machten, sehr begreiflich und der noch heute in vielen Köpfen spukende Wunderglaube neben der gegenwärtig noch beliebten Faselei gewisser Reisenden und sogenannter Naturbeschreiber auch sehr verzeihlich erscheinen. Von einem Menschen, welcher sich den vermeintlichen Ungeheuern gegenüber schwach fühlte, darf es uns nicht Wunder nehmen, daß seine Furcht mehr als doppelt sah, und seine Einbildungskraft gedachte Ungeheuer mit Gliedern begabte, welche nicht vorhanden sind. Die sogenannten Aftersporen der Riesenschlangen, welche wir gegenwärtig als verkümmerte Fußstummel deuten, wurden von den Alten übersehen, dafür aber den in ihren Augen scheußlichen Geschöpfen eigenthümliche Füße und wunderbare Flügel angedichtet. Jm Verlaufe der Zeit begabte die Phan- tasie die Drachen noch reichlicher: der christliche Teufelsspuk kam mit ins Spiel, und aus den unver- ständlichen Märchensagen der Morgenländer erwuchsen nach und nach Gestalten, für welche der Vernünftige vergeblich Urbilder suchte, weil die Kunde von den Riesenschlangen wenigstens fast verloren gegangen war. Um so inniger klammerte sich der Gläubige an die im Wahnsinne oder doch in der Trunkenheit entstandene, abgeschmackte Schilderung von dem "großen Drachen oder
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Die Walzenschlange(Cylindrophis rufa).
der alten Schlange, die da heißet Teufel oder Satanas und ausgeworfen ward auf die Erde, um die ganze Welt zu verführen", und mit dem Begriffe Drache verband sich nach und nach der des Teufels, bis zuletzt die Benennung Drache zu einem Schmeichelnamen von jenem selbst wurde. Jn dieser Bedeutung wird das Wort noch heutigentages von dem Volke gebraucht, und zwar keineswegs von dem zur Wundergläubigkeit erzogenen Katholiken allein, sondern auch von den sogenannten Protestanten, beispielsweise von den in anderer Hinsicht sehr gebildeten thüringer Bauern.
Zur Zeit des alten Geßner, also Ende des sechzehnten Jahrhunderts, war die Welt noch nicht so arg verdorben wie heutigentages. Der gegenwärtig allgemeine Unglaube erfüllte damals nur wenige lichtvolle Köpfe, und der Märchenkram wurde gläubig hingenommen auch von Denen, welche sich Naturforscher nannten. Geßner hat sich redliche Mühe gegeben, die Drachen zu schildern und deshalb Alles zusammen getragen, was ihm wichtