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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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taumelt war, fieng's auch mir an im Leibe zu zer-
ren; und hätt' ich in diesen Tagen tausendmal ge-
wünscht zu sterben, und mit meinen Lieben hinzu-
fahren. Doch gieng ich, auf dringendes Bitten mei-
ner Frau, noch selbst zu Herrn Doktor Wirth hin.
Er verordnete mir Rhabarber und sonst was. So
bald ich nach Haus kam, mußt' ich zu Beth liegen.
Ein Grimmen und Durchfall fieng mit aller Wuth
an, und die Arzeney schien noch die Schmerzen zu
verdoppeln. Der Doktor kam selber zu mir, sah'
meine Schwäche -- aber nicht meine Angst. Gott,
Zeit und Ewigkeit, meine geist- und leiblichen Schul-
den stuhnden fürchterlich vor und hinter meinem Beth.
Keine Minute Schlaf -- Tod und Grab -- Ster-
ben, und nicht mit Ehren -- welche Pein! Ich wälzte
mich Tag und Nacht in meinem Bett herum, krümm-
te mich wie ein Wurm, und durfte, nach meiner al-
ten Leyer, meinen Zustand doch keiner Seele entde-
cken. Ich flehte zum Himmel; aber der Zweifel,
ob der mich auch hören wollte, gieng itzt zum ersten-
mal mir durch Mark und Bein; und die Unmöglich-
keit, daß mir bey meinem allfälligen Wiederaufkom-
men noch gründlich zu helfen sey, stellte sich mir leb-
hafter als noch nie vor. Indessen ward mein Töch-
tergen begraben, und in wenig Tagen lagen meine
drey noch übrigen Kinder, nebst mir, an der näm-
lichen Krankheit darnieder. Nur mein ehrliches Weib
war bisdahin ganz frey ausgegangen. Da sie nicht
allem abwarten konnte, kam ihre ledige Schwester ihr
zu Hülf'; sonst übertraf sie mich an Muth und Stand-

taumelt war, fieng’s auch mir an im Leibe zu zer-
ren; und haͤtt’ ich in dieſen Tagen tauſendmal ge-
wuͤnſcht zu ſterben, und mit meinen Lieben hinzu-
fahren. Doch gieng ich, auf dringendes Bitten mei-
ner Frau, noch ſelbſt zu Herrn Doktor Wirth hin.
Er verordnete mir Rhabarber und ſonſt was. So
bald ich nach Haus kam, mußt’ ich zu Beth liegen.
Ein Grimmen und Durchfall fieng mit aller Wuth
an, und die Arzeney ſchien noch die Schmerzen zu
verdoppeln. Der Doktor kam ſelber zu mir, ſah’
meine Schwaͤche — aber nicht meine Angſt. Gott,
Zeit und Ewigkeit, meine geiſt- und leiblichen Schul-
den ſtuhnden fuͤrchterlich vor und hinter meinem Beth.
Keine Minute Schlaf — Tod und Grab — Ster-
ben, und nicht mit Ehren — welche Pein! Ich waͤlzte
mich Tag und Nacht in meinem Bett herum, kruͤmm-
te mich wie ein Wurm, und durfte, nach meiner al-
ten Leyer, meinen Zuſtand doch keiner Seele entde-
cken. Ich flehte zum Himmel; aber der Zweifel,
ob der mich auch hoͤren wollte, gieng itzt zum erſten-
mal mir durch Mark und Bein; und die Unmoͤglich-
keit, daß mir bey meinem allfaͤlligen Wiederaufkom-
men noch gruͤndlich zu helfen ſey, ſtellte ſich mir leb-
hafter als noch nie vor. Indeſſen ward mein Toͤch-
tergen begraben, und in wenig Tagen lagen meine
drey noch uͤbrigen Kinder, nebſt mir, an der naͤm-
lichen Krankheit darnieder. Nur mein ehrliches Weib
war bisdahin ganz frey ausgegangen. Da ſie nicht
allem abwarten konnte, kam ihre ledige Schweſter ihr
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[202/0218] taumelt war, fieng’s auch mir an im Leibe zu zer- ren; und haͤtt’ ich in dieſen Tagen tauſendmal ge- wuͤnſcht zu ſterben, und mit meinen Lieben hinzu- fahren. Doch gieng ich, auf dringendes Bitten mei- ner Frau, noch ſelbſt zu Herrn Doktor Wirth hin. Er verordnete mir Rhabarber und ſonſt was. So bald ich nach Haus kam, mußt’ ich zu Beth liegen. Ein Grimmen und Durchfall fieng mit aller Wuth an, und die Arzeney ſchien noch die Schmerzen zu verdoppeln. Der Doktor kam ſelber zu mir, ſah’ meine Schwaͤche — aber nicht meine Angſt. Gott, Zeit und Ewigkeit, meine geiſt- und leiblichen Schul- den ſtuhnden fuͤrchterlich vor und hinter meinem Beth. Keine Minute Schlaf — Tod und Grab — Ster- ben, und nicht mit Ehren — welche Pein! Ich waͤlzte mich Tag und Nacht in meinem Bett herum, kruͤmm- te mich wie ein Wurm, und durfte, nach meiner al- ten Leyer, meinen Zuſtand doch keiner Seele entde- cken. Ich flehte zum Himmel; aber der Zweifel, ob der mich auch hoͤren wollte, gieng itzt zum erſten- mal mir durch Mark und Bein; und die Unmoͤglich- keit, daß mir bey meinem allfaͤlligen Wiederaufkom- men noch gruͤndlich zu helfen ſey, ſtellte ſich mir leb- hafter als noch nie vor. Indeſſen ward mein Toͤch- tergen begraben, und in wenig Tagen lagen meine drey noch uͤbrigen Kinder, nebſt mir, an der naͤm- lichen Krankheit darnieder. Nur mein ehrliches Weib war bisdahin ganz frey ausgegangen. Da ſie nicht allem abwarten konnte, kam ihre ledige Schweſter ihr zu Huͤlf’; ſonſt uͤbertraf ſie mich an Muth und Stand-

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/218>, abgerufen am 26.04.2024.