Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

Bild:
<< vorherige Seite
Artesische Brunnen.

Die natürlichen Springbrunnen hängen oft gewiß von andern
Umständen, vom Drucke einer eingeschlossenen Luft oder entwickel-
ter Dämpfe ab; bei den gewöhnlichen Brunnen und den meisten
aus der Erde hervorsprudelnden Quellen sind wir dagegen gewohnt,
anzunehmen, daß sie bloß dem Drucke eines höher stehenden Was-
sers ihren Ursprung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder
Abhange eines Berges entspringenden Quellen der Fall ist, daß zu
ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge
liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Wasser sich fortziehen,
leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu-
weilen vertheidigte Theorie, daß das Wasser im Innern der Erde
heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß
sie nur als seltene Ausnahme, vorzüglich bei heißen Quellen, statt
findet. Aber dennoch scheinen einige neuerlich bekannt gewordene
Phänomene fast die Sicherheit, daß jene Ursache das Entstehen
der Quellen erkläre, zu erschüttern. Man hat nämlich in der
neuesten Zeit viel von den auffallenden Erscheinungen erzählt,
welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man artesische Brun-
nen nennt, weil sie in der Provinz Artois in früherer Zeit
mehr als anderswo ausgeführt sein sollen. Wenn man nämlich mit
dem Erd- und Steinbohrer die Steinschichten bis zu erheblicher
Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer
immer tiefer gesenkten Röhre umgiebt, um den Zudrang der hö-
hern, unreinen Gewässer abzuhalten, so kömmt man sehr oft in
Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine so mäch-
tige Quelle, daß sich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben
mit Wasser füllt, sondern zuweilen sogar das Wasser mit großer
Gewalt über dem Boden hervorspringt. Man erzählt die auffal-
lendsten Beispiele von der Reichhaltigkeit dieser Quellen und von
der Gewalt, mit welcher das Wasser zuweilen hervordringt, so daß
man seinen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit
Gewalt zurückzuhalten im Stande war. Da es sehr ausgedehnte
Gegenden, namentlich in Frankreich, England, Ober-
Italien, giebt, wo man bei gehörig tiefem Bohren fast sicher
endlich auf solche Quellen kömmt, so waren einige Schriftsteller

Arteſiſche Brunnen.

Die natuͤrlichen Springbrunnen haͤngen oft gewiß von andern
Umſtaͤnden, vom Drucke einer eingeſchloſſenen Luft oder entwickel-
ter Daͤmpfe ab; bei den gewoͤhnlichen Brunnen und den meiſten
aus der Erde hervorſprudelnden Quellen ſind wir dagegen gewohnt,
anzunehmen, daß ſie bloß dem Drucke eines hoͤher ſtehenden Waſ-
ſers ihren Urſprung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder
Abhange eines Berges entſpringenden Quellen der Fall iſt, daß zu
ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge
liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Waſſer ſich fortziehen,
leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu-
weilen vertheidigte Theorie, daß das Waſſer im Innern der Erde
heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß
ſie nur als ſeltene Ausnahme, vorzuͤglich bei heißen Quellen, ſtatt
findet. Aber dennoch ſcheinen einige neuerlich bekannt gewordene
Phaͤnomene faſt die Sicherheit, daß jene Urſache das Entſtehen
der Quellen erklaͤre, zu erſchuͤttern. Man hat naͤmlich in der
neueſten Zeit viel von den auffallenden Erſcheinungen erzaͤhlt,
welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man arteſiſche Brun-
nen nennt, weil ſie in der Provinz Artois in fruͤherer Zeit
mehr als anderswo ausgefuͤhrt ſein ſollen. Wenn man naͤmlich mit
dem Erd- und Steinbohrer die Steinſchichten bis zu erheblicher
Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer
immer tiefer geſenkten Roͤhre umgiebt, um den Zudrang der hoͤ-
hern, unreinen Gewaͤſſer abzuhalten, ſo koͤmmt man ſehr oft in
Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine ſo maͤch-
tige Quelle, daß ſich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben
mit Waſſer fuͤllt, ſondern zuweilen ſogar das Waſſer mit großer
Gewalt uͤber dem Boden hervorſpringt. Man erzaͤhlt die auffal-
lendſten Beiſpiele von der Reichhaltigkeit dieſer Quellen und von
der Gewalt, mit welcher das Waſſer zuweilen hervordringt, ſo daß
man ſeinen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit
Gewalt zuruͤckzuhalten im Stande war. Da es ſehr ausgedehnte
Gegenden, namentlich in Frankreich, England, Ober-
Italien, giebt, wo man bei gehoͤrig tiefem Bohren faſt ſicher
endlich auf ſolche Quellen koͤmmt, ſo waren einige Schriftſteller

