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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Einleitung.

Endlich hat das gereiftere Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt es
eingesehen, daß auch jenes angebliche Beuterecht im Krieg, trotz der
zahlreichen und ehrwürdigen Autoritäten der römischen Rechtswissenschaft
und der mittelalterlichen Rechte, eitel Unrecht sei und sich mit einer
gesicherten Weltordnung durchaus nicht vertrage. Es ist beschämend für
unsere Wissenschaft, daß sie in dieser wichtigen Frage nicht eher die Wahr-
heit erkannt hat, als bis ihr die veredelte Kriegsführung der heutigen Staten
durch die thatsächliche Mißbilligung und durch das militärische Verbot aller
Beutemacherei vorausgegangen ist. Während die Gelehrten sich noch immer
durch die alten Autoritäten täuschen ließen, arbeiteten die Generale mit
eiserner Disciplin an der Abschaffung jenes offenbaren Raubs, den man
vergeblich sich bemüht, als Recht auszugeben. Worauf denn sollte sich
dieses angebliche Beuterecht gründen? Etwa auf den alten Wahn, daß der
Feind ein rechtloses Wesen sei? Aber der Feind ist ein Mensch und jeder
Mensch ein Rechtswesen. Oder auf die Vorstellung, daß im Kriege die
Gewalt herrsche? Aber es ist ja der Beruf des Völkerrechts, auch die
Kriegsgewalt mit den Zügeln des Rechts zu bändigen. Oder auf den
Gedanken, daß dem Feinde zu schaden natürliches Kriegsrecht sei? Aber
die Privatpersonen sind als solche nicht Feinde, und das Privateigenthum
darf daher nicht willkürlich geschädigt werden. Oder auf die Uebereinstim-
mung der Völker? Aber die civilisirtesten Völker verwerfen das Beuterecht
als Raubrecht.

So entschieden hat sich die civilisirte Kriegsführung in unsern Tagen
von der alten Barbarei losgesagt, daß sogar die Lebensmittel, deren das
Heer in feindlichem Lande bedarf, regelmäßig eingekauft und baar bezahlt
werden. Die scheußliche Maxime, nicht etwa nur des dreißigjährigen Kriegs,
sondern noch der Revolutionskriege zu Ende des vorigen und zu Anfang
des jetzigen Jahrhunderts, daß der Krieg sich selber ernähren müsse und daß
daher die Heere in Feindesland auf Kosten der friedlichen Bewohner leben
dürfen, wird heute von der öffentlichen Meinung als Barbarei gebrandmarkt.
In der Noth freilich, wenn ausreichende Lebensmittel und andere unent-
behrliche Sachen in ordentlicher Verkehrsform nicht zu erwerben sind, viel-
leicht weil die Einwohner sie nicht dem Heere verkaufen wollen, oder die
Lieferungen zurück bleiben, dann kann es dem Truppenkörper nicht ver-
wehrt werden, auch mit Gewalt sich die Dinge anzueignen, ohne die er
nicht leben und seine Bestimmung erfüllen kann; denn niemals kann die
öffentliche Gewalt ihre Existenz dem Privatrechte zum Opfer bringen, viel-

Einleitung.

Endlich hat das gereiftere Rechtsbewußtſein der civiliſirten Welt es
eingeſehen, daß auch jenes angebliche Beuterecht im Krieg, trotz der
zahlreichen und ehrwürdigen Autoritäten der römiſchen Rechtswiſſenſchaft
und der mittelalterlichen Rechte, eitel Unrecht ſei und ſich mit einer
geſicherten Weltordnung durchaus nicht vertrage. Es iſt beſchämend für
unſere Wiſſenſchaft, daß ſie in dieſer wichtigen Frage nicht eher die Wahr-
heit erkannt hat, als bis ihr die veredelte Kriegsführung der heutigen Staten
durch die thatſächliche Mißbilligung und durch das militäriſche Verbot aller
Beutemacherei vorausgegangen iſt. Während die Gelehrten ſich noch immer
durch die alten Autoritäten täuſchen ließen, arbeiteten die Generale mit
eiſerner Disciplin an der Abſchaffung jenes offenbaren Raubs, den man
vergeblich ſich bemüht, als Recht auszugeben. Worauf denn ſollte ſich
dieſes angebliche Beuterecht gründen? Etwa auf den alten Wahn, daß der
Feind ein rechtloſes Weſen ſei? Aber der Feind iſt ein Menſch und jeder
Menſch ein Rechtsweſen. Oder auf die Vorſtellung, daß im Kriege die
Gewalt herrſche? Aber es iſt ja der Beruf des Völkerrechts, auch die
Kriegsgewalt mit den Zügeln des Rechts zu bändigen. Oder auf den
Gedanken, daß dem Feinde zu ſchaden natürliches Kriegsrecht ſei? Aber
die Privatperſonen ſind als ſolche nicht Feinde, und das Privateigenthum
darf daher nicht willkürlich geſchädigt werden. Oder auf die Uebereinſtim-
mung der Völker? Aber die civiliſirteſten Völker verwerfen das Beuterecht
als Raubrecht.

