sein. Ferner hat er seine prachtvollen karmoisinroten und himmelblauen Federn. Er selber hat Schönheitsbewußtsein genug, um diese Federn schön zu finden. Und ich finde sie auch schön. Er und ich sind uns unverkennbar näher gekommen -- bis auf einen Punkt.
Rafael schafft in der Kette der Ursachen sein Bild, proji¬ ziert gleichsam sein Gehirn darin nach außen. Aber was -- und hier kommt die Grundfrage -- was hat das Gehirn des Vogels (bei all seiner Verwandtschaft mit dem meinigen) mit dem eigenen Federkleide des Vogels hinsichtlich der Ent¬ stehung dieses Federkleides zu thun?
Hat der Vogel etwa sich selber so schön gemacht, weil er es so für schön befand und so aussehen wollte?
Ist mit anderen Worten die That des schönheitsdurstigen Paradiesvogels sein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre der Kreis auch hier geschlossen. Der Rudolfs-Paradiesvogel hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das ist genau so (natürlich ins Menschliche verstärkt) der Fall bei Rafael. Rafael schafft sein Bild, das mir schön erscheint, weil ich ein ähnliches Gehirn mit (wenigstens passiver) Schönheitsempfindung habe. Der Paradiesvogel schafft seine blaue Federnpracht, die mir schön erscheint, weil ich ein auch diesem Paradiesvogel immer¬ hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer ihm ebenfalls ähnlichen Art besitze.
Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres eine so ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis zu schließen?
Der Vogel soll von seinem Gehirn und ästhetischen Können aus sich selber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!
Er soll sein eigener Künstler gewesen sein in einem Sinne, der alles andere Kunstschaffen wie ein Kinderspiel in den Schatten zu stellen scheint.
Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er schaute innerlich ein herrliches Kunstideal, die Sixtinische Madonna,
ſein. Ferner hat er ſeine prachtvollen karmoiſinroten und himmelblauen Federn. Er ſelber hat Schönheitsbewußtſein genug, um dieſe Federn ſchön zu finden. Und ich finde ſie auch ſchön. Er und ich ſind uns unverkennbar näher gekommen — bis auf einen Punkt.
Rafael ſchafft in der Kette der Urſachen ſein Bild, proji¬ ziert gleichſam ſein Gehirn darin nach außen. Aber was — und hier kommt die Grundfrage — was hat das Gehirn des Vogels (bei all ſeiner Verwandtſchaft mit dem meinigen) mit dem eigenen Federkleide des Vogels hinſichtlich der Ent¬ ſtehung dieſes Federkleides zu thun?
Hat der Vogel etwa ſich ſelber ſo ſchön gemacht, weil er es ſo für ſchön befand und ſo ausſehen wollte?
Iſt mit anderen Worten die That des ſchönheitsdurſtigen Paradiesvogels ſein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre der Kreis auch hier geſchloſſen. Der Rudolfs-Paradiesvogel hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das iſt genau ſo (natürlich ins Menſchliche verſtärkt) der Fall bei Rafael. Rafael ſchafft ſein Bild, das mir ſchön erſcheint, weil ich ein ähnliches Gehirn mit (wenigſtens paſſiver) Schönheitsempfindung habe. Der Paradiesvogel ſchafft ſeine blaue Federnpracht, die mir ſchön erſcheint, weil ich ein auch dieſem Paradiesvogel immer¬ hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer ihm ebenfalls ähnlichen Art beſitze.
Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres eine ſo ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis zu ſchließen?
Der Vogel ſoll von ſeinem Gehirn und äſthetiſchen Können aus ſich ſelber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!
Er ſoll ſein eigener Künſtler geweſen ſein in einem Sinne, der alles andere Kunſtſchaffen wie ein Kinderſpiel in den Schatten zu ſtellen ſcheint.
Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er ſchaute innerlich ein herrliches Kunſtideal, die Sixtiniſche Madonna,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0377"n="361"/>ſein. Ferner <hirendition="#g">hat</hi> er ſeine prachtvollen karmoiſinroten und<lb/>
himmelblauen Federn. Er ſelber hat Schönheitsbewußtſein<lb/>
genug, um dieſe Federn ſchön zu finden. Und ich finde ſie<lb/>
auch ſchön. Er und ich ſind uns unverkennbar näher gekommen<lb/>— bis auf einen Punkt.</p><lb/><p>Rafael ſchafft in der Kette der Urſachen ſein Bild, proji¬<lb/>
ziert gleichſam ſein Gehirn darin nach außen. Aber was —<lb/>
und hier kommt die Grundfrage — was hat das Gehirn des<lb/>
Vogels (bei all ſeiner Verwandtſchaft mit dem meinigen) mit<lb/>
dem <hirendition="#g">eigenen Federkleide</hi> des Vogels hinſichtlich der <hirendition="#g">Ent¬<lb/>ſtehung</hi> dieſes Federkleides zu thun?</p><lb/><p>Hat der Vogel etwa ſich ſelber ſo ſchön gemacht, weil er<lb/>
es ſo für ſchön befand und ſo ausſehen <hirendition="#g">wollte</hi>?</p><lb/><p>Iſt mit anderen Worten die That des ſchönheitsdurſtigen<lb/>
Paradiesvogels ſein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre<lb/>
der Kreis auch hier geſchloſſen. Der Rudolfs-Paradiesvogel<lb/>
hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das iſt genau ſo<lb/>
(natürlich ins Menſchliche verſtärkt) der Fall bei Rafael. Rafael<lb/>ſchafft ſein Bild, das mir ſchön erſcheint, weil ich ein ähnliches<lb/>
Gehirn mit (wenigſtens paſſiver) Schönheitsempfindung habe.<lb/>
Der Paradiesvogel ſchafft ſeine blaue Federnpracht, die mir<lb/>ſchön erſcheint, weil ich ein auch dieſem Paradiesvogel immer¬<lb/>
hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer<lb/>
ihm ebenfalls ähnlichen Art beſitze.</p><lb/><p>Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres<lb/>
eine ſo ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis<lb/>
zu ſchließen?</p><lb/><p>Der Vogel ſoll von <hirendition="#g">ſeinem</hi> Gehirn und äſthetiſchen Können<lb/>
aus <hirendition="#g">ſich ſelber</hi> die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!</p><lb/><p>Er ſoll ſein eigener Künſtler geweſen ſein in einem Sinne,<lb/>
der alles andere Kunſtſchaffen wie ein Kinderſpiel in den<lb/>
Schatten zu ſtellen ſcheint.</p><lb/><p>Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er ſchaute<lb/>
innerlich ein herrliches Kunſtideal, die Sixtiniſche Madonna,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[361/0377]
ſein. Ferner hat er ſeine prachtvollen karmoiſinroten und
himmelblauen Federn. Er ſelber hat Schönheitsbewußtſein
genug, um dieſe Federn ſchön zu finden. Und ich finde ſie
auch ſchön. Er und ich ſind uns unverkennbar näher gekommen
— bis auf einen Punkt.
Rafael ſchafft in der Kette der Urſachen ſein Bild, proji¬
ziert gleichſam ſein Gehirn darin nach außen. Aber was —
und hier kommt die Grundfrage — was hat das Gehirn des
Vogels (bei all ſeiner Verwandtſchaft mit dem meinigen) mit
dem eigenen Federkleide des Vogels hinſichtlich der Ent¬
ſtehung dieſes Federkleides zu thun?
Hat der Vogel etwa ſich ſelber ſo ſchön gemacht, weil er
es ſo für ſchön befand und ſo ausſehen wollte?
Iſt mit anderen Worten die That des ſchönheitsdurſtigen
Paradiesvogels ſein eigenes Federkleid? Dann, ja dann wäre
der Kreis auch hier geſchloſſen. Der Rudolfs-Paradiesvogel
hat ein Gehirn mit Schönheitsidealen. Das iſt genau ſo
(natürlich ins Menſchliche verſtärkt) der Fall bei Rafael. Rafael
ſchafft ſein Bild, das mir ſchön erſcheint, weil ich ein ähnliches
Gehirn mit (wenigſtens paſſiver) Schönheitsempfindung habe.
Der Paradiesvogel ſchafft ſeine blaue Federnpracht, die mir
ſchön erſcheint, weil ich ein auch dieſem Paradiesvogel immer¬
hin noch ähnliches Gehirn mit Schönheitsempfindung von einer
ihm ebenfalls ähnlichen Art beſitze.
Aber wer in aller Welt giebt uns das Recht, ohne weiteres
eine ſo ungeheuerliche Annahme zu machen, um jenen Kreis
zu ſchließen?
Der Vogel ſoll von ſeinem Gehirn und äſthetiſchen Können
aus ſich ſelber die herrlichen Federn an den Leib gebracht haben!
Er ſoll ſein eigener Künſtler geweſen ſein in einem Sinne,
der alles andere Kunſtſchaffen wie ein Kinderſpiel in den
Schatten zu ſtellen ſcheint.
Nehmen wir noch einmal Rafael als Vergleich. Er ſchaute
innerlich ein herrliches Kunſtideal, die Sixtiniſche Madonna,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bölsche, Wilhelm: Das Liebesleben in der Natur. Bd. 2. Leipzig, 1900, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boelsche_liebesleben02_1900/377>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.