Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

faßt worden sind, und daß sie größtentheils der
Staatsrath Feuerbach so herrlich ersonnen. Glauben
Sie aber ja nicht, daß dieser unser berühmte Lands¬
mann darum ein boshafter oder einfältiger Mensch
sein müsse. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er
der beste Mensch, der zärtlichste Gatte, der liebe¬
vollste Vater, der großmüthigste Freund sein. Das
hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutschen
Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen,
wird er wie vom Schlage gerührt, alle seine Geistes¬
kräfte werden gelähmt, und er sinkt ganz zu dem
irren Zustande eines kindisch und unmündig gewor¬
denen Geistes herab. Er ist dann kein Mensch
mehr, er ist nur noch ein Thier das ißt und trinkt
und -- ein Staatsdiener.

Das Wenigste von den bisher gesagten findet
zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine
monarchische, sondern eine republikanische Verfassung
herrscht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne
kommen, daß sie den Staat ausmache. Aber doch
sind unsere Gesetzgeber, Richter und Regenten noch
in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie
haben immer noch von der Heiligkeit des Staats
und der bestehenden Einrichtungen eine abergläubische
Vorstellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬
schehen können, daß man angeschuldigte Bürger

VI. 14

faßt worden ſind, und daß ſie größtentheils der
Staatsrath Feuerbach ſo herrlich erſonnen. Glauben
Sie aber ja nicht, daß dieſer unſer berühmte Lands¬
mann darum ein boshafter oder einfältiger Menſch
ſein müſſe. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er
der beſte Menſch, der zärtlichſte Gatte, der liebe¬
vollſte Vater, der großmüthigſte Freund ſein. Das
hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutſchen
Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen,
wird er wie vom Schlage gerührt, alle ſeine Geiſtes¬
kräfte werden gelähmt, und er ſinkt ganz zu dem
irren Zuſtande eines kindiſch und unmündig gewor¬
denen Geiſtes herab. Er iſt dann kein Menſch
mehr, er iſt nur noch ein Thier das ißt und trinkt
und — ein Staatsdiener.

Das Wenigſte von den bisher geſagten findet
zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine
monarchiſche, ſondern eine republikaniſche Verfaſſung
herrſcht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne
kommen, daß ſie den Staat ausmache. Aber doch
ſind unſere Geſetzgeber, Richter und Regenten noch
in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie
haben immer noch von der Heiligkeit des Staats
und der beſtehenden Einrichtungen eine abergläubiſche
Vorſtellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬
ſchehen können, daß man angeſchuldigte Bürger

VI. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0221" n="209"/>
faßt worden &#x017F;ind, und daß &#x017F;ie größtentheils der<lb/>
Staatsrath Feuerbach &#x017F;o herrlich er&#x017F;onnen. Glauben<lb/>
Sie aber ja nicht, daß die&#x017F;er un&#x017F;er berühmte Lands¬<lb/>
mann darum ein boshafter oder einfältiger Men&#x017F;ch<lb/>
&#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er<lb/>
der be&#x017F;te Men&#x017F;ch, der zärtlich&#x017F;te Gatte, der liebe¬<lb/>
voll&#x017F;te Vater, der großmüthig&#x017F;te Freund &#x017F;ein. Das<lb/>
hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deut&#x017F;chen<lb/>
Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen,<lb/>
wird er wie vom Schlage gerührt, alle &#x017F;eine Gei&#x017F;tes¬<lb/>
kräfte werden gelähmt, und er &#x017F;inkt ganz zu dem<lb/>
irren Zu&#x017F;tande eines kindi&#x017F;ch und unmündig gewor¬<lb/>
denen Gei&#x017F;tes herab. Er i&#x017F;t dann kein Men&#x017F;ch<lb/>
mehr, er i&#x017F;t nur noch ein Thier das ißt und trinkt<lb/>
und &#x2014; ein Staatsdiener.</p><lb/>
          <p>Das Wenig&#x017F;te von den bisher ge&#x017F;agten findet<lb/>
zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine<lb/>
monarchi&#x017F;che, &#x017F;ondern eine republikani&#x017F;che Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
herr&#x017F;cht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne<lb/>
kommen, daß &#x017F;ie den Staat ausmache. Aber doch<lb/>
&#x017F;ind un&#x017F;ere Ge&#x017F;etzgeber, Richter und Regenten noch<lb/>
in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie<lb/>
haben immer noch von der Heiligkeit des Staats<lb/>
und der be&#x017F;tehenden Einrichtungen eine abergläubi&#x017F;che<lb/>
Vor&#x017F;tellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬<lb/>
&#x017F;chehen können, daß man ange&#x017F;chuldigte Bürger<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">VI.</hi> 14<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0221] faßt worden ſind, und daß ſie größtentheils der Staatsrath Feuerbach ſo herrlich erſonnen. Glauben Sie aber ja nicht, daß dieſer unſer berühmte Lands¬ mann darum ein boshafter oder einfältiger Menſch ſein müſſe. Ich kenne ihn zwar nicht, doch mag er der beſte Menſch, der zärtlichſte Gatte, der liebe¬ vollſte Vater, der großmüthigſte Freund ſein. Das hilft aber hier alles nichts. Sobald einem deutſchen Rechtsgelehrten Staatsverbrechen auf den Kopf fallen, wird er wie vom Schlage gerührt, alle ſeine Geiſtes¬ kräfte werden gelähmt, und er ſinkt ganz zu dem irren Zuſtande eines kindiſch und unmündig gewor¬ denen Geiſtes herab. Er iſt dann kein Menſch mehr, er iſt nur noch ein Thier das ißt und trinkt und — ein Staatsdiener. Das Wenigſte von den bisher geſagten findet zwar auf Frankfurt eine Anwendung. Da dort keine monarchiſche, ſondern eine republikaniſche Verfaſſung herrſcht, konnte die Regierung nie zu dem Wahne kommen, daß ſie den Staat ausmache. Aber doch ſind unſere Geſetzgeber, Richter und Regenten noch in den Irrthümern einer alten Zeit gebildet. Sie haben immer noch von der Heiligkeit des Staats und der beſtehenden Einrichtungen eine abergläubiſche Vorſtellung. Wenn das nicht wäre, hätte nie ge¬ ſchehen können, daß man angeſchuldigte Bürger VI. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/221
Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/221>, abgerufen am 02.05.2024.