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Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830.

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fängt, oder nach und nach von seiner vorigen Richtung abweichend,
eine krumme Linie durchläuft. Er durchläuft diesen Weg mit irgend
einer Geschwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige
Geschwindigkeit doppelt so groß, bei welcher der Punct in derselben
Zeit den doppelten Raum durchläuft, und eben jene gleichmäßige
Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge-
schwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geschwindigkeit dem in
gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional sei, ist hieraus
deutlich, und ebenso daß die zum Durchlaufen eines bestimmten
Weges erforderliche Zeit, der Geschwindigkeit umgekehrt proportional
ist; denn der doppelt so schnell bewegte Körper gebraucht für eben
den Raum nur halb so viel Zeit, der dreimal so schnell bewegte
braucht nur ein Drittel der Zeit u. s. w. -- und dieses will eben der
Ausdruck: umgekehrt proportional, sagen.

Etwas schwieriger ist die Beantwortung der Frage, wie man
denn die Größe derjenigen Geschwindigkeiten bestimmt, die nicht,
längere Zeit durch, ungeändert bleiben. Bei der gleichförmi-
gen Bewegung ist die Geschwindigkeit immer unverändert, und
an diese denken wir, wenn wir etwa von der Geschwindigkeit des
Windes, die bei Stürmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr
betragen kann, von der Geschwindigkeit des englischen Rennpferdes
Stirling, das zu Anfang seines Laufes 821/2 Fuß in einer Secunde
zurücklegte *), von der Geschwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die
= 93700 pariser Fuß in einer Secunde ist, reden; aber der frei
fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen ist, desto mächtigere
Wirkungen, und giebt uns so eine mit dem tiefern Falle immer
größer werdende Geschwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit
Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke
statt findenden Geschwindigkeit klar auffassen sollen. Da es erst in
der Folge mir möglich sein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen,
daß wir gar wohl in gewissen Fällen im Stande sind, die Beschleu-
nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß
die bis dahin fortwährend schneller werdende Bewegung nun nur
diejenige Geschwindigkeit ohne weitere Vermehrung behält, welche

*) Blumenbach's Handbuch der Naturgeschichte, bei der Beschr.
des Pferdes.

faͤngt, oder nach und nach von ſeiner vorigen Richtung abweichend,
eine krumme Linie durchlaͤuft. Er durchlaͤuft dieſen Weg mit irgend
einer Geſchwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige
Geſchwindigkeit doppelt ſo groß, bei welcher der Punct in derſelben
Zeit den doppelten Raum durchlaͤuft, und eben jene gleichmaͤßige
Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge-
ſchwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geſchwindigkeit dem in
gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional ſei, iſt hieraus
deutlich, und ebenſo daß die zum Durchlaufen eines beſtimmten
Weges erforderliche Zeit, der Geſchwindigkeit umgekehrt proportional
iſt; denn der doppelt ſo ſchnell bewegte Koͤrper gebraucht fuͤr eben
den Raum nur halb ſo viel Zeit, der dreimal ſo ſchnell bewegte
braucht nur ein Drittel der Zeit u. ſ. w. — und dieſes will eben der
Ausdruck: umgekehrt proportional, ſagen.

Etwas ſchwieriger iſt die Beantwortung der Frage, wie man
denn die Groͤße derjenigen Geſchwindigkeiten beſtimmt, die nicht,
laͤngere Zeit durch, ungeaͤndert bleiben. Bei der gleichfoͤrmi-
gen Bewegung iſt die Geſchwindigkeit immer unveraͤndert, und
an dieſe denken wir, wenn wir etwa von der Geſchwindigkeit des
Windes, die bei Stuͤrmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr
betragen kann, von der Geſchwindigkeit des engliſchen Rennpferdes
Stirling, das zu Anfang ſeines Laufes 82½ Fuß in einer Secunde
zuruͤcklegte *), von der Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die
= 93700 pariſer Fuß in einer Secunde iſt, reden; aber der frei
fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen iſt, deſto maͤchtigere
Wirkungen, und giebt uns ſo eine mit dem tiefern Falle immer
groͤßer werdende Geſchwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit
Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke
ſtatt findenden Geſchwindigkeit klar auffaſſen ſollen. Da es erſt in
der Folge mir moͤglich ſein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen,
daß wir gar wohl in gewiſſen Faͤllen im Stande ſind, die Beſchleu-
nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß
die bis dahin fortwaͤhrend ſchneller werdende Bewegung nun nur
diejenige Geſchwindigkeit ohne weitere Vermehrung behaͤlt, welche

