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Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.

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Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee.

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Mittelalterlicher Stat.

7. Das Mittelalter vermengt
überall öffentliches und
Privatrecht. Es betrachtet
die Landeshoheit ähnlich dem
Grundeigenthum und das Für-
stenthum wie ein Familien-
recht.

8. Das Mittelalter hat die
Tendenz zur Lehensord-
nung
(Feudalismus). Es
spaltet die Statsgewalt und
leitet ihre Stücke stufenweise
ab von Gott auf den König,
von diesem auf die Fürsten,
dann die Ritter und die Städte.
Die Rechtsbildung wird par-
ticularistisch
.

9. Die Vertretung ist stän-
disch
gegliedert. Die ari-
stokratischen
Stände, Kle-
rus und Adel herrschen vor.
Das Recht ist ständisch
verschieden
.

10. Das Mittelalter schützt
die dynastische und ständi-
sche
Freiheit der groszen
und kleinen Herren in weitem


[Spaltenumbruch]

Moderner Stat.

von dem State in ihrer Frei-
heit geschützt.

7. Der moderne Stat unter-
scheidet öffentliches Recht
und Privatrecht und ver-
bindet mit dem öffentlichen
Recht die öffentliche
Pflicht
.

8. Der moderne Stat ist
Volksordnung und bewahrt
die Einheit der Statsgewalt
im Centrum. Die Statenbil-
dung ist national geeint, zu
gröszeren Gemeinwesen hin-
strebend. Die Rechtsbildung
ist national und menschlich;
sie ordnet das gesammte Leben
gleichmäszig.

9. Der moderne Stat ver-
langt eine einheitliche
Volksvertretung
. Die
groszen Volksclassen haben
das Uebergewicht. Die Grund-
lage ist demokratisch. Das
Statsbürgerthum umfaszt
alle Classen gleichmäszig. Das
Recht ist gemeines Landes-
und Volksrecht.

10. Der moderne Stat ent-
wickelt die gemeine bür-
gerliche
Freiheit in allen
Classen und nöthigt Jeder-


Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee.

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Mittelalterlicher Stat.

7. Das Mittelalter vermengt
überall öffentliches und
Privatrecht. Es betrachtet
die Landeshoheit ähnlich dem
Grundeigenthum und das Für-
stenthum wie ein Familien-
recht.

8. Das Mittelalter hat die
Tendenz zur Lehensord-
nung
(Feudalismus). Es
spaltet die Statsgewalt und
leitet ihre Stücke stufenweise
ab von Gott auf den König,
von diesem auf die Fürsten,
dann die Ritter und die Städte.
Die Rechtsbildung wird par-
ticularistisch
.

9. Die Vertretung ist stän-
disch
gegliedert. Die ari-
stokratischen
Stände, Kle-
rus und Adel herrschen vor.
Das Recht ist ständisch
verschieden
.

10. Das Mittelalter schützt
die dynastische und ständi-
sche
Freiheit der groszen
und kleinen Herren in weitem


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Moderner Stat.

von dem State in ihrer Frei-
heit geschützt.

7. Der moderne Stat unter-
scheidet öffentliches Recht
und Privatrecht und ver-
bindet mit dem öffentlichen
Recht die öffentliche
Pflicht
.

8. Der moderne Stat ist
Volksordnung und bewahrt
die Einheit der Statsgewalt
im Centrum. Die Statenbil-
dung ist national geeint, zu
gröszeren Gemeinwesen hin-
strebend. Die Rechtsbildung
ist national und menschlich;
sie ordnet das gesammte Leben
gleichmäszig.

9. Der moderne Stat ver-
langt eine einheitliche
Volksvertretung
. Die
groszen Volksclassen haben
das Uebergewicht. Die Grund-
lage ist demokratisch. Das
Statsbürgerthum umfaszt
alle Classen gleichmäszig. Das
Recht ist gemeines Landes-
und Volksrecht.

10. Der moderne Stat ent-
wickelt die gemeine bür-
gerliche
Freiheit in allen
Classen und nöthigt Jeder-


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[67/0085] Sechstes Cap. Entwicklungsgesch. der Statsidee. III. Die moderne Statsidee. Mittelalterlicher Stat. 7. Das Mittelalter vermengt überall öffentliches und Privatrecht. Es betrachtet die Landeshoheit ähnlich dem Grundeigenthum und das Für- stenthum wie ein Familien- recht. 8. Das Mittelalter hat die Tendenz zur Lehensord- nung (Feudalismus). Es spaltet die Statsgewalt und leitet ihre Stücke stufenweise ab von Gott auf den König, von diesem auf die Fürsten, dann die Ritter und die Städte. Die Rechtsbildung wird par- ticularistisch. 9. Die Vertretung ist stän- disch gegliedert. Die ari- stokratischen Stände, Kle- rus und Adel herrschen vor. Das Recht ist ständisch verschieden. 10. Das Mittelalter schützt die dynastische und ständi- sche Freiheit der groszen und kleinen Herren in weitem Moderner Stat. von dem State in ihrer Frei- heit geschützt. 7. Der moderne Stat unter- scheidet öffentliches Recht und Privatrecht und ver- bindet mit dem öffentlichen Recht die öffentliche Pflicht. 8. Der moderne Stat ist Volksordnung und bewahrt die Einheit der Statsgewalt im Centrum. Die Statenbil- dung ist national geeint, zu gröszeren Gemeinwesen hin- strebend. Die Rechtsbildung ist national und menschlich; sie ordnet das gesammte Leben gleichmäszig. 9. Der moderne Stat ver- langt eine einheitliche Volksvertretung. Die groszen Volksclassen haben das Uebergewicht. Die Grund- lage ist demokratisch. Das Statsbürgerthum umfaszt alle Classen gleichmäszig. Das Recht ist gemeines Landes- und Volksrecht. 10. Der moderne Stat ent- wickelt die gemeine bür- gerliche Freiheit in allen Classen und nöthigt Jeder-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_staatslehre_1875/85>, abgerufen am 26.04.2024.