Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.
von ihnen aus verbreitete sich das Streben nach besonderer Bewaff-
nung des Fussvolkes über alle Heere.

Der deutsche Landsknecht, der geworbene Berufssoldat im vollen
Sinne des Wortes, trug in der ersten Zeit einen ganzen Harnisch,
der sich von dem in der Ritterschaft üblichen nicht wesentlich unter-
schied,*) später um 1520 die Sturmhaube nach spanisch-italienischem
Muster, den Brust- und Rückenharnisch mit Bauchreifen, Beintaschen
oder auch mit Schössen, den eisernen, geschobenen Kragen mit kurzen,
geschobenen Achselstücken, die Spangeröls, die nur den Oberarm
bedeckten. Unter dem Harnische trug er das Kettenhemd, nach 1530
auch den Panzerkragen über den Schultern. So entstand der Lands-
knechtharnisch, in Frankreich "allecret", in Italien "armatura alleggiata"
benannt.

Betrachten wir die Harnischform im Detail, so bemerken wir,
dass gerade um die Zeit des Entstehens eigener knechtischer Harnische
der ritterliche durch den Einfluss der Renaissance eine Umgestaltung
erleidet.

Aus der Schallern bildet sich der geschlossene Helm mit Hals-
und Nackenschirm, der geschobene Kragen reiht sich nun dem System
ein und fast gleichzeitig tritt der burgundische Helm auf, der in fester
Verbindung mit dem Kragen steht und nur eine Bewegung des Kopfes
nach den Seiten gestattet. Die Brust wird breit und kugelförmig, der
stark aufgeworfene Oberrand läuft horizontal, die Beintaschen werden
breiter. Schon um 1460, bei Turnierzeugen noch etwas früher,
kommt der Rüsthaken in Aufnahme, der über ein Jahrhundert in
Gebrauch bleibt. Der Reisige war nicht mehr im stande, die schwerer
gewordene Reisspiessstange frei unter der Armhöhle zu halten. Noch
reichen die Oberdiechlinge bis an die Leisten hinauf, die Kniebuckel
aber werden halbkugelförmig gleich den Mäuseln und die Armkacheln
und Kniebuckel werden grösser. Die bedeutendste Veränderung er-
leiden die Schuhe. Früher schmal, spitz und nicht selten mit langen
Schnäbeln, werden sie nun übermässig breit und plump; sie zeigen
Ähnlichkeit mit den schweren, gepolsterten Schuhen, die beim Rennen
getragen werden. Diese Veränderung tritt so plötzlich auf, dass sie
unmöglich als eine natürliche Umbildung, sondern nur als das Er-
gebnis eines bestimmten Willens erscheinen kann. Eine neue Deko-
rationsart tritt auf, der Goldschmelz, die Schwarzätzung und die ver-
goldete Ätzung in ornamentierten Rändern und Streifen (Strichen).
Von Italien aus tritt der Gebrauch auf, die Harnische zu schwärzen
oder auch schwarze Röckchen über die Harnische zu ziehen. In
Spanien und Italien werden auch reich gestickte, weisse und farbige
Harnischröckchen getragen. Der Deutsche erscheint aber lieber in

*) So sehen wir sie auch noch in den Zeugbüchern Maximilians I., in deren
Tafeln wiederholt verschiedene Ausrüstungsperioden vor Augen gestellt werden.

Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.
von ihnen aus verbreitete sich das Streben nach besonderer Bewaff-
nung des Fuſsvolkes über alle Heere.

Der deutsche Landsknecht, der geworbene Berufssoldat im vollen
Sinne des Wortes, trug in der ersten Zeit einen ganzen Harnisch,
der sich von dem in der Ritterschaft üblichen nicht wesentlich unter-
schied,*) später um 1520 die Sturmhaube nach spanisch-italienischem
Muster, den Brust- und Rückenharnisch mit Bauchreifen, Beintaschen
oder auch mit Schöſsen, den eisernen, geschobenen Kragen mit kurzen,
geschobenen Achselstücken, die Spangeröls, die nur den Oberarm
bedeckten. Unter dem Harnische trug er das Kettenhemd, nach 1530
auch den Panzerkragen über den Schultern. So entstand der Lands-
knechtharnisch, in Frankreich „allecret“, in Italien „armatura alleggiata“
benannt.

Betrachten wir die Harnischform im Detail, so bemerken wir,
daſs gerade um die Zeit des Entstehens eigener knechtischer Harnische
der ritterliche durch den Einfluſs der Renaissance eine Umgestaltung
erleidet.

