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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
Kaufleute, Gelehrte u. s. f. ihre Hauptthätigkeit zuwenden,
und von ihrem Privatberufe oder ihrem Privatvermögen auch
ihren Lebensunterhalt erhalten.

Die Berufsämter sind geradezu unentbehrlich, wo die
öffentlichen Functionen technische Kenntnisse voraussetzen
und die stätige Thätigkeit des Beamten verlangen. Ehren-
ämter sind vorzüglich anwendbar, wo es sich nur um vorüber-
gehende Leistungen handelt, wie z. B. in dem Geschwornen-
und Schöffendienst, oder bei der Theilnahme an repräsen-
tativen Versammlungen. Die Ehrenämter können nur den
reichen oder doch wohlhabenden Classen der Gesellschaft auf-
erlegt werden; den groszen Volksclassen fehlt es an der Bil-
dung oder an der Musze dazu, oder an beidem. Von den
Candidaten für die Berufsämter kann verlangt werden, dasz
sie zu dem Berufe eines Statsdieners erzogen und vorgebildet
werden.

Für den modernen Stat sind die Berufsämter wichtiger
als die Ehrenämter. In manchen Fällen lassen sich aber die
Vorzüge beider Arten verbinden und die beiderseitigen Mängel
ergänzen. Die neuere Entwicklung sowohl der Repräsentativ-
verfassung als der Selbstverwaltung ist einer solchen Ver-
bindung
eines leitenden Berufsbeamten und mit-
wirkender repräsentativer Ehrenämter
günstig. Von
der Art sind z. B. die Verbindung des Landrathes mit den
Mitgliedern des Kreisausschusses in Preuszen, der Bezirks-
ämter mit den Bezirksräthen in Baden, der Berufsrichter mit
Geschwornen und Schöffen.

3. Während in manchen statlichen Fortschritten oft Eng-
land, theilweise auch Frankreich vorausgegangen sind, so sind
in der zweckmäszigen Osganisation der Berufsbeamtung
die deutschen Staten den übrigen Völkern vorhergegangen.
Das deutsche System gewährt die stärksten Bürgschaften für
einen fähigen und pflichttreuen Beamtenstand. Die
Grundzüge des deutschen Systemes sind:


Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter.
Kaufleute, Gelehrte u. s. f. ihre Hauptthätigkeit zuwenden,
und von ihrem Privatberufe oder ihrem Privatvermögen auch
ihren Lebensunterhalt erhalten.

Die Berufsämter sind geradezu unentbehrlich, wo die
öffentlichen Functionen technische Kenntnisse voraussetzen
und die stätige Thätigkeit des Beamten verlangen. Ehren-
ämter sind vorzüglich anwendbar, wo es sich nur um vorüber-
gehende Leistungen handelt, wie z. B. in dem Geschwornen-
und Schöffendienst, oder bei der Theilnahme an repräsen-
tativen Versammlungen. Die Ehrenämter können nur den
reichen oder doch wohlhabenden Classen der Gesellschaft auf-
erlegt werden; den groszen Volksclassen fehlt es an der Bil-
dung oder an der Musze dazu, oder an beidem. Von den
Candidaten für die Berufsämter kann verlangt werden, dasz
sie zu dem Berufe eines Statsdieners erzogen und vorgebildet
werden.

Für den modernen Stat sind die Berufsämter wichtiger
als die Ehrenämter. In manchen Fällen lassen sich aber die
Vorzüge beider Arten verbinden und die beiderseitigen Mängel
ergänzen. Die neuere Entwicklung sowohl der Repräsentativ-
verfassung als der Selbstverwaltung ist einer solchen Ver-
bindung
eines leitenden Berufsbeamten und mit-
wirkender repräsentativer Ehrenämter
günstig. Von
der Art sind z. B. die Verbindung des Landrathes mit den
Mitgliedern des Kreisausschusses in Preuszen, der Bezirks-
ämter mit den Bezirksräthen in Baden, der Berufsrichter mit
Geschwornen und Schöffen.

3. Während in manchen statlichen Fortschritten oft Eng-
land, theilweise auch Frankreich vorausgegangen sind, so sind
in der zweckmäszigen Osganisation der Berufsbeamtung
die deutschen Staten den übrigen Völkern vorhergegangen.
Das deutsche System gewährt die stärksten Bürgschaften für
einen fähigen und pflichttreuen Beamtenstand. Die
Grundzüge des deutschen Systemes sind:


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[607/0625] Neuntes Capitel. Besetzung der Statsämter. Kaufleute, Gelehrte u. s. f. ihre Hauptthätigkeit zuwenden, und von ihrem Privatberufe oder ihrem Privatvermögen auch ihren Lebensunterhalt erhalten. Die Berufsämter sind geradezu unentbehrlich, wo die öffentlichen Functionen technische Kenntnisse voraussetzen und die stätige Thätigkeit des Beamten verlangen. Ehren- ämter sind vorzüglich anwendbar, wo es sich nur um vorüber- gehende Leistungen handelt, wie z. B. in dem Geschwornen- und Schöffendienst, oder bei der Theilnahme an repräsen- tativen Versammlungen. Die Ehrenämter können nur den reichen oder doch wohlhabenden Classen der Gesellschaft auf- erlegt werden; den groszen Volksclassen fehlt es an der Bil- dung oder an der Musze dazu, oder an beidem. Von den Candidaten für die Berufsämter kann verlangt werden, dasz sie zu dem Berufe eines Statsdieners erzogen und vorgebildet werden. Für den modernen Stat sind die Berufsämter wichtiger als die Ehrenämter. In manchen Fällen lassen sich aber die Vorzüge beider Arten verbinden und die beiderseitigen Mängel ergänzen. Die neuere Entwicklung sowohl der Repräsentativ- verfassung als der Selbstverwaltung ist einer solchen Ver- bindung eines leitenden Berufsbeamten und mit- wirkender repräsentativer Ehrenämter günstig. Von der Art sind z. B. die Verbindung des Landrathes mit den Mitgliedern des Kreisausschusses in Preuszen, der Bezirks- ämter mit den Bezirksräthen in Baden, der Berufsrichter mit Geschwornen und Schöffen. 3. Während in manchen statlichen Fortschritten oft Eng- land, theilweise auch Frankreich vorausgegangen sind, so sind in der zweckmäszigen Osganisation der Berufsbeamtung die deutschen Staten den übrigen Völkern vorhergegangen. Das deutsche System gewährt die stärksten Bürgschaften für einen fähigen und pflichttreuen Beamtenstand. Die Grundzüge des deutschen Systemes sind:

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 607. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/625>, abgerufen am 30.04.2024.