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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742.

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Echo
verführen können, und die es, wenn sie getadelt
werden, noch vor eine Ehre halten müssen, weil
sie dadurch aus dem Staube der Vergessenheit
hervorgezogen werden: Aber, daß man Leuten,
die in einigem Ansehen und Ruff bey der iztleben-
den Welt, wiewohl öfters ohne ihr Verdienen,
stehen, ihre Unvollkommenheiten vorhalte, das
ist schon eine strafbare grobe Vermessenheit und
Unhöflichkeit; es mögte auch der Tadel an sich

selbst
"auch schon vor diesem Leute gegeben, bey denen man
"es mit seinem Tode verschulden müssen, wenn man von
"ihnen öffentlich habe getadelt seyn wollen. Wir unter-
"suchen hier nicht, ob der gedachte Herausgeber recht oder
"unrecht hat, wenn er dieses an den itzigen Kunstrich-
"tern mißbilliget. Jndessen hat er den Trost, daß einige
"Schriftsteller, die zu leben wissen, sich nach seinen Grund-
"sätzen und Neigungen zu bequemen scheinen, und ihn
"noch bey seinen Lebzeiten tadeln." Weil diese Schutz-
schrift aus der Feder eines berühmten Lehrers der Welt-
weisheit hergflossen, so will ich dieselbe um mehrerer Deut-
lichkeit willen in ihre Schlußsätze auflösen, und die Prüf-
fung seinen Schülern nach seiner Vernunftlehre anzustellen
überlassen. Der erste ist: Wer erlaubt, daß man die izt-
lebenden Scribenten, die es verdienen, tadeln dürffe,
der kan es nicht zugleich billigen, daß man die schon ver-
storbenen elenden Scribenten tadele. Der zweite ist:
Juncker Filipp von Zesen hat schon zu seiner Zeit die todten
Scribenten unter die helikonische Hechel genommen, wa-
rum sollte es denn Hrn. Prof. Gottsched Sünde seyn, wenn
er diesem rühmlichen Exempel folget. Sonsten muß ich
noch berichten, daß die Kunstrichter, die zu leben wissen,
und mich tadeln, ob ich gleich noch nicht gestorben bin,
der Hr. Prof. Gottsched selbst und sein Spießgesell Magi-
ster Theod. Lebrecht Pitschel sind. Diesen zu misfallen
mache mir eine Ehre.

Echo
verfuͤhren koͤnnen, und die es, wenn ſie getadelt
werden, noch vor eine Ehre halten muͤſſen, weil
ſie dadurch aus dem Staube der Vergeſſenheit
hervorgezogen werden: Aber, daß man Leuten,
die in einigem Anſehen und Ruff bey der iztleben-
den Welt, wiewohl oͤfters ohne ihr Verdienen,
ſtehen, ihre Unvollkommenheiten vorhalte, das
iſt ſchon eine ſtrafbare grobe Vermeſſenheit und
Unhoͤflichkeit; es moͤgte auch der Tadel an ſich