Aus der Schallern bildet sich der geschlossene Helm mit Hals-
und Nackenschirm, der geschobene Kragen reiht sich nun dem System
ein und fast gleichzeitig tritt der burgundische Helm auf, der in fester
Verbindung mit dem Kragen steht und nur eine Bewegung des Kopfes
nach den Seiten gestattet. Die Brust wird breit und kugelförmig, der
stark aufgeworfene Oberrand läuft horizontal, die Beintaschen werden
breiter. Schon um 1460, bei Turnierzeugen noch etwas früher,
kommt der Rüsthaken in Aufnahme, der über ein Jahrhundert in
Gebrauch bleibt. Der Reisige war nicht mehr im stande, die schwerer
gewordene Reisspieſsstange frei unter der Armhöhle zu halten. Noch
reichen die Oberdiechlinge bis an die Leisten hinauf, die Kniebuckel
aber werden halbkugelförmig gleich den Mäuseln und die Armkacheln
und Kniebuckel werden gröſser. Die bedeutendste Veränderung er-
leiden die Schuhe. Früher schmal, spitz und nicht selten mit langen
Schnäbeln, werden sie nun übermäſsig breit und plump; sie zeigen
Ähnlichkeit mit den schweren, gepolsterten Schuhen, die beim Rennen
getragen werden. Diese Veränderung tritt so plötzlich auf, daſs sie
unmöglich als eine natürliche Umbildung, sondern nur als das Er-
gebnis eines bestimmten Willens erscheinen kann. Eine neue Deko-
rationsart tritt auf, der Goldschmelz, die Schwarzätzung und die ver-
goldete Ätzung in ornamentierten Rändern und Streifen (Strichen).
Von Italien aus tritt der Gebrauch auf, die Harnische zu schwärzen
oder auch schwarze Röckchen über die Harnische zu ziehen. In
Spanien und Italien werden auch reich gestickte, weiſse und farbige
Harnischröckchen getragen. Der Deutsche erscheint aber lieber in