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0189" n="167"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Arte&#x017F;i&#x017F;che Brunnen</hi>.</head><lb/>
          <p>Die natu&#x0364;rlichen Springbrunnen ha&#x0364;ngen oft gewiß von andern<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nden, vom Drucke einer einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Luft oder entwickel-<lb/>
ter Da&#x0364;mpfe ab; bei den gewo&#x0364;hnlichen Brunnen und den mei&#x017F;ten<lb/>
aus der Erde hervor&#x017F;prudelnden Quellen &#x017F;ind wir dagegen gewohnt,<lb/>
anzunehmen, daß &#x017F;ie bloß dem Drucke eines ho&#x0364;her &#x017F;tehenden Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ers ihren Ur&#x017F;prung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder<lb/>
Abhange eines Berges ent&#x017F;pringenden Quellen der Fall i&#x017F;t, daß zu<lb/>
ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge<lb/>
liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich fortziehen,<lb/>
leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu-<lb/>
weilen vertheidigte Theorie, daß das Wa&#x017F;&#x017F;er im Innern der Erde<lb/>
heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß<lb/>
&#x017F;ie nur als &#x017F;eltene Ausnahme, vorzu&#x0364;glich bei heißen Quellen, &#x017F;tatt<lb/>
findet. Aber dennoch &#x017F;cheinen einige neuerlich bekannt gewordene<lb/>
Pha&#x0364;nomene fa&#x017F;t die Sicherheit, daß jene Ur&#x017F;ache das Ent&#x017F;tehen<lb/>
der Quellen erkla&#x0364;re, zu er&#x017F;chu&#x0364;ttern. Man hat na&#x0364;mlich in der<lb/>
neue&#x017F;ten Zeit viel von den auffallenden Er&#x017F;cheinungen erza&#x0364;hlt,<lb/>
welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man arte&#x017F;i&#x017F;che Brun-<lb/>
nen nennt, weil &#x017F;ie in der Provinz <hi rendition="#g">Artois</hi> in fru&#x0364;herer Zeit<lb/>
mehr als anderswo ausgefu&#x0364;hrt &#x017F;ein &#x017F;ollen. Wenn man na&#x0364;mlich mit<lb/>
dem Erd- und Steinbohrer die Stein&#x017F;chichten bis zu erheblicher<lb/>
Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer<lb/>
immer tiefer ge&#x017F;enkten Ro&#x0364;hre umgiebt, um den Zudrang der ho&#x0364;-<lb/>
hern, unreinen Gewa&#x0364;&#x017F;&#x017F;er abzuhalten, &#x017F;o ko&#x0364;mmt man &#x017F;ehr oft in<lb/>
Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine &#x017F;o ma&#x0364;ch-<lb/>
tige Quelle, daß &#x017F;ich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben<lb/>
mit Wa&#x017F;&#x017F;er fu&#x0364;llt, &#x017F;ondern zuweilen &#x017F;ogar das Wa&#x017F;&#x017F;er mit großer<lb/>
Gewalt u&#x0364;ber dem Boden hervor&#x017F;pringt. Man erza&#x0364;hlt die auffal-<lb/>
lend&#x017F;ten Bei&#x017F;piele von der Reichhaltigkeit die&#x017F;er Quellen und von<lb/>
der Gewalt, mit welcher das Wa&#x017F;&#x017F;er zuweilen hervordringt, &#x017F;o daß<lb/>