ſelbſt
„auch ſchon vor dieſem Leute gegeben, bey denen man
„es mit ſeinem Tode verſchulden muͤſſen, wenn man von
„ihnen oͤffentlich habe getadelt ſeyn wollen. Wir unter-
„ſuchen hier nicht, ob der gedachte Herausgeber recht oder
„unrecht hat, wenn er dieſes an den itzigen Kunſtrich-
„tern mißbilliget. Jndeſſen hat er den Troſt, daß einige
„Schriftſteller, die zu leben wiſſen, ſich nach ſeinen Grund-
„ſaͤtzen und Neigungen zu bequemen ſcheinen, und ihn
„noch bey ſeinen Lebzeiten tadeln.„ Weil dieſe Schutz-
ſchrift aus der Feder eines beruͤhmten Lehrers der Welt-
weisheit hergfloſſen, ſo will ich dieſelbe um mehrerer Deut-
lichkeit willen in ihre Schlußſaͤtze aufloͤſen, und die Pruͤf-
fung ſeinen Schuͤlern nach ſeiner Vernunftlehre anzuſtellen
uͤberlaſſen. Der erſte iſt: Wer erlaubt, daß man die izt-
lebenden Scribenten, die es verdienen, tadeln duͤrffe,
der kan es nicht zugleich billigen, daß man die ſchon ver-
ſtorbenen elenden Scribenten tadele. Der zweite iſt:
Juncker Filipp von Zeſen hat ſchon zu ſeiner Zeit die todten
Scribenten unter die helikoniſche Hechel genommen, wa-
rum ſollte es denn Hrn. Prof. Gottſched Suͤnde ſeyn, wenn
er dieſem ruͤhmlichen Exempel folget. Sonſten muß ich
noch berichten, daß die Kunſtrichter, die zu leben wiſſen,
und mich tadeln, ob ich gleich noch nicht geſtorben bin,
der Hr. Prof. Gottſched ſelbſt und ſein Spießgeſell Magi-
ſter Theod. Lebrecht Pitſchel ſind. Dieſen zu misfallen
mache mir eine Ehre.
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[38/0038] Echo verfuͤhren koͤnnen, und die es, wenn ſie getadelt werden, noch vor eine Ehre halten muͤſſen, weil ſie dadurch aus dem Staube der Vergeſſenheit hervorgezogen werden: Aber, daß man Leuten, die in einigem Anſehen und Ruff bey der iztleben- den Welt, wiewohl oͤfters ohne ihr Verdienen, ſtehen, ihre Unvollkommenheiten vorhalte, das iſt ſchon eine ſtrafbare grobe Vermeſſenheit und Unhoͤflichkeit; es moͤgte auch der Tadel an ſich ſelbſt (*) (*) „auch ſchon vor dieſem Leute gegeben, bey denen man „es mit ſeinem Tode verſchulden muͤſſen, wenn man von „ihnen oͤffentlich habe getadelt ſeyn wollen. Wir unter- „ſuchen hier nicht, ob der gedachte Herausgeber recht oder „unrecht hat, wenn er dieſes an den itzigen Kunſtrich- „tern mißbilliget. Jndeſſen hat er den Troſt, daß einige „Schriftſteller, die zu leben wiſſen, ſich nach ſeinen Grund- „ſaͤtzen und Neigungen zu bequemen ſcheinen, und ihn „noch bey ſeinen Lebzeiten tadeln.„ Weil dieſe Schutz- ſchrift aus der Feder eines beruͤhmten Lehrers der Welt- weisheit hergfloſſen, ſo will ich dieſelbe um mehrerer Deut- lichkeit willen in ihre Schlußſaͤtze aufloͤſen, und die Pruͤf- fung ſeinen Schuͤlern nach ſeiner Vernunftlehre anzuſtellen uͤberlaſſen. Der erſte iſt: Wer erlaubt, daß man die izt- lebenden Scribenten, die es verdienen, tadeln duͤrffe, der kan es nicht zugleich billigen, daß man die ſchon ver- ſtorbenen elenden Scribenten tadele. Der zweite iſt: Juncker Filipp von Zeſen hat ſchon zu ſeiner Zeit die todten Scribenten unter die helikoniſche Hechel genommen, wa- rum ſollte es denn Hrn. Prof. Gottſched Suͤnde ſeyn, wenn er dieſem ruͤhmlichen Exempel folget. Sonſten muß ich noch berichten, daß die Kunſtrichter, die zu leben wiſſen, und mich tadeln, ob ich gleich noch nicht geſtorben bin, der Hr. Prof. Gottſched ſelbſt und ſein Spießgeſell Magi- ſter Theod. Lebrecht Pitſchel ſind. Dieſen zu misfallen mache mir eine Ehre.

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 6. Zürich, 1742, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung06_1742/38>, abgerufen am 19.04.2024.