der groszen mittelalterlichen Schöpfung der Lehensverfassung, welche die Nationalverfassung später vielfach durchbrochen, überwuchert und groszentheils auch umgestaltet hat. 15 16 Tacitus, Germ. 7: „nec regibus infinita ac libera potestas.“ c. 11: „penes plebem arbitrium.“ Sie „walten“ ihrer Völker, sie „herrschen“ nicht. Schmitthenner, Statsr. S. 40. 15 „Ach würd' ich theilhaft des Looses Rein zu wahren fromme Scheu bei jedem Wort und jeder Handlung. Treu den Urgesetzen, Welche beschwingt hoch in des Aethers Himmlischem Geiste stammen aus dem Schoosze Des Vaters Olympos, nicht Aus sterblicher Männer Kraft Geboren; nimmer hüllt sie die Zeit, traun, in Vergessenheit; Es belebt machtvoll sie ein Gott, der nie altert.“ Und noch energischer Antigone (v. 451) zum König Kreon: „Auch nie so mächtig achtet' ich, was Du befahlst, Um über ungeschriebenes, festes, göttliches Gesetz hinaus zu schreiten, eine Sterbliche. Für dieses wollt' ich nicht dereinst, aus banger Scheu Vor Menschendünken mir der Götter Strafgericht Zuziehen.“ Vgl. Oed. Col. v. 1371.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 409. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/427>, abgerufen am 26.04.2024.