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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Achtzehntes Capitel. III. Die Aristokratie. B. Die römische Aristokratie.
dem Verhältnisz der Stände; 2) in der Institution der Volks-
versammlungen; 3) in dem Senate; 4) in den Magistraturen.

1. Verhältnisz der Stände. Schon in der ältesten
Zeit mochte der Umstand der Starrheit sowohl als der
Despotie des Patriciats entgegen wirken, dasz die römischen
Patricier nicht wie die Spartiaten von Einem Volksstamm
ihren Ursprung herleiteten, sondern wie der englische Adel aus
sächsischem und normannischem Geblüte, so von latinischem
und sabinischem, theilweise auch etruskischem Ursprung
waren. Auch später besasz zwar das Patriciat noch lange als
der herrschende Stamm fast alle politische Gewalt im State,
aber theils wurde diese ermäszigt durch die Organisation der
Plebes mit eigenen plebejischen Magistraten, theils wurde das-
selbe genöthigt, der aufstrebenden neuen Aristokratie der
Plebejer einen wachsenden Antheil an der Leitung des States
zu verstatten. Endlich entstand aus der Verbindung und
Mischung der alten und der neuen Aristokratie der keines-
wegs abgeschlossene, aber für den römischen Stat so sehr
bedeutende Stand der Optimaten. 1

Die Tradition der Statsleitung und die Kunde der Stats-
geschäfte war, so lange die römische Republik bestand, vor-
nehmlich in der Aristokratie. Sie zeichnete sich aus durch
Geburt, Erziehung, Reichthum, religiöse und politische Kennt-
nisse, Macht. Aber sie zog fortwährend neue Kräfte aus der
Plebes herbei. Sie stieg empor auf die obersten Höhen des
damaligen Lebens, den Königen gleich, und über diesen, aber
sie blieb zugleich in voller Gemeinschaft mit dem Volke, aus
welchem sie hervorragte.

Auch die politische Erziehung der Römer war sorgfältig;
aber sie war Angelegenheit der Familien, nicht wie in Sparta
des States. Daher denn auch die Mannichfaltigkeit und die
erbliche Entschiedenheit der politischen Richtungen, während

1 Vgl. oben Buch II. Cap. 10. S. 141.

Achtzehntes Capitel. III. Die Aristokratie. B. Die römische Aristokratie.
dem Verhältnisz der Stände; 2) in der Institution der Volks-
versammlungen; 3) in dem Senate; 4) in den Magistraturen.

1. Verhältnisz der Stände. Schon in der ältesten
Zeit mochte der Umstand der Starrheit sowohl als der
Despotie des Patriciats entgegen wirken, dasz die römischen
Patricier nicht wie die Spartiaten von Einem Volksstamm
ihren Ursprung herleiteten, sondern wie der englische Adel aus
sächsischem und normannischem Geblüte, so von latinischem
und sabinischem, theilweise auch etruskischem Ursprung
waren. Auch später besasz zwar das Patriciat noch lange als
der herrschende Stamm fast alle politische Gewalt im State,
aber theils wurde diese ermäszigt durch die Organisation der
Plebes mit eigenen plebejischen Magistraten, theils wurde das-
selbe genöthigt, der aufstrebenden neuen Aristokratie der
Plebejer einen wachsenden Antheil an der Leitung des States
zu verstatten. Endlich entstand aus der Verbindung und
Mischung der alten und der neuen Aristokratie der keines-
wegs abgeschlossene, aber für den römischen Stat so sehr
bedeutende Stand der Optimaten. 1

Die Tradition der Statsleitung und die Kunde der Stats-
geschäfte war, so lange die römische Republik bestand, vor-
nehmlich in der Aristokratie. Sie zeichnete sich aus durch
Geburt, Erziehung, Reichthum, religiöse und politische Kennt-
nisse, Macht. Aber sie zog fortwährend neue Kräfte aus der
Plebes herbei. Sie stieg empor auf die obersten Höhen des
damaligen Lebens, den Königen gleich, und über diesen, aber
sie blieb zugleich in voller Gemeinschaft mit dem Volke, aus
welchem sie hervorragte.

Auch die politische Erziehung der Römer war sorgfältig;
aber sie war Angelegenheit der Familien, nicht wie in Sparta
des States. Daher denn auch die Mannichfaltigkeit und die
erbliche Entschiedenheit der politischen Richtungen, während

1 Vgl. oben Buch II. Cap. 10. S. 141.
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[509/0527] Achtzehntes Capitel. III. Die Aristokratie. B. Die römische Aristokratie. dem Verhältnisz der Stände; 2) in der Institution der Volks- versammlungen; 3) in dem Senate; 4) in den Magistraturen. 1. Verhältnisz der Stände. Schon in der ältesten Zeit mochte der Umstand der Starrheit sowohl als der Despotie des Patriciats entgegen wirken, dasz die römischen Patricier nicht wie die Spartiaten von Einem Volksstamm ihren Ursprung herleiteten, sondern wie der englische Adel aus sächsischem und normannischem Geblüte, so von latinischem und sabinischem, theilweise auch etruskischem Ursprung waren. Auch später besasz zwar das Patriciat noch lange als der herrschende Stamm fast alle politische Gewalt im State, aber theils wurde diese ermäszigt durch die Organisation der Plebes mit eigenen plebejischen Magistraten, theils wurde das- selbe genöthigt, der aufstrebenden neuen Aristokratie der Plebejer einen wachsenden Antheil an der Leitung des States zu verstatten. Endlich entstand aus der Verbindung und Mischung der alten und der neuen Aristokratie der keines- wegs abgeschlossene, aber für den römischen Stat so sehr bedeutende Stand der Optimaten. 1 Die Tradition der Statsleitung und die Kunde der Stats- geschäfte war, so lange die römische Republik bestand, vor- nehmlich in der Aristokratie. Sie zeichnete sich aus durch Geburt, Erziehung, Reichthum, religiöse und politische Kennt- nisse, Macht. Aber sie zog fortwährend neue Kräfte aus der Plebes herbei. Sie stieg empor auf die obersten Höhen des damaligen Lebens, den Königen gleich, und über diesen, aber sie blieb zugleich in voller Gemeinschaft mit dem Volke, aus welchem sie hervorragte. Auch die politische Erziehung der Römer war sorgfältig; aber sie war Angelegenheit der Familien, nicht wie in Sparta des States. Daher denn auch die Mannichfaltigkeit und die erbliche Entschiedenheit der politischen Richtungen, während 1 Vgl. oben Buch II. Cap. 10. S. 141.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 509. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/527>, abgerufen am 29.04.2024.