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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832.

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werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬
liche Lüge: Der deutsche Bund hat die Pre߬
freiheit beschlossen
.

-- Also *** hat sich gescheut nach Pesth zu
gehen, und schon in Ungarn fürchtet man die Cho¬
lera morbus
? In Gallizien, drei Tagereisen von
Wien, und in Russisch-Polen ist sie nach bestimmten
Nachrichten auch schon ausgebrochen. Mir macht
das sehr bange. Nicht wegen der sinnlichen Schrek¬
ken, welche die Pest begleiten -- das ist ein Schrek¬
ken, der sich selbst verzehrt, das ist zu furchtbar,
um sich lange davor zu fürchten -- aber die ver¬
derblichen Folgen! Die Lähmung des Geistes, welche
im Volke nach jeder Pest zurück bleibt! Das kann
alten Frost zurück führen, und die Freiheit, die noch
auf dem Felde steht, zu Grunde richten. In solchen
Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft
ihn an, und da kommen gleich die Fürsten und mel¬
den sich als dessen Stellvertreter. Was kein Kaiser
von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das
kann die Pest verhindern. Dann kommen die Pfaf¬
fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann
lassen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande
räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge
Gesetze sind dann nöthig und heilsam. Die Pest
geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬
schrockene Volk wieder zur Besinnung kommt, sind

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werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬
liche Lüge: Der deutſche Bund hat die Pre߬
freiheit beſchloſſen
.

— Alſo *** hat ſich geſcheut nach Peſth zu
gehen, und ſchon in Ungarn fürchtet man die Cho¬
lera morbus
? In Gallizien, drei Tagereiſen von
Wien, und in Ruſſiſch-Polen iſt ſie nach beſtimmten
Nachrichten auch ſchon ausgebrochen. Mir macht
das ſehr bange. Nicht wegen der ſinnlichen Schrek¬
ken, welche die Peſt begleiten — das iſt ein Schrek¬
ken, der ſich ſelbſt verzehrt, das iſt zu furchtbar,
um ſich lange davor zu fürchten — aber die ver¬
derblichen Folgen! Die Lähmung des Geiſtes, welche
im Volke nach jeder Peſt zurück bleibt! Das kann
alten Froſt zurück führen, und die Freiheit, die noch
auf dem Felde ſteht, zu Grunde richten. In ſolchen
Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft
ihn an, und da kommen gleich die Fürſten und mel¬
den ſich als deſſen Stellvertreter. Was kein Kaiſer
von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das
kann die Peſt verhindern. Dann kommen die Pfaf¬
fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann
laſſen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande
räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge
Geſetze ſind dann nöthig und heilſam. Die Peſt
geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬
ſchrockene Volk wieder zur Beſinnung kommt, ſind

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[209/0223] werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬ liche Lüge: Der deutſche Bund hat die Pre߬ freiheit beſchloſſen. — Alſo *** hat ſich geſcheut nach Peſth zu gehen, und ſchon in Ungarn fürchtet man die Cho¬ lera morbus? In Gallizien, drei Tagereiſen von Wien, und in Ruſſiſch-Polen iſt ſie nach beſtimmten Nachrichten auch ſchon ausgebrochen. Mir macht das ſehr bange. Nicht wegen der ſinnlichen Schrek¬ ken, welche die Peſt begleiten — das iſt ein Schrek¬ ken, der ſich ſelbſt verzehrt, das iſt zu furchtbar, um ſich lange davor zu fürchten — aber die ver¬ derblichen Folgen! Die Lähmung des Geiſtes, welche im Volke nach jeder Peſt zurück bleibt! Das kann alten Froſt zurück führen, und die Freiheit, die noch auf dem Felde ſteht, zu Grunde richten. In ſolchen Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft ihn an, und da kommen gleich die Fürſten und mel¬ den ſich als deſſen Stellvertreter. Was kein Kaiſer von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das kann die Peſt verhindern. Dann kommen die Pfaf¬ fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann laſſen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge Geſetze ſind dann nöthig und heilſam. Die Peſt geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬ ſchrockene Volk wieder zur Beſinnung kommt, ſind I. 14

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 1. Hamburg, 1832, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris01_1832/223>, abgerufen am 27.04.2024.