Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren -- und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit und Recht! Solche Menschen beweisen besser, daß es einen Gott gibt, als das alte und neue Testament und der Koran zusammen. Noch heute, zwar von vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von allen verkannt, wird er nur von seinen Feinden nicht betrogen, die ihren Haß offen aussprechen; aber von seinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuscht und oft verspottet. Er ist wie ein Gottesbild im Tem¬ pel, in dessen Namen heuchlerische Priester fordern, wonach ihnen selbst gelüstet, und die heimlich das gläubige Volk und seinen Gott auslachen. Er aber gehet seinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und unbekümmert, ob die Guten sein Licht zu guten Handlungen oder die Bösen zu schlechten gebrauchen. Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich Lafayette's würdig ist! Aber es wird einmal kom¬ men. Er erscheint mir wie die Mauer einer neu¬ zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und inwendig ist noch alles öde und kein Haus ist gebauet.
Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren — und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬ pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern, wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen. Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬ men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬ zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.
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Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren —
und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit
und Recht! Solche Menſchen beweiſen beſſer, daß
es einen Gott gibt, als das alte und neue Teſtament
und der Koran zuſammen. Noch heute, zwar von
vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von
allen verkannt, wird er nur von ſeinen Feinden nicht
betrogen, die ihren Haß offen ausſprechen; aber von
ſeinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuſcht und
oft verſpottet. Er iſt wie ein Gottesbild im Tem¬
pel, in deſſen Namen heuchleriſche Prieſter fordern,
wonach ihnen ſelbſt gelüſtet, und die heimlich das
gläubige Volk und ſeinen Gott auslachen. Er aber
gehet ſeinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und
unbekümmert, ob die Guten ſein Licht zu guten
Handlungen oder die Böſen zu ſchlechten gebrauchen.
Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich
Lafayette's würdig iſt! Aber es wird einmal kom¬
men. Er erſcheint mir wie die Mauer einer neu¬
zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und
inwendig iſt noch alles öde und kein Haus iſt gebauet.
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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/164>, abgerufen am 01.05.2024.
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