Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

eine neue Generation zum Experiment an die Reihe kam. Wir
zeugten diese Generation, -- aber sie duldete dann für sich und
ging über unsern Gräbern ihren Weg mit nackten Füßen auf
dem Rasiermesser weiter. Mochte man sich dabei beruhigen.

Aber du schaust um dich und du siehst, daß dieser ein¬
fache Akt noch wieder umwickelt ist mit einem ganzen Gewebe
von Absurditäten.

Da ist zunächst die ungeheure Verschwendung, die ihn um¬
giebt. Ein Vergeuden der Zeugungsstoffe ohnegleichen.

Ein neuer Mensch soll stets nur entstehen durch die
Mischung einer Eizelle mit einer Samenzelle, und damit diese
Mischung zu stande komme, ist ein Geschlechtsakt zwischen Mann
und Weib nötig. Gut. Das sei die Grundlage. Die Mensch¬
heit soll erhalten bleiben. In den fünfzehnhundert Millionen
Menschen auf Erden soll jeder Sterbefall stets wieder ersetzt
werden durch einen Geburtsakt. Zu dem Zweck sind ganz
folgerichtig von diesen fünfzehnhundert Millionen Menschen die
Hälfte Weiber und die andere Männer. Die genaue Ver¬
teilungsziffer schwankt im einzelnen etwas, so weit sie bekannt
ist. Aber doch nicht so, daß man nicht im ganzen rund
halbieren könnte. Diese Männlein und Weiblein einigen sich
und aus der Einigung erwachsen Kinder. Zwei gesunde, weiter
lebende Kinder, die Vater und Mutter bei deren Sterbefall
ersetzen, -- und das Problem der Menschheitserhaltung wäre
gelöst. So überaus einfach.

Zu diesen beiden Kindern wären aber ausgespart beim
Weibe gerade zwei Eizellen und beim Manne zwei Samen¬
zellen nötig. Jede Eizelle hat die Größe des Pünktchens, das
du mit einem sehr hart zugespitzten Bleistift auf dem Papier
senkrecht eben noch erzeugen kannst. Ein Fünftel eines Milli¬
meters in Länge wie Breite. Die beiden zusammen ergeben
aneinander gelegt also einen etwas dickeren Punkt von noch
nicht ganz einem halben Millimeter Breite. Jedes männliche
Samentierchen ist aber sogar nur ein Zwanzigstel eines solchen

eine neue Generation zum Experiment an die Reihe kam. Wir
zeugten dieſe Generation, — aber ſie duldete dann für ſich und
ging über unſern Gräbern ihren Weg mit nackten Füßen auf
dem Raſiermeſſer weiter. Mochte man ſich dabei beruhigen.

Aber du ſchauſt um dich und du ſiehſt, daß dieſer ein¬
fache Akt noch wieder umwickelt iſt mit einem ganzen Gewebe
von Abſurditäten.

Da iſt zunächſt die ungeheure Verſchwendung, die ihn um¬
giebt. Ein Vergeuden der Zeugungsſtoffe ohnegleichen.

Ein neuer Menſch ſoll ſtets nur entſtehen durch die
Miſchung einer Eizelle mit einer Samenzelle, und damit dieſe
Miſchung zu ſtande komme, iſt ein Geſchlechtsakt zwiſchen Mann
und Weib nötig. Gut. Das ſei die Grundlage. Die Menſch¬
heit ſoll erhalten bleiben. In den fünfzehnhundert Millionen
Menſchen auf Erden ſoll jeder Sterbefall ſtets wieder erſetzt
werden durch einen Geburtsakt. Zu dem Zweck ſind ganz
folgerichtig von dieſen fünfzehnhundert Millionen Menſchen die
Hälfte Weiber und die andere Männer. Die genaue Ver¬
teilungsziffer ſchwankt im einzelnen etwas, ſo weit ſie bekannt
iſt. Aber doch nicht ſo, daß man nicht im ganzen rund
halbieren könnte. Dieſe Männlein und Weiblein einigen ſich
und aus der Einigung erwachſen Kinder. Zwei geſunde, weiter
lebende Kinder, die Vater und Mutter bei deren Sterbefall
erſetzen, — und das Problem der Menſchheitserhaltung wäre
gelöſt. So überaus einfach.

