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Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898.

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Vielmehr sahest du folgendes. Mann und Weib vereinigen
sich gelegentlich zu einem Begattungsakt. Der Mann zieht sich
nach dem Akt zurück, ohne sich um die Folgen zu kümmern.
Das Weib dagegen bringt jetzt die Jungen hervor und sorgt
für ihr Wohl, so weit es das kann: sei es, daß es sie als
Kellerfrau im Bauchbeutel wie ein Känguruh hegt, sei es, daß
es, wie die Spinne, wenigstens ein sicheres Eiernest baut und
bis zu seinem eigenen herbstlichen Lebensende als treue Ver¬
teidigerin bewacht. Also die Kinderpflegerin ist ideell doch
da, -- aber sie fällt einfach zusammen mit dem Weibe,
mit der Mutter.

Wir haben in einem fremden, aber innerlich ähnlichen
Falle, beim Stichling, gesehen, daß auch der Vater gelegentlich
die Kinderpflege übernehmen kann, und ich habe dir angedeutet,
was von hier aus im höheren Sinne alles für die Ehe sich
folgern ließ. Doch das geht uns hier nichts an. Wir ver¬
folgen den Weg jetzt erst noch einmal einseitig über Spinne
und Kellertier und sehen, was die Biene aus dem Prinzip
gemacht hat.

Ganz offenbar ging die Biene von dem dort üblichen
Prinzip gleichsam wie einem Urprogramm aus. Die Drohne,
der Bienenmann, bekümmert sich ja auch bei ihr absolut nicht
um die Kinderpflege. Also von Stichlingverhältnissen oder gar
von noch höheren, wo beide Eltern sich der Kinderpflege
widmen, ist keine Rede. Auch hier steht die Kinderpflege aus¬
schließlich beim Weibe. Du hast ja gesehen: auch die Vestalin
war ursprünglich ein "Weib", wenn schon ein verkümmertes.
Aber dabei das ganz Merkwürdige doch: diese Vestalin pflegt
nicht ihre eigenen Kinder, sondern die der Königin. Du hast
eben einfach zweierlei Sorten Weiber hier.

Das eine Weib -- die Königin -- ist Mutter bloß im
Sinne, daß es sich begatten läßt und Eier legt. Das andere
Weib -- die Vestalin -- ist Mutter umgekehrt bloß in dem
Sinne, daß es jene von dem anderen Weibe realiter gelegten

Vielmehr ſaheſt du folgendes. Mann und Weib vereinigen
ſich gelegentlich zu einem Begattungsakt. Der Mann zieht ſich
nach dem Akt zurück, ohne ſich um die Folgen zu kümmern.
Das Weib dagegen bringt jetzt die Jungen hervor und ſorgt
für ihr Wohl, ſo weit es das kann: ſei es, daß es ſie als
Kellerfrau im Bauchbeutel wie ein Känguruh hegt, ſei es, daß
es, wie die Spinne, wenigſtens ein ſicheres Eierneſt baut und
bis zu ſeinem eigenen herbſtlichen Lebensende als treue Ver¬
teidigerin bewacht. Alſo die Kinderpflegerin iſt ideell doch
da, — aber ſie fällt einfach zuſammen mit dem Weibe,
mit der Mutter.

Wir haben in einem fremden, aber innerlich ähnlichen
Falle, beim Stichling, geſehen, daß auch der Vater gelegentlich
die Kinderpflege übernehmen kann, und ich habe dir angedeutet,
was von hier aus im höheren Sinne alles für die Ehe ſich
folgern ließ. Doch das geht uns hier nichts an. Wir ver¬
folgen den Weg jetzt erſt noch einmal einſeitig über Spinne
und Kellertier und ſehen, was die Biene aus dem Prinzip
gemacht hat.

Ganz offenbar ging die Biene von dem dort üblichen
Prinzip gleichſam wie einem Urprogramm aus. Die Drohne,
der Bienenmann, bekümmert ſich ja auch bei ihr abſolut nicht
um die Kinderpflege. Alſo von Stichlingverhältniſſen oder gar
von noch höheren, wo beide Eltern ſich der Kinderpflege
widmen, iſt keine Rede. Auch hier ſteht die Kinderpflege aus¬
ſchließlich beim Weibe. Du haſt ja geſehen: auch die Veſtalin
war urſprünglich ein „Weib“, wenn ſchon ein verkümmertes.
Aber dabei das ganz Merkwürdige doch: dieſe Veſtalin pflegt
nicht ihre eigenen Kinder, ſondern die der Königin. Du haſt
eben einfach zweierlei Sorten Weiber hier.

Das eine Weib — die Königin — iſt Mutter bloß im
Sinne, daß es ſich begatten läßt und Eier legt. Das andere
Weib — die Veſtalin — iſt Mutter umgekehrt bloß in dem
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[393/0409] Vielmehr ſaheſt du folgendes. Mann und Weib vereinigen ſich gelegentlich zu einem Begattungsakt. Der Mann zieht ſich nach dem Akt zurück, ohne ſich um die Folgen zu kümmern. Das Weib dagegen bringt jetzt die Jungen hervor und ſorgt für ihr Wohl, ſo weit es das kann: ſei es, daß es ſie als Kellerfrau im Bauchbeutel wie ein Känguruh hegt, ſei es, daß es, wie die Spinne, wenigſtens ein ſicheres Eierneſt baut und bis zu ſeinem eigenen herbſtlichen Lebensende als treue Ver¬ teidigerin bewacht. Alſo die Kinderpflegerin iſt ideell doch da, — aber ſie fällt einfach zuſammen mit dem Weibe, mit der Mutter. Wir haben in einem fremden, aber innerlich ähnlichen Falle, beim Stichling, geſehen, daß auch der Vater gelegentlich die Kinderpflege übernehmen kann, und ich habe dir angedeutet, was von hier aus im höheren Sinne alles für die Ehe ſich folgern ließ. Doch das geht uns hier nichts an. Wir ver¬ folgen den Weg jetzt erſt noch einmal einſeitig über Spinne und Kellertier und ſehen, was die Biene aus dem Prinzip gemacht hat. Ganz offenbar ging die Biene von dem dort üblichen Prinzip gleichſam wie einem Urprogramm aus. Die Drohne, der Bienenmann, bekümmert ſich ja auch bei ihr abſolut nicht um die Kinderpflege. Alſo von Stichlingverhältniſſen oder gar von noch höheren, wo beide Eltern ſich der Kinderpflege widmen, iſt keine Rede. Auch hier ſteht die Kinderpflege aus¬ ſchließlich beim Weibe. Du haſt ja geſehen: auch die Veſtalin war urſprünglich ein „Weib“, wenn ſchon ein verkümmertes. Aber dabei das ganz Merkwürdige doch: dieſe Veſtalin pflegt nicht ihre eigenen Kinder, ſondern die der Königin. Du haſt eben einfach zweierlei Sorten Weiber hier. Das eine Weib — die Königin — iſt Mutter bloß im Sinne, daß es ſich begatten läßt und Eier legt. Das andere Weib — die Veſtalin — iſt Mutter umgekehrt bloß in dem Sinne, daß es jene von dem anderen Weibe realiter gelegten

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Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 1. Florenz u. a., 1898, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben01_1898/409>, abgerufen am 29.04.2024.