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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
ist als Regel anzuerkennen, nicht weil der Statsdienst auf
Vertrag zu gründen ist, sondern weil die Natur eines indivi-
duellen geistigen Dienstes einem directen Zwange nicht ge-
horcht, einer mittelbaren Nöthigung aber nur schwer und
unvollständig sich fügt, vielmehr individuelle Freiheit als nor-
male Quelle tüchtiger Wirksamkeit fordert, und weil kein
Statsbürger als solcher genöthigt werden kann, dem State
besondere ausgezeichnete Opfer zu bringen. Diese Regel wird
denn auch in den neuern Staten fast überall anerkannt, in
Republiken nicht minder als in Monarchien. 3

Ausnahmen kommen gewöhnlich nur da vor, wo das Stats-
amt sich dem Gemeindeamt annähert oder mit diesem zu-
sammentrifft. Die geringeren Ansprüche, welche hier an das
Individuum gestellt werden, und das verbreitete Bedürfnisz
solcher Stellen haben den Gedanken an eine allgemeine
Bürgerpflicht
in solchen Fällen annehmbar erscheinen
lassen. 4

9. Die Frage, wann die Anstellung beginnt, ist zwar
schon mehrfach bestritten worden. Erinnert man sich aber
daran, dasz dieselbe ihrem Wesen nach ein einseitiger Act
der Statsgewalt ist, welche ein Individuum mit dem Amte
betraut, so wird man unbedenklich antworten: Der Moment,
in welchem dieser Willensact als vollendet offenbar wird, d. h.
die zu Protokoll genommene und unterzeichnete Er-
nennung
oder Wahl ist als Anfang der Amtsdauer zu be-
trachten, und von da an hat der Beamte nicht allein auf seine
privatrechtliche Besoldung, sondern auch auf die Uebertragung
der mit seinem Amte verbundenen statsrechtlichen Befugnisse,
wo es jener überhaupt noch bedarf, ein Recht. Die Mittheilung

3 Auch in der Schweiz und in Nordamerika gilt die Regel. Für
dieses vergl. Story III. 37. §. 120. Für Deutschland Zachariä D. St.
§. 136.
4 So wo eine Stadt zum State geworden, wie die freien Reichsstädte,
oder wo, wie im Kanton Appenzell, das Statswesen so einfach wie eine
Gemeinde geartet ist.

Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc.
ist als Regel anzuerkennen, nicht weil der Statsdienst auf
Vertrag zu gründen ist, sondern weil die Natur eines indivi-
duellen geistigen Dienstes einem directen Zwange nicht ge-
horcht, einer mittelbaren Nöthigung aber nur schwer und
unvollständig sich fügt, vielmehr individuelle Freiheit als nor-
male Quelle tüchtiger Wirksamkeit fordert, und weil kein
Statsbürger als solcher genöthigt werden kann, dem State
besondere ausgezeichnete Opfer zu bringen. Diese Regel wird
denn auch in den neuern Staten fast überall anerkannt, in
Republiken nicht minder als in Monarchien. 3

Ausnahmen kommen gewöhnlich nur da vor, wo das Stats-
amt sich dem Gemeindeamt annähert oder mit diesem zu-
sammentrifft. Die geringeren Ansprüche, welche hier an das
Individuum gestellt werden, und das verbreitete Bedürfnisz
solcher Stellen haben den Gedanken an eine allgemeine
Bürgerpflicht
in solchen Fällen annehmbar erscheinen
lassen. 4

9. Die Frage, wann die Anstellung beginnt, ist zwar
schon mehrfach bestritten worden. Erinnert man sich aber
daran, dasz dieselbe ihrem Wesen nach ein einseitiger Act
der Statsgewalt ist, welche ein Individuum mit dem Amte
betraut, so wird man unbedenklich antworten: Der Moment,
in welchem dieser Willensact als vollendet offenbar wird, d. h.
die zu Protokoll genommene und unterzeichnete Er-
nennung
oder Wahl ist als Anfang der Amtsdauer zu be-
trachten, und von da an hat der Beamte nicht allein auf seine
privatrechtliche Besoldung, sondern auch auf die Uebertragung
der mit seinem Amte verbundenen statsrechtlichen Befugnisse,
wo es jener überhaupt noch bedarf, ein Recht. Die Mittheilung

3 Auch in der Schweiz und in Nordamerika gilt die Regel. Für
dieses vergl. Story III. 37. §. 120. Für Deutschland Zachariä D. St.
§. 136.
4 So wo eine Stadt zum State geworden, wie die freien Reichsstädte,
oder wo, wie im Kanton Appenzell, das Statswesen so einfach wie eine
Gemeinde geartet ist.
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[614/0632] Siebentes Buch. Statshoheit und Statsgewalt etc. ist als Regel anzuerkennen, nicht weil der Statsdienst auf Vertrag zu gründen ist, sondern weil die Natur eines indivi- duellen geistigen Dienstes einem directen Zwange nicht ge- horcht, einer mittelbaren Nöthigung aber nur schwer und unvollständig sich fügt, vielmehr individuelle Freiheit als nor- male Quelle tüchtiger Wirksamkeit fordert, und weil kein Statsbürger als solcher genöthigt werden kann, dem State besondere ausgezeichnete Opfer zu bringen. Diese Regel wird denn auch in den neuern Staten fast überall anerkannt, in Republiken nicht minder als in Monarchien. 3 Ausnahmen kommen gewöhnlich nur da vor, wo das Stats- amt sich dem Gemeindeamt annähert oder mit diesem zu- sammentrifft. Die geringeren Ansprüche, welche hier an das Individuum gestellt werden, und das verbreitete Bedürfnisz solcher Stellen haben den Gedanken an eine allgemeine Bürgerpflicht in solchen Fällen annehmbar erscheinen lassen. 4 9. Die Frage, wann die Anstellung beginnt, ist zwar schon mehrfach bestritten worden. Erinnert man sich aber daran, dasz dieselbe ihrem Wesen nach ein einseitiger Act der Statsgewalt ist, welche ein Individuum mit dem Amte betraut, so wird man unbedenklich antworten: Der Moment, in welchem dieser Willensact als vollendet offenbar wird, d. h. die zu Protokoll genommene und unterzeichnete Er- nennung oder Wahl ist als Anfang der Amtsdauer zu be- trachten, und von da an hat der Beamte nicht allein auf seine privatrechtliche Besoldung, sondern auch auf die Uebertragung der mit seinem Amte verbundenen statsrechtlichen Befugnisse, wo es jener überhaupt noch bedarf, ein Recht. Die Mittheilung 3 Auch in der Schweiz und in Nordamerika gilt die Regel. Für dieses vergl. Story III. 37. §. 120. Für Deutschland Zachariä D. St. §. 136. 4 So wo eine Stadt zum State geworden, wie die freien Reichsstädte, oder wo, wie im Kanton Appenzell, das Statswesen so einfach wie eine Gemeinde geartet ist.

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/632>, abgerufen am 26.04.2024.