*) So sehen wir sie auch noch in den Zeugbüchern Maximilians I., in deren
Tafeln wiederholt verschiedene Ausrüstungsperioden vor Augen gestellt werden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0169" n="151"/><fw place="top" type="header">Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit.</fw><lb/>
von ihnen aus verbreitete sich das Streben nach besonderer Bewaff-<lb/>
nung des Fu&#x017F;svolkes über alle Heere.</p><lb/>
            <p>Der deutsche Landsknecht, der geworbene Berufssoldat im vollen<lb/>
Sinne des Wortes, trug in der ersten Zeit einen ganzen Harnisch,<lb/>
der sich von dem in der Ritterschaft üblichen nicht wesentlich unter-<lb/>
schied,<note place="foot" n="*)">So sehen wir sie auch noch in den Zeugbüchern Maximilians I., in deren<lb/>
Tafeln wiederholt verschiedene Ausrüstungsperioden vor Augen gestellt werden.</note> später um 1520 die Sturmhaube nach spanisch-italienischem<lb/>
Muster, den Brust- und Rückenharnisch mit Bauchreifen, Beintaschen<lb/>
oder auch mit Schö&#x017F;sen, den eisernen, geschobenen Kragen mit kurzen,<lb/>
geschobenen Achselstücken, die Spangeröls, die nur den Oberarm<lb/>
bedeckten. Unter dem Harnische trug er das Kettenhemd, nach 1530<lb/>
auch den Panzerkragen über den Schultern. So entstand der Lands-<lb/>
knechtharnisch, in Frankreich &#x201E;allecret&#x201C;, in Italien &#x201E;armatura alleggiata&#x201C;<lb/>
benannt.</p><lb/>
            <p>Betrachten wir die Harnischform im Detail, so bemerken wir,<lb/>
da&#x017F;s gerade um die Zeit des Entstehens eigener knechtischer Harnische<lb/>
der ritterliche durch den Einflu&#x017F;s der Renaissance eine Umgestaltung<lb/>
erleidet.</p><lb/>
            <p>Aus der Schallern bildet sich der geschlossene Helm mit Hals-<lb/>
und Nackenschirm, der geschobene Kragen reiht sich nun dem System<lb/>
ein und fast gleichzeitig tritt der burgundische Helm auf, der in fester<lb/>
Verbindung mit dem Kragen steht und nur eine Bewegung des Kopfes<lb/>
nach den Seiten gestattet. Die Brust wird breit und kugelförmig, der<lb/>
stark aufgeworfene Oberrand läuft horizontal, die Beintaschen werden<lb/>
breiter. Schon um 1460, bei Turnierzeugen noch etwas früher,<lb/>
kommt der Rüsthaken in Aufnahme, der über ein Jahrhundert in<lb/>
Gebrauch bleibt. Der Reisige war nicht mehr im stande, die schwerer<lb/>
gewordene Reisspie&#x017F;sstange frei unter der Armhöhle zu halten. Noch<lb/>
reichen die Oberdiechlinge bis an die Leisten hinauf, die Kniebuckel<lb/>
aber werden halbkugelförmig gleich den Mäuseln und die Armkacheln<lb/>
und Kniebuckel werden grö&#x017F;ser. Die bedeutendste Veränderung er-<lb/>
leiden die Schuhe. Früher schmal, spitz und nicht selten mit langen<lb/>
Schnäbeln, werden sie nun übermä&#x017F;sig breit und plump; sie zeigen<lb/>
Ähnlichkeit mit den schweren, gepolsterten Schuhen, die beim Rennen<lb/>
getragen werden. Diese Veränderung tritt so plötzlich auf, da&#x017F;s sie<lb/>
unmöglich als eine natürliche Umbildung, sondern nur als das Er-<lb/>
gebnis eines bestimmten Willens erscheinen kann. Eine neue Deko-<lb/>
rationsart tritt auf, der Goldschmelz, die Schwarzätzung und die ver-<lb/>
goldete Ätzung in ornamentierten Rändern und Streifen (Strichen).<lb/>
Von Italien aus tritt der Gebrauch auf, die Harnische zu schwärzen<lb/>
oder auch schwarze Röckchen über die Harnische zu ziehen. In<lb/>
Spanien und Italien werden auch reich gestickte, wei&#x017F;se und farbige<lb/>
Harnischröckchen getragen. Der Deutsche erscheint aber lieber in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0169] Der Harnisch für den Mann in seiner Gesamtheit. von ihnen aus verbreitete sich das Streben nach besonderer Bewaff- nung des Fuſsvolkes über alle Heere. Der deutsche Landsknecht, der geworbene Berufssoldat im vollen Sinne des Wortes, trug in der ersten Zeit einen ganzen Harnisch, der sich von dem in der Ritterschaft üblichen nicht wesentlich unter- schied, *) später um 1520 die Sturmhaube nach spanisch-italienischem Muster, den Brust- und Rückenharnisch mit Bauchreifen, Beintaschen oder auch mit Schöſsen, den eisernen, geschobenen Kragen mit kurzen, geschobenen Achselstücken, die Spangeröls, die nur den Oberarm bedeckten. Unter dem Harnische trug er das Kettenhemd, nach 1530 auch den Panzerkragen über den Schultern. So entstand der Lands- knechtharnisch, in Frankreich „allecret“, in Italien „armatura alleggiata“ benannt. Betrachten wir die Harnischform im Detail, so bemerken wir, daſs gerade um die Zeit des Entstehens eigener knechtischer Harnische der ritterliche durch den Einfluſs der Renaissance eine Umgestaltung erleidet. Aus der Schallern bildet sich der geschlossene Helm mit Hals- und Nackenschirm, der geschobene Kragen reiht sich nun dem System ein und fast gleichzeitig tritt der burgundische Helm auf, der in fester Verbindung mit dem Kragen steht und nur eine Bewegung des Kopfes nach den Seiten gestattet. Die Brust wird breit und kugelförmig, der stark aufgeworfene Oberrand läuft horizontal, die Beintaschen werden breiter. Schon um 1460, bei Turnierzeugen noch etwas früher, kommt der Rüsthaken in Aufnahme, der über ein Jahrhundert in Gebrauch bleibt. Der Reisige war nicht mehr im stande, die schwerer gewordene Reisspieſsstange frei unter der Armhöhle zu halten. Noch reichen die Oberdiechlinge bis an die Leisten hinauf, die Kniebuckel aber werden halbkugelförmig gleich den Mäuseln und die Armkacheln und Kniebuckel werden gröſser. Die bedeutendste Veränderung er- leiden die Schuhe. Früher schmal, spitz und nicht selten mit langen Schnäbeln, werden sie nun übermäſsig breit und plump; sie zeigen Ähnlichkeit mit den schweren, gepolsterten Schuhen, die beim Rennen getragen werden. Diese Veränderung tritt so plötzlich auf, daſs sie unmöglich als eine natürliche Umbildung, sondern nur als das Er- gebnis eines bestimmten Willens erscheinen kann. Eine neue Deko- rationsart tritt auf, der Goldschmelz, die Schwarzätzung und die ver- goldete Ätzung in ornamentierten Rändern und Streifen (Strichen). Von Italien aus tritt der Gebrauch auf, die Harnische zu schwärzen oder auch schwarze Röckchen über die Harnische zu ziehen. In Spanien und Italien werden auch reich gestickte, weiſse und farbige Harnischröckchen getragen. Der Deutsche erscheint aber lieber in *) So sehen wir sie auch noch in den Zeugbüchern Maximilians I., in deren Tafeln wiederholt verschiedene Ausrüstungsperioden vor Augen gestellt werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/169
Zitationshilfe: Boeheim, Wendelin: Handbuch der Waffenkunde. Leipzig, 1890, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boeheim_waffenkunde_1890/169>, abgerufen am 29.04.2024.