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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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Gestern Abend war ich in einer Gesellschaft,
die man in Paris nicht suchen würde -- in einer
philosophischen: "Conversations phiosophi¬
ques"
stehet über den gedruckten Einlaßkarten.
Junge Leute, Schriftsteller und andere, aber sehr
elegante Herren, mit den feinsten Röcken und Cra¬
vatten, versammeln sich an bestimmten Tagen in ei¬
nem sehr eleganten Lokale, und philosophiren bei
Limonade, Orgeade und Himbeersaft. Mir war das
amusanter als die Varietes. Immer zwei stehen
beisammen, um sie bildet sich eine Zuhörer-Gruppe,
und wird dann gestritten über Gott, Unsterblichkeit,
äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß
es eine Lust ist. Hegel würde vergehen vor Lachen.
Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komischeres.
Und doch begreife ich nicht recht, warum diese gu¬
ten Leuten darin so zurück sind. Zwar waren die
Franzosen nie tiefsinnige Philosophen auf deutsche
Art; doch hatten sie im vorigen Jahrhunderte in
einer gewissen praktischen Philosophie viel Gewandt¬
heit erlangt, und die Schriften und die Gesellschaf¬
ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon.
Es scheint aber, in der Revolution haben sie das
alles wieder vergessen, und die jungen Leute fangen
jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich
auch mit Philosophie beschäftigt? Ich sagte: O
gewiß, uns Deutschen ist die Philosophie Kinderbrei.

Geſtern Abend war ich in einer Geſellſchaft,
die man in Paris nicht ſuchen würde — in einer
philoſophiſchen: „Conversations phiosophi¬
ques“
ſtehet über den gedruckten Einlaßkarten.
Junge Leute, Schriftſteller und andere, aber ſehr
elegante Herren, mit den feinſten Röcken und Cra¬
vatten, verſammeln ſich an beſtimmten Tagen in ei¬
nem ſehr eleganten Lokale, und philoſophiren bei
Limonade, Orgeade und Himbeerſaft. Mir war das
amuſanter als die Varietés. Immer zwei ſtehen
beiſammen, um ſie bildet ſich eine Zuhörer-Gruppe,
und wird dann geſtritten über Gott, Unſterblichkeit,
äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß
es eine Luſt iſt. Hegel würde vergehen vor Lachen.
Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komiſcheres.
Und doch begreife ich nicht recht, warum dieſe gu¬
ten Leuten darin ſo zurück ſind. Zwar waren die
Franzoſen nie tiefſinnige Philoſophen auf deutſche
Art; doch hatten ſie im vorigen Jahrhunderte in
einer gewiſſen praktiſchen Philoſophie viel Gewandt¬
heit erlangt, und die Schriften und die Geſellſchaf¬
ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon.
Es ſcheint aber, in der Revolution haben ſie das
alles wieder vergeſſen, und die jungen Leute fangen
jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich
auch mit Philoſophie beſchäftigt? Ich ſagte: O
gewiß, uns Deutſchen iſt die Philoſophie Kinderbrei.

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[164/0178] Geſtern Abend war ich in einer Geſellſchaft, die man in Paris nicht ſuchen würde — in einer philoſophiſchen: „Conversations phiosophi¬ ques“ ſtehet über den gedruckten Einlaßkarten. Junge Leute, Schriftſteller und andere, aber ſehr elegante Herren, mit den feinſten Röcken und Cra¬ vatten, verſammeln ſich an beſtimmten Tagen in ei¬ nem ſehr eleganten Lokale, und philoſophiren bei Limonade, Orgeade und Himbeerſaft. Mir war das amuſanter als die Varietés. Immer zwei ſtehen beiſammen, um ſie bildet ſich eine Zuhörer-Gruppe, und wird dann geſtritten über Gott, Unſterblichkeit, äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß es eine Luſt iſt. Hegel würde vergehen vor Lachen. Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komiſcheres. Und doch begreife ich nicht recht, warum dieſe gu¬ ten Leuten darin ſo zurück ſind. Zwar waren die Franzoſen nie tiefſinnige Philoſophen auf deutſche Art; doch hatten ſie im vorigen Jahrhunderte in einer gewiſſen praktiſchen Philoſophie viel Gewandt¬ heit erlangt, und die Schriften und die Geſellſchaf¬ ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon. Es ſcheint aber, in der Revolution haben ſie das alles wieder vergeſſen, und die jungen Leute fangen jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich auch mit Philoſophie beſchäftigt? Ich ſagte: O gewiß, uns Deutſchen iſt die Philoſophie Kinderbrei.

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/178>, abgerufen am 04.05.2024.