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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Austern und von Trauben schwillt, wenn die Menschen sich nur
helfen, nur verständigen wollten .....

"Wie in der Muschel das heilige Meer
Wehmütig träumend klingt,
Also durch meine Seele
Träumende Sehnsucht singt."

Die Auster ist ein Tier. So viel weißt du wenigstens
als gewiß, nicht wahr?

Ein äußerst friedliches freilich, -- sie läßt sich von dir
ja lebendig aufessen und regt sich nicht. Vor dem Pflanzen¬
schlaf, der sie zu umfangen scheint, müßtest du eigentlich stutzen,
ob das wirklich noch ein Tier sei. Mindestens wirst du auf
ein ganz niedriges raten. Denke dir einen Wurm, wie er sich
krümmen würde, wenn du ihm sein Versteck sprengtest und ihn
auf einer Schüssel noch lebend ins elektrisch helle Kabinett eines
Großstadtrestaurants brächtest. Und doch ist diese reglose Mär¬
tyrerin höher organisiert als ein einfacher Wurm.

Mit ihr trittst du in ein zweites jener vier Stockwerke
höheren tierischen Lebens, die sich über den Würmern erheben.

Du stehst vor den Weichtieren.

Zwei Gruppen solcher Weichtiere begegnen dir im Leben
auf Schritt und Tritt, zwei, die du freilich in eins zusammen
und durcheinander zu werfen pflegst. Unser Sprachgebrauch
sondert sie an sich vollkommen richtig voneinander ab durch
zwei Worte, aber der Laie weiß eben diese Worte nicht richtig
zu gebrauchen und hält sie wohl einfach für Synonyma.

Das eine Wort lautet Muschel, das andere Schnecke.

Grob getrennt, läßt sich definieren: die Muschel ist das
Weichtier, das zwischen zwei Schalen steckt wie eine Scheibe
roten Schinkens zwischen zwei weißen Brotschnitten. Die köst¬
liche Auster in ihrem unscheinbaren Röcklein ist eine solche
Muschel und nicht minder die blaue Miesmuschel mit dem
dottergelben Kern. Dagegen ist die Schnecke entweder ganz
nackt wie unsere große rote, schwarze oder weißlichgrüne Weg¬

Auſtern und von Trauben ſchwillt, wenn die Menſchen ſich nur
helfen, nur verſtändigen wollten .....

„Wie in der Muſchel das heilige Meer
Wehmütig träumend klingt,
Alſo durch meine Seele
Träumende Sehnſucht ſingt.“

Die Auſter iſt ein Tier. So viel weißt du wenigſtens
als gewiß, nicht wahr?

Ein äußerſt friedliches freilich, — ſie läßt ſich von dir
ja lebendig aufeſſen und regt ſich nicht. Vor dem Pflanzen¬
ſchlaf, der ſie zu umfangen ſcheint, müßteſt du eigentlich ſtutzen,
ob das wirklich noch ein Tier ſei. Mindeſtens wirſt du auf
ein ganz niedriges raten. Denke dir einen Wurm, wie er ſich
krümmen würde, wenn du ihm ſein Verſteck ſprengteſt und ihn
auf einer Schüſſel noch lebend ins elektriſch helle Kabinett eines
Großſtadtreſtaurants brächteſt. Und doch iſt dieſe regloſe Mär¬
tyrerin höher organiſiert als ein einfacher Wurm.

Mit ihr trittſt du in ein zweites jener vier Stockwerke
höheren tieriſchen Lebens, die ſich über den Würmern erheben.

Du ſtehſt vor den Weichtieren.

Zwei Gruppen ſolcher Weichtiere begegnen dir im Leben
auf Schritt und Tritt, zwei, die du freilich in eins zuſammen
und durcheinander zu werfen pflegſt. Unſer Sprachgebrauch
ſondert ſie an ſich vollkommen richtig voneinander ab durch
zwei Worte, aber der Laie weiß eben dieſe Worte nicht richtig
zu gebrauchen und hält ſie wohl einfach für Synonyma.

Das eine Wort lautet Muſchel, das andere Schnecke.

Grob getrennt, läßt ſich definieren: die Muſchel iſt das
Weichtier, das zwiſchen zwei Schalen ſteckt wie eine Scheibe
roten Schinkens zwiſchen zwei weißen Brotſchnitten. Die köſt¬
liche Auſter in ihrem unſcheinbaren Röcklein iſt eine ſolche
Muſchel und nicht minder die blaue Miesmuſchel mit dem
dottergelben Kern. Dagegen iſt die Schnecke entweder ganz
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[281/0297] Auſtern und von Trauben ſchwillt, wenn die Menſchen ſich nur helfen, nur verſtändigen wollten ..... „Wie in der Muſchel das heilige Meer Wehmütig träumend klingt, Alſo durch meine Seele Träumende Sehnſucht ſingt.“ Die Auſter iſt ein Tier. So viel weißt du wenigſtens als gewiß, nicht wahr? Ein äußerſt friedliches freilich, — ſie läßt ſich von dir ja lebendig aufeſſen und regt ſich nicht. Vor dem Pflanzen¬ ſchlaf, der ſie zu umfangen ſcheint, müßteſt du eigentlich ſtutzen, ob das wirklich noch ein Tier ſei. Mindeſtens wirſt du auf ein ganz niedriges raten. Denke dir einen Wurm, wie er ſich krümmen würde, wenn du ihm ſein Verſteck ſprengteſt und ihn auf einer Schüſſel noch lebend ins elektriſch helle Kabinett eines Großſtadtreſtaurants brächteſt. Und doch iſt dieſe regloſe Mär¬ tyrerin höher organiſiert als ein einfacher Wurm. Mit ihr trittſt du in ein zweites jener vier Stockwerke höheren tieriſchen Lebens, die ſich über den Würmern erheben. Du ſtehſt vor den Weichtieren. Zwei Gruppen ſolcher Weichtiere begegnen dir im Leben auf Schritt und Tritt, zwei, die du freilich in eins zuſammen und durcheinander zu werfen pflegſt. Unſer Sprachgebrauch ſondert ſie an ſich vollkommen richtig voneinander ab durch zwei Worte, aber der Laie weiß eben dieſe Worte nicht richtig zu gebrauchen und hält ſie wohl einfach für Synonyma. Das eine Wort lautet Muſchel, das andere Schnecke. Grob getrennt, läßt ſich definieren: die Muſchel iſt das Weichtier, das zwiſchen zwei Schalen ſteckt wie eine Scheibe roten Schinkens zwiſchen zwei weißen Brotſchnitten. Die köſt¬ liche Auſter in ihrem unſcheinbaren Röcklein iſt eine ſolche Muſchel und nicht minder die blaue Miesmuſchel mit dem dottergelben Kern. Dagegen iſt die Schnecke entweder ganz nackt wie unſere große rote, ſchwarze oder weißlichgrüne Weg¬

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/297>, abgerufen am 29.04.2024.