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Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834.

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2. Weigert sich der Zeitungsredakteur Wiede¬
mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend
Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn
er meint, es sei ihm ganz gleichgültig, daß man
seine fünf Jahre Zuchthausstrafe, wozu er auch ver¬
urtheilt worden, erst von dem Tage an zählen werde,
wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während
welcher er seiner Freiheit beraubt bleiben soll, nur
die zwei ersten bedauere, die übrigen rechne er nicht.
Zwar

3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was
man denn so viel Wesens aus den Bundestags-Be¬
schlüssen mache, da sie doch vor der Hand nur
auf sechs Jahre -- im Leben eines Volkes
weniger als sechs Tage im Leben eines
Menschen bestehen und dann über deren
Fortdauer von neuem berathschlagt werden
soll
? Zwar

4. Ließ die Wiener Censur ein Gedicht Grill¬
parzers auf die Genesung des Kronprinzen von
Oesterreich, darum nicht passiren, weil der Dichter
zu viel von der Herzensgüte des Prinzen gesprochen,
zu wenig aber von seinem Verstande, und diese
Nachricht durfte nicht allein in allen zensirten
Blättern gedruckt werden, sondern sie stand in den

2. Weigert ſich der Zeitungsredakteur Wiede¬
mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend
Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn
er meint, es ſei ihm ganz gleichgültig, daß man
ſeine fünf Jahre Zuchthausſtrafe, wozu er auch ver¬
urtheilt worden, erſt von dem Tage an zählen werde,
wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während
welcher er ſeiner Freiheit beraubt bleiben ſoll, nur
die zwei erſten bedauere, die übrigen rechne er nicht.
Zwar

3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was
man denn ſo viel Weſens aus den Bundestags-Be¬
ſchlüſſen mache, da ſie doch vor der Hand nur
auf ſechs Jahre — im Leben eines Volkes
weniger als ſechs Tage im Leben eines
Menſchen beſtehen und dann über deren
Fortdauer von neuem berathſchlagt werden
ſoll
? Zwar

4. Ließ die Wiener Cenſur ein Gedicht Grill¬
parzers auf die Geneſung des Kronprinzen von
Oeſterreich, darum nicht paſſiren, weil der Dichter
zu viel von der Herzensgüte des Prinzen geſprochen,
zu wenig aber von ſeinem Verſtande, und dieſe
Nachricht durfte nicht allein in allen zenſirten
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[216/0228] 2. Weigert ſich der Zeitungsredakteur Wiede¬ mann, vor dem Bilde des Königs von Baiern kniend Abbitte zu thun, wozu er verurtheilt worden; denn er meint, es ſei ihm ganz gleichgültig, daß man ſeine fünf Jahre Zuchthausſtrafe, wozu er auch ver¬ urtheilt worden, erſt von dem Tage an zählen werde, wo er gekniet, da er von den fünf Jahren, während welcher er ſeiner Freiheit beraubt bleiben ſoll, nur die zwei erſten bedauere, die übrigen rechne er nicht. Zwar 3. Frägt der jämmerliche Hofrath Krug, was man denn ſo viel Weſens aus den Bundestags-Be¬ ſchlüſſen mache, da ſie doch vor der Hand nur auf ſechs Jahre — im Leben eines Volkes weniger als ſechs Tage im Leben eines Menſchen beſtehen und dann über deren Fortdauer von neuem berathſchlagt werden ſoll? Zwar 4. Ließ die Wiener Cenſur ein Gedicht Grill¬ parzers auf die Geneſung des Kronprinzen von Oeſterreich, darum nicht paſſiren, weil der Dichter zu viel von der Herzensgüte des Prinzen geſprochen, zu wenig aber von ſeinem Verſtande, und dieſe Nachricht durfte nicht allein in allen zenſirten Blättern gedruckt werden, ſondern ſie ſtand in den

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Zitationshilfe: Börne, Ludwig: Briefe aus Paris. Bd. 6. Paris, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/boerne_paris06_1834/228>, abgerufen am 02.05.2024.