So entſchieden hat ſich die civiliſirte Kriegsführung in unſern Tagen
von der alten Barbarei losgeſagt, daß ſogar die Lebensmittel, deren das
Heer in feindlichem Lande bedarf, regelmäßig eingekauft und baar bezahlt
werden. Die ſcheußliche Maxime, nicht etwa nur des dreißigjährigen Kriegs,
ſondern noch der Revolutionskriege zu Ende des vorigen und zu Anfang
des jetzigen Jahrhunderts, daß der Krieg ſich ſelber ernähren müſſe und daß
daher die Heere in Feindesland auf Koſten der friedlichen Bewohner leben
dürfen, wird heute von der öffentlichen Meinung als Barbarei gebrandmarkt.
In der Noth freilich, wenn ausreichende Lebensmittel und andere unent-
behrliche Sachen in ordentlicher Verkehrsform nicht zu erwerben ſind, viel-
leicht weil die Einwohner ſie nicht dem Heere verkaufen wollen, oder die
Lieferungen zurück bleiben, dann kann es dem Truppenkörper nicht ver-
wehrt werden, auch mit Gewalt ſich die Dinge anzueignen, ohne die er
nicht leben und ſeine Beſtimmung erfüllen kann; denn niemals kann die
öffentliche Gewalt ihre Exiſtenz dem Privatrechte zum Opfer bringen, viel-

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[38/0060] Einleitung. Endlich hat das gereiftere Rechtsbewußtſein der civiliſirten Welt es eingeſehen, daß auch jenes angebliche Beuterecht im Krieg, trotz der zahlreichen und ehrwürdigen Autoritäten der römiſchen Rechtswiſſenſchaft und der mittelalterlichen Rechte, eitel Unrecht ſei und ſich mit einer geſicherten Weltordnung durchaus nicht vertrage. Es iſt beſchämend für unſere Wiſſenſchaft, daß ſie in dieſer wichtigen Frage nicht eher die Wahr- heit erkannt hat, als bis ihr die veredelte Kriegsführung der heutigen Staten durch die thatſächliche Mißbilligung und durch das militäriſche Verbot aller Beutemacherei vorausgegangen iſt. Während die Gelehrten ſich noch immer durch die alten Autoritäten täuſchen ließen, arbeiteten die Generale mit eiſerner Disciplin an der Abſchaffung jenes offenbaren Raubs, den man vergeblich ſich bemüht, als Recht auszugeben. Worauf denn ſollte ſich dieſes angebliche Beuterecht gründen? Etwa auf den alten Wahn, daß der Feind ein rechtloſes Weſen ſei? Aber der Feind iſt ein Menſch und jeder Menſch ein Rechtsweſen. Oder auf die Vorſtellung, daß im Kriege die Gewalt herrſche? Aber es iſt ja der Beruf des Völkerrechts, auch die Kriegsgewalt mit den Zügeln des Rechts zu bändigen. Oder auf den Gedanken, daß dem Feinde zu ſchaden natürliches Kriegsrecht ſei? Aber die Privatperſonen ſind als ſolche nicht Feinde, und das Privateigenthum darf daher nicht willkürlich geſchädigt werden. Oder auf die Uebereinſtim- mung der Völker? Aber die civiliſirteſten Völker verwerfen das Beuterecht als Raubrecht. So entſchieden hat ſich die civiliſirte Kriegsführung in unſern Tagen von der alten Barbarei losgeſagt, daß ſogar die Lebensmittel, deren das Heer in feindlichem Lande bedarf, regelmäßig eingekauft und baar bezahlt werden. Die ſcheußliche Maxime, nicht etwa nur des dreißigjährigen Kriegs, ſondern noch der Revolutionskriege zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts, daß der Krieg ſich ſelber ernähren müſſe und daß daher die Heere in Feindesland auf Koſten der friedlichen Bewohner leben dürfen, wird heute von der öffentlichen Meinung als Barbarei gebrandmarkt. In der Noth freilich, wenn ausreichende Lebensmittel und andere unent- behrliche Sachen in ordentlicher Verkehrsform nicht zu erwerben ſind, viel- leicht weil die Einwohner ſie nicht dem Heere verkaufen wollen, oder die Lieferungen zurück bleiben, dann kann es dem Truppenkörper nicht ver- wehrt werden, auch mit Gewalt ſich die Dinge anzueignen, ohne die er nicht leben und ſeine Beſtimmung erfüllen kann; denn niemals kann die öffentliche Gewalt ihre Exiſtenz dem Privatrechte zum Opfer bringen, viel-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/60>, abgerufen am 27.04.2024.