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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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genügt das Fressen der fünf. Da jede mit verteidigt wird,
wenn fünf für alle beißen, so genügt die Beißerei der fünf.
Und die dritten fünf schleppen alle anderen bequem mit vom
Fleck. Jede hat ja sonst nichts zu thun als das eine und
kann ihre ganze Kraft auf die eine Thätigkeit konzentrieren.

Nicht lange: und die konsequente Arbeitsteilung wird
Folgen am Leibe unserer Sozialratten zeitigen. Die fünf,
die bloß noch aufs Fressen aus sind, werden einen immer
intensiver arbeitenden Magen bekommen, sonst aber werden sie
faul werden, die Füße werden ihnen einschnurren und allmählich
werden sie ganz lahm werden. Den fünf anderen, die fort¬
gesetzt bloß noch fauchen und beißen, wird umgekehrt der Mut
und die Beißlust immer energischer werden, aber der unbenutzte
Magen wird ihnen schrumpfen und verkümmern: sie brauchen
ihn ja nicht. Und schließlich, wohin wird das führen? Die
einen Ratten am König werden reinweg nur noch Magen sein,
die anderen nur noch beißende Köpfe und die dritten nur noch
Springbeine. Betrachtete einer unverhofft jetzt das ganze
Ungeheuer, so meinte er, nicht mehr zwanzig echte Ratten zu
sehen, sondern ein einheitliches Geschöpf der tollsten Art: mit
fünf Beißköpfen, fünf Magen, fünf mal vier Beinen und so
weiter. Der verwachsene Schwanzknäuel in der Mitte erschiene
wie der eigentliche Grundkörper dieses wahnsinnigen Über¬
scheusals, dieser Kollektivratte nach der Methode Cerberus.

Nun, mit den Ratten giebts so etwas nicht, und der arme
Rattenkönig ist alles andere eher als ein höllischer Cerberus:
ein trauriges Zufallsgewächs eines ungesunden Nestes, nichts
weiter. Wo aber die Sache wirklich sich so ereignet hat, das
ist bei unserer Siphonophore.

Ein Haufen Quallen ist aneinander fest gewachsen, -- so
fest, daß die Nahrungssäfte durch die gemeinsame Achse wie dort
durch die Schwänze unserer Ratten hindurchpulsieren können und
zugleich eine Fortbewegung an einer Ecke die ganze Quallenkette
wie ein einziges Individuum mitbewegt und als Ganzes dahin

genügt das Freſſen der fünf. Da jede mit verteidigt wird,
wenn fünf für alle beißen, ſo genügt die Beißerei der fünf.
Und die dritten fünf ſchleppen alle anderen bequem mit vom
Fleck. Jede hat ja ſonſt nichts zu thun als das eine und
kann ihre ganze Kraft auf die eine Thätigkeit konzentrieren.

Nicht lange: und die konſequente Arbeitsteilung wird
Folgen am Leibe unſerer Sozialratten zeitigen. Die fünf,
die bloß noch aufs Freſſen aus ſind, werden einen immer
intenſiver arbeitenden Magen bekommen, ſonſt aber werden ſie
faul werden, die Füße werden ihnen einſchnurren und allmählich
werden ſie ganz lahm werden. Den fünf anderen, die fort¬
geſetzt bloß noch fauchen und beißen, wird umgekehrt der Mut
und die Beißluſt immer energiſcher werden, aber der unbenutzte
Magen wird ihnen ſchrumpfen und verkümmern: ſie brauchen
ihn ja nicht. Und ſchließlich, wohin wird das führen? Die
einen Ratten am König werden reinweg nur noch Magen ſein,
die anderen nur noch beißende Köpfe und die dritten nur noch
Springbeine. Betrachtete einer unverhofft jetzt das ganze
Ungeheuer, ſo meinte er, nicht mehr zwanzig echte Ratten zu
ſehen, ſondern ein einheitliches Geſchöpf der tollſten Art: mit
fünf Beißköpfen, fünf Magen, fünf mal vier Beinen und ſo
weiter. Der verwachſene Schwanzknäuel in der Mitte erſchiene
wie der eigentliche Grundkörper dieſes wahnſinnigen Über¬
ſcheuſals, dieſer Kollektivratte nach der Methode Cerberus.

Nun, mit den Ratten giebts ſo etwas nicht, und der arme
Rattenkönig iſt alles andere eher als ein hölliſcher Cerberus:
ein trauriges Zufallsgewächs eines ungeſunden Neſtes, nichts
weiter. Wo aber die Sache wirklich ſich ſo ereignet hat, das
iſt bei unſerer Siphonophore.

Ein Haufen Quallen iſt aneinander feſt gewachſen, — ſo
feſt, daß die Nahrungsſäfte durch die gemeinſame Achſe wie dort
durch die Schwänze unſerer Ratten hindurchpulſieren können und
zugleich eine Fortbewegung an einer Ecke die ganze Quallenkette
wie ein einziges Individuum mitbewegt und als Ganzes dahin

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[222/0238] genügt das Freſſen der fünf. Da jede mit verteidigt wird, wenn fünf für alle beißen, ſo genügt die Beißerei der fünf. Und die dritten fünf ſchleppen alle anderen bequem mit vom Fleck. Jede hat ja ſonſt nichts zu thun als das eine und kann ihre ganze Kraft auf die eine Thätigkeit konzentrieren. Nicht lange: und die konſequente Arbeitsteilung wird Folgen am Leibe unſerer Sozialratten zeitigen. Die fünf, die bloß noch aufs Freſſen aus ſind, werden einen immer intenſiver arbeitenden Magen bekommen, ſonſt aber werden ſie faul werden, die Füße werden ihnen einſchnurren und allmählich werden ſie ganz lahm werden. Den fünf anderen, die fort¬ geſetzt bloß noch fauchen und beißen, wird umgekehrt der Mut und die Beißluſt immer energiſcher werden, aber der unbenutzte Magen wird ihnen ſchrumpfen und verkümmern: ſie brauchen ihn ja nicht. Und ſchließlich, wohin wird das führen? Die einen Ratten am König werden reinweg nur noch Magen ſein, die anderen nur noch beißende Köpfe und die dritten nur noch Springbeine. Betrachtete einer unverhofft jetzt das ganze Ungeheuer, ſo meinte er, nicht mehr zwanzig echte Ratten zu ſehen, ſondern ein einheitliches Geſchöpf der tollſten Art: mit fünf Beißköpfen, fünf Magen, fünf mal vier Beinen und ſo weiter. Der verwachſene Schwanzknäuel in der Mitte erſchiene wie der eigentliche Grundkörper dieſes wahnſinnigen Über¬ ſcheuſals, dieſer Kollektivratte nach der Methode Cerberus. Nun, mit den Ratten giebts ſo etwas nicht, und der arme Rattenkönig iſt alles andere eher als ein hölliſcher Cerberus: ein trauriges Zufallsgewächs eines ungeſunden Neſtes, nichts weiter. Wo aber die Sache wirklich ſich ſo ereignet hat, das iſt bei unſerer Siphonophore. Ein Haufen Quallen iſt aneinander feſt gewachſen, — ſo feſt, daß die Nahrungsſäfte durch die gemeinſame Achſe wie dort durch die Schwänze unſerer Ratten hindurchpulſieren können und zugleich eine Fortbewegung an einer Ecke die ganze Quallenkette wie ein einziges Individuum mitbewegt und als Ganzes dahin

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/238>, abgerufen am 06.05.2024.