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[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743.

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Von Langnau Schreiben

G. Auf der 434. Seite des VIten Artickels
berühret ihr den Streit wegen des Schildes des
Achilles beym Homer. Jch gebe euch aber den
wohlgemeinten Rath, daß ihr euch zufolge der
ersten Regel, die euch vorgeschrieben ist, nicht
zuweit in diesen Streit einlasset, bevor ihr Hrn.
Gottscheds Entscheid über dieselbe in seinen An-
merckungen zu des Aristoteles Dichtkunst, die
schon lange im Manuscript fertig liegen, wo er
den Dacier mit einer deutschen Großmuth ab-
fertiget, werdet gelesen haben. Denn der klei-
ne Versuch einer Vertheidigung des Gottsche-
dischen Urtheils ist so schwach gerathen, daß zu
fürchten stehet, der Hr. Gottsched selbst werde
euch wenig Danck dafür wissen. Jhr saget erst-
lich, nachdem ihr die angegebene Regel, nach
welcher Hr. Breitinger meinet, daß das Wahr-
scheinliche in den Beschreibungen von Gemähl-
den und andern dergleichen Kunstwercken müsse
beurtheilet werden, für gültig erkläret, Homer
wird nach dieser Regel schlecht können ver-
theidiget werden:
Das ist wohl gesagt, aber
wo bleibt der Beweis? Dacier hat ihn wircklich
nach dieser Regel vertheidiget, und ihr habt
ihn noch nicht widerlegt; und doch zweifelt ihr
noch an der Möglichkeit einer guten Vertheidi-
gung. So werdet ihr so gut seyn und in eurer
Logick das Axioma, ab esle ad posse valet conse-
quentia,
ausstreichen. Nicht besser ist das fol-
gende:

"Der Herr Breitinger selbst hat wider
"den Homer geschrieben, wenn er in der Ab-
"handlung von der Aesopischen Fabel lehret,
"wie
Von Langnau Schreiben

G. Auf der 434. Seite des VIten Artickels
beruͤhret ihr den Streit wegen des Schildes des
Achilles beym Homer. Jch gebe euch aber den
wohlgemeinten Rath, daß ihr euch zufolge der
erſten Regel, die euch vorgeſchrieben iſt, nicht
zuweit in dieſen Streit einlaſſet, bevor ihr Hrn.
Gottſcheds Entſcheid uͤber dieſelbe in ſeinen An-
merckungen zu des Ariſtoteles Dichtkunſt, die
ſchon lange im Manuſcript fertig liegen, wo er
den Dacier mit einer deutſchen Großmuth ab-
fertiget, werdet geleſen haben. Denn der klei-
ne Verſuch einer Vertheidigung des Gottſche-
diſchen Urtheils iſt ſo ſchwach gerathen, daß zu
fuͤrchten ſtehet, der Hr. Gottſched ſelbſt werde
euch wenig Danck dafuͤr wiſſen. Jhr ſaget erſt-
lich, nachdem ihr die angegebene Regel, nach
welcher Hr. Breitinger meinet, daß das Wahr-
ſcheinliche in den Beſchreibungen von Gemaͤhl-
den und andern dergleichen Kunſtwercken muͤſſe
beurtheilet werden, fuͤr guͤltig erklaͤret, Homer
wird nach dieſer Regel ſchlecht koͤnnen ver-
theidiget werden:
Das iſt wohl geſagt, aber
wo bleibt der Beweis? Dacier hat ihn wircklich
nach dieſer Regel vertheidiget, und ihr habt
ihn noch nicht widerlegt; und doch zweifelt ihr
noch an der Moͤglichkeit einer guten Vertheidi-
gung. So werdet ihr ſo gut ſeyn und in eurer
Logick das Axioma, ab eſle ad poſſe valet conſe-
quentia,
ausſtreichen. Nicht beſſer iſt das fol-
gende:

„Der Herr Breitinger ſelbſt hat wider
„den Homer geſchrieben, wenn er in der Ab-
„handlung von der Aeſopiſchen Fabel lehret,
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[52/0054] Von Langnau Schreiben G. Auf der 434. Seite des VIten Artickels beruͤhret ihr den Streit wegen des Schildes des Achilles beym Homer. Jch gebe euch aber den wohlgemeinten Rath, daß ihr euch zufolge der erſten Regel, die euch vorgeſchrieben iſt, nicht zuweit in dieſen Streit einlaſſet, bevor ihr Hrn. Gottſcheds Entſcheid uͤber dieſelbe in ſeinen An- merckungen zu des Ariſtoteles Dichtkunſt, die ſchon lange im Manuſcript fertig liegen, wo er den Dacier mit einer deutſchen Großmuth ab- fertiget, werdet geleſen haben. Denn der klei- ne Verſuch einer Vertheidigung des Gottſche- diſchen Urtheils iſt ſo ſchwach gerathen, daß zu fuͤrchten ſtehet, der Hr. Gottſched ſelbſt werde euch wenig Danck dafuͤr wiſſen. Jhr ſaget erſt- lich, nachdem ihr die angegebene Regel, nach welcher Hr. Breitinger meinet, daß das Wahr- ſcheinliche in den Beſchreibungen von Gemaͤhl- den und andern dergleichen Kunſtwercken muͤſſe beurtheilet werden, fuͤr guͤltig erklaͤret, Homer wird nach dieſer Regel ſchlecht koͤnnen ver- theidiget werden: Das iſt wohl geſagt, aber wo bleibt der Beweis? Dacier hat ihn wircklich nach dieſer Regel vertheidiget, und ihr habt ihn noch nicht widerlegt; und doch zweifelt ihr noch an der Moͤglichkeit einer guten Vertheidi- gung. So werdet ihr ſo gut ſeyn und in eurer Logick das Axioma, ab eſle ad poſſe valet conſe- quentia, ausſtreichen. Nicht beſſer iſt das fol- gende: „Der Herr Breitinger ſelbſt hat wider „den Homer geſchrieben, wenn er in der Ab- „handlung von der Aeſopiſchen Fabel lehret, „wie

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Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 11. Zürich, 1743, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung11_1743/54>, abgerufen am 04.05.2024.