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Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789.

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dacht' ich elender Tropf, und setzte auch wirklich zween
meiner Debitoren den Tag an; freylich mehr um sie
und andre zu schrecken, als daß es Ernst gegolten
hätte Aber sie verstuhnden's nicht so. Ich gieng
also auf die bestimmte Zeit mit den Schätzern zu
ihren Häufern; und, Gott weiß! mir war's viel
bänger als ihnen. Denn in dem ersten Augenblick,
da ich in des einten Wohnung trat, dacht' ich: Wer
kann das thun? -- Die Frau bat, und wies mit
den Fingern auf das zerfetzte Bett, und die wenigen
Scherben in der Küche; die Kinder in ihren Lum-
pen heulten. O, wenn ich nur wieder weg wäre!
dacht' ich, bezahlte Schätzer und Weibel, und strich
mich unverrichteter Sachen fort, nachdem man mir
in bestimmten Terminen Bezahlung versprochen, die
noch auf den heutigen Tag aussteht. Auch erfuhr
ich nachwerts, daß diese Leuthe, einige Stunden vor-
her, eh' ich in ihr Haus kam, die beßten Habseligkeiten
geflöchnet, und ihre Kinder expreß so zerlöchert angezo-
gen hätten. "Meinetwegen", sagt' ich da zu mir selbst:
"Das will ich in meinem Leben nicht mehr thun.
"Meine Gläubiger mögen eines Tags solche Bar-
"baren gegen mir, ich will's darum nicht gegen an-
"dre
seyn. Nein! es geh' mir wie es geh', diese
"Schulden müssen zuletzt doch auch zu meinem Ver-
"mögen gerechnet werden". Aber jene fragten eben
nichts darnach, und diesen jagte eine solche Denkens-
und Verfahrungsart gerade auch keinen Scheuen ein.
Die erstern trieben mich immer stärker und unerbitt-
licher. Dieß, und meine überspannte Einbildung ge-
bahren dann[]

dacht’ ich elender Tropf, und ſetzte auch wirklich zween
meiner Debitoren den Tag an; freylich mehr um ſie
und andre zu ſchrecken, als daß es Ernſt gegolten
haͤtte Aber ſie verſtuhnden’s nicht ſo. Ich gieng
alſo auf die beſtimmte Zeit mit den Schaͤtzern zu
ihren Haͤufern; und, Gott weiß! mir war’s viel
baͤnger als ihnen. Denn in dem erſten Augenblick,
da ich in des einten Wohnung trat, dacht’ ich: Wer
kann das thun? — Die Frau bat, und wieſ mit
den Fingern auf das zerfetzte Bett, und die wenigen
Scherben in der Kuͤche; die Kinder in ihren Lum-
pen heulten. O, wenn ich nur wieder weg waͤre!
dacht’ ich, bezahlte Schaͤtzer und Weibel, und ſtrich
mich unverrichteter Sachen fort, nachdem man mir
in beſtimmten Terminen Bezahlung verſprochen, die
noch auf den heutigen Tag ausſteht. Auch erfuhr
ich nachwerts, daß dieſe Leuthe, einige Stunden vor-
her, eh’ ich in ihr Haus kam, die beßten Habſeligkeiten
gefloͤchnet, und ihre Kinder expreß ſo zerloͤchert angezo-
gen haͤtten. „Meinetwegen„, ſagt’ ich da zu mir ſelbſt:
„Das will ich in meinem Leben nicht mehr thun.
Meine Glaͤubiger moͤgen eines Tags ſolche Bar-
„baren gegen mir, ich will’s darum nicht gegen an-
„dre
ſeyn. Nein! es geh’ mir wie es geh’, dieſe
„Schulden muͤſſen zuletzt doch auch zu meinem Ver-
„moͤgen gerechnet werden„. Aber jene fragten eben
nichts darnach, und dieſen jagte eine ſolche Denkens-
und Verfahrungsart gerade auch keinen Scheuen ein.
Die erſtern trieben mich immer ſtaͤrker und unerbitt-
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[213/0229] dacht’ ich elender Tropf, und ſetzte auch wirklich zween meiner Debitoren den Tag an; freylich mehr um ſie und andre zu ſchrecken, als daß es Ernſt gegolten haͤtte Aber ſie verſtuhnden’s nicht ſo. Ich gieng alſo auf die beſtimmte Zeit mit den Schaͤtzern zu ihren Haͤufern; und, Gott weiß! mir war’s viel baͤnger als ihnen. Denn in dem erſten Augenblick, da ich in des einten Wohnung trat, dacht’ ich: Wer kann das thun? — Die Frau bat, und wieſ mit den Fingern auf das zerfetzte Bett, und die wenigen Scherben in der Kuͤche; die Kinder in ihren Lum- pen heulten. O, wenn ich nur wieder weg waͤre! dacht’ ich, bezahlte Schaͤtzer und Weibel, und ſtrich mich unverrichteter Sachen fort, nachdem man mir in beſtimmten Terminen Bezahlung verſprochen, die noch auf den heutigen Tag ausſteht. Auch erfuhr ich nachwerts, daß dieſe Leuthe, einige Stunden vor- her, eh’ ich in ihr Haus kam, die beßten Habſeligkeiten gefloͤchnet, und ihre Kinder expreß ſo zerloͤchert angezo- gen haͤtten. „Meinetwegen„, ſagt’ ich da zu mir ſelbſt: „Das will ich in meinem Leben nicht mehr thun. „Meine Glaͤubiger moͤgen eines Tags ſolche Bar- „baren gegen mir, ich will’s darum nicht gegen an- „dre ſeyn. Nein! es geh’ mir wie es geh’, dieſe „Schulden muͤſſen zuletzt doch auch zu meinem Ver- „moͤgen gerechnet werden„. Aber jene fragten eben nichts darnach, und dieſen jagte eine ſolche Denkens- und Verfahrungsart gerade auch keinen Scheuen ein. Die erſtern trieben mich immer ſtaͤrker und unerbitt- licher. Dieß, und meine uͤberſpannte Einbildung ge- bahren dann_

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Zitationshilfe: Bräker, Ulrich: Lebensgeschichte und natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg. Herausgegeben von H. H. Füßli. Zürich, 1789, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/braeker_lebensgeschichte_1789/229>, abgerufen am 26.04.2024.