man &#x017F;einen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit<lb/>
Gewalt zuru&#x0364;ckzuhalten im Stande war. Da es &#x017F;ehr ausgedehnte<lb/>
Gegenden, namentlich in <hi rendition="#g">Frankreich</hi>, <hi rendition="#g">England</hi>, <hi rendition="#g">Ober</hi>-<lb/><hi rendition="#g">Italien</hi>, giebt, wo man bei geho&#x0364;rig tiefem Bohren fa&#x017F;t &#x017F;icher<lb/>
endlich auf &#x017F;olche Quellen ko&#x0364;mmt, &#x017F;o waren einige Schrift&#x017F;teller<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0189] Arteſiſche Brunnen. Die natuͤrlichen Springbrunnen haͤngen oft gewiß von andern Umſtaͤnden, vom Drucke einer eingeſchloſſenen Luft oder entwickel- ter Daͤmpfe ab; bei den gewoͤhnlichen Brunnen und den meiſten aus der Erde hervorſprudelnden Quellen ſind wir dagegen gewohnt, anzunehmen, daß ſie bloß dem Drucke eines hoͤher ſtehenden Waſ- ſers ihren Urſprung verdanken. Daß dies bei den am Fuße oder Abhange eines Berges entſpringenden Quellen der Fall iſt, daß zu ihnen hin die durch Regen und durch die auf den Gipfeln der Berge liegenden Wolken dem Boden mitgetheilten Waſſer ſich fortziehen, leidet keinen Zweifel, und man hat daher mit Recht die ehemals zu- weilen vertheidigte Theorie, daß das Waſſer im Innern der Erde heraufgetrieben werde, aufgegeben, oder vielmehr anerkannt, daß ſie nur als ſeltene Ausnahme, vorzuͤglich bei heißen Quellen, ſtatt findet. Aber dennoch ſcheinen einige neuerlich bekannt gewordene Phaͤnomene faſt die Sicherheit, daß jene Urſache das Entſtehen der Quellen erklaͤre, zu erſchuͤttern. Man hat naͤmlich in der neueſten Zeit viel von den auffallenden Erſcheinungen erzaͤhlt, welche die gebohrten Brunnen darbieten, die man arteſiſche Brun- nen nennt, weil ſie in der Provinz Artois in fruͤherer Zeit mehr als anderswo ausgefuͤhrt ſein ſollen. Wenn man naͤmlich mit dem Erd- und Steinbohrer die Steinſchichten bis zu erheblicher Tiefe durchbricht, dabei aber zugleich das gebohrte Loch mit einer immer tiefer geſenkten Roͤhre umgiebt, um den Zudrang der hoͤ- hern, unreinen Gewaͤſſer abzuhalten, ſo koͤmmt man ſehr oft in Tiefen von hundert Fuß oder 200, 300 Fuß, auf eine ſo maͤch- tige Quelle, daß ſich nicht allein das ganze gebohrte Loch bis oben mit Waſſer fuͤllt, ſondern zuweilen ſogar das Waſſer mit großer Gewalt uͤber dem Boden hervorſpringt. Man erzaͤhlt die auffal- lendſten Beiſpiele von der Reichhaltigkeit dieſer Quellen und von der Gewalt, mit welcher das Waſſer zuweilen hervordringt, ſo daß man ſeinen, den Umgebungen nachtheiligen Ueberfluß kaum mit Gewalt zuruͤckzuhalten im Stande war. Da es ſehr ausgedehnte Gegenden, namentlich in Frankreich, England, Ober- Italien, giebt, wo man bei gehoͤrig tiefem Bohren faſt ſicher endlich auf ſolche Quellen koͤmmt, ſo waren einige Schriftſteller

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/189
Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/189>, abgerufen am 12.05.2024.