*) Blumenbach's Handbuch der Naturgeſchichte, bei der Beſchr.
des Pferdes.
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[28/0050] faͤngt, oder nach und nach von ſeiner vorigen Richtung abweichend, eine krumme Linie durchlaͤuft. Er durchlaͤuft dieſen Weg mit irgend einer Geſchwindigkeit, und bekanntlich nennen wir diejenige Geſchwindigkeit doppelt ſo groß, bei welcher der Punct in derſelben Zeit den doppelten Raum durchlaͤuft, und eben jene gleichmaͤßige Zunahme des Weges in gleichen Zeiten dient uns als Maaß der Ge- ſchwindigkeit. Auch der Ausdruck: daß die Geſchwindigkeit dem in gleichen Zeiten durchlaufenen Wege proportional ſei, iſt hieraus deutlich, und ebenſo daß die zum Durchlaufen eines beſtimmten Weges erforderliche Zeit, der Geſchwindigkeit umgekehrt proportional iſt; denn der doppelt ſo ſchnell bewegte Koͤrper gebraucht fuͤr eben den Raum nur halb ſo viel Zeit, der dreimal ſo ſchnell bewegte braucht nur ein Drittel der Zeit u. ſ. w. — und dieſes will eben der Ausdruck: umgekehrt proportional, ſagen. Etwas ſchwieriger iſt die Beantwortung der Frage, wie man denn die Groͤße derjenigen Geſchwindigkeiten beſtimmt, die nicht, laͤngere Zeit durch, ungeaͤndert bleiben. Bei der gleichfoͤrmi- gen Bewegung iſt die Geſchwindigkeit immer unveraͤndert, und an dieſe denken wir, wenn wir etwa von der Geſchwindigkeit des Windes, die bei Stuͤrmen 100 Fuß in der Secunde und noch mehr betragen kann, von der Geſchwindigkeit des engliſchen Rennpferdes Stirling, das zu Anfang ſeines Laufes 82½ Fuß in einer Secunde zuruͤcklegte *), von der Geſchwindigkeit der Erde in ihrer Bahn, die = 93700 pariſer Fuß in einer Secunde iſt, reden; aber der frei fallende Stein zeigt uns, je tiefer er gefallen iſt, deſto maͤchtigere Wirkungen, und giebt uns ſo eine mit dem tiefern Falle immer groͤßer werdende Geſchwindigkeit zu erkennen; wir fragen daher mit Recht, wie wir hier den Begriff der in irgend einem Augenblicke ſtatt findenden Geſchwindigkeit klar auffaſſen ſollen. Da es erſt in der Folge mir moͤglich ſein wird, durch Experimente Ihnen zu zeigen, daß wir gar wohl in gewiſſen Faͤllen im Stande ſind, die Beſchleu- nigung der Bewegung zu unterbrechen, das heißt, zu bewirken, daß die bis dahin fortwaͤhrend ſchneller werdende Bewegung nun nur diejenige Geſchwindigkeit ohne weitere Vermehrung behaͤlt, welche *) Blumenbach's Handbuch der Naturgeſchichte, bei der Beſchr. des Pferdes.

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Zitationshilfe: Brandes, Heinrich Wilhelm: Vorlesungen über die Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1830, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brandes_naturlehre01_1830/50>, abgerufen am 29.04.2024.