Zu dieſen beiden Kindern wären aber ausgeſpart beim
Weibe gerade zwei Eizellen und beim Manne zwei Samen¬
zellen nötig. Jede Eizelle hat die Größe des Pünktchens, das
du mit einem ſehr hart zugeſpitzten Bleiſtift auf dem Papier
ſenkrecht eben noch erzeugen kannſt. Ein Fünftel eines Milli¬
meters in Länge wie Breite. Die beiden zuſammen ergeben
aneinander gelegt alſo einen etwas dickeren Punkt von noch
nicht ganz einem halben Millimeter Breite. Jedes männliche
Samentierchen iſt aber ſogar nur ein Zwanzigſtel eines ſolchen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0183" n="167"/>
eine neue Generation zum Experiment an die Reihe kam. Wir<lb/>
zeugten die&#x017F;e Generation, &#x2014; aber &#x017F;ie duldete dann für &#x017F;ich und<lb/>
ging über un&#x017F;ern Gräbern ihren Weg mit nackten Füßen auf<lb/>
dem Ra&#x017F;ierme&#x017F;&#x017F;er weiter. Mochte man &#x017F;ich dabei beruhigen.</p><lb/>
        <p>Aber du &#x017F;chau&#x017F;t um dich und du &#x017F;ieh&#x017F;t, daß die&#x017F;er ein¬<lb/>
fache Akt noch wieder umwickelt i&#x017F;t mit einem ganzen Gewebe<lb/>
von Ab&#x017F;urditäten.</p><lb/>
        <p>Da i&#x017F;t zunäch&#x017F;t die ungeheure Ver&#x017F;chwendung, die ihn um¬<lb/>
giebt. Ein Vergeuden der Zeugungs&#x017F;toffe ohnegleichen.</p><lb/>
        <p>Ein neuer Men&#x017F;ch &#x017F;oll &#x017F;tets nur ent&#x017F;tehen durch die<lb/>
Mi&#x017F;chung einer Eizelle mit einer Samenzelle, und damit die&#x017F;e<lb/>
Mi&#x017F;chung zu &#x017F;tande komme, i&#x017F;t ein Ge&#x017F;chlechtsakt zwi&#x017F;chen Mann<lb/>
und Weib nötig. Gut. Das &#x017F;ei die Grundlage. Die Men&#x017F;ch¬<lb/>
heit &#x017F;oll erhalten bleiben. In den fünfzehnhundert Millionen<lb/>
Men&#x017F;chen auf Erden &#x017F;oll jeder Sterbefall &#x017F;tets wieder er&#x017F;etzt<lb/>
werden durch einen Geburtsakt. Zu dem Zweck &#x017F;ind ganz<lb/>
folgerichtig von die&#x017F;en fünfzehnhundert Millionen Men&#x017F;chen die<lb/>
Hälfte Weiber und die andere Männer. Die genaue Ver¬<lb/>
teilungsziffer &#x017F;chwankt im einzelnen etwas, &#x017F;o weit &#x017F;ie bekannt<lb/>
i&#x017F;t. Aber doch nicht &#x017F;o, daß man nicht im ganzen rund<lb/>
halbieren könnte. Die&#x017F;e Männlein und Weiblein einigen &#x017F;ich<lb/>
und aus der Einigung erwach&#x017F;en Kinder. Zwei ge&#x017F;unde, weiter<lb/>
lebende Kinder, die Vater und Mutter bei deren Sterbefall<lb/>
er&#x017F;etzen, &#x2014; und das Problem der Men&#x017F;chheitserhaltung wäre<lb/>
gelö&#x017F;t. So überaus einfach.</p><lb/>
        <p>Zu die&#x017F;en beiden Kindern wären aber ausge&#x017F;part beim<lb/>
Weibe gerade zwei Eizellen und beim Manne zwei Samen¬<lb/>
zellen nötig. Jede Eizelle hat die Größe des Pünktchens, das<lb/>
du mit einem &#x017F;ehr hart zuge&#x017F;pitzten Blei&#x017F;tift auf dem Papier<lb/>
&#x017F;enkrecht eben noch erzeugen kann&#x017F;t. Ein Fünftel eines Milli¬<lb/>
meters in Länge wie Breite. Die beiden zu&#x017F;ammen ergeben<lb/>
aneinander gelegt al&#x017F;o einen etwas dickeren Punkt von noch<lb/>
nicht ganz einem halben Millimeter Breite. Jedes männliche<lb/>
Samentierchen i&#x017F;t aber &#x017F;ogar nur ein Zwanzig&#x017F;tel eines &#x017F;olchen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0183] eine neue Generation zum Experiment an die Reihe kam. Wir zeugten dieſe Generation, — aber ſie duldete dann für ſich und ging über unſern Gräbern ihren Weg mit nackten Füßen auf dem Raſiermeſſer weiter. Mochte man ſich dabei beruhigen. Aber du ſchauſt um dich und du ſiehſt, daß dieſer ein¬ fache Akt noch wieder umwickelt iſt mit einem ganzen Gewebe von Abſurditäten. Da iſt zunächſt die ungeheure Verſchwendung, die ihn um¬ giebt. Ein Vergeuden der Zeugungsſtoffe ohnegleichen. Ein neuer Menſch ſoll ſtets nur entſtehen durch die Miſchung einer Eizelle mit einer Samenzelle, und damit dieſe Miſchung zu ſtande komme, iſt ein Geſchlechtsakt zwiſchen Mann und Weib nötig. Gut. Das ſei die Grundlage. Die Menſch¬ heit ſoll erhalten bleiben. In den fünfzehnhundert Millionen Menſchen auf Erden ſoll jeder Sterbefall ſtets wieder erſetzt werden durch einen Geburtsakt. Zu dem Zweck ſind ganz folgerichtig von dieſen fünfzehnhundert Millionen Menſchen die Hälfte Weiber und die andere Männer. Die genaue Ver¬ teilungsziffer ſchwankt im einzelnen etwas, ſo weit ſie bekannt iſt. Aber doch nicht ſo, daß man nicht im ganzen rund halbieren könnte. Dieſe Männlein und Weiblein einigen ſich und aus der Einigung erwachſen Kinder. Zwei geſunde, weiter lebende Kinder, die Vater und Mutter bei deren Sterbefall erſetzen, — und das Problem der Menſchheitserhaltung wäre gelöſt. So überaus einfach. Zu dieſen beiden Kindern wären aber ausgeſpart beim Weibe gerade zwei Eizellen und beim Manne zwei Samen¬ zellen nötig. Jede Eizelle hat die Größe des Pünktchens, das du mit einem ſehr hart zugeſpitzten Bleiſtift auf dem Papier ſenkrecht eben noch erzeugen kannſt. Ein Fünftel eines Milli¬ meters in Länge wie Breite. Die beiden zuſammen ergeben aneinander gelegt alſo einen etwas dickeren Punkt von noch nicht ganz einem halben Millimeter Breite. Jedes männliche Samentierchen iſt aber ſogar nur ein Zwanzigſtel eines ſolchen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/183
Zitationshilfe: Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/183>, abgerufen am 29.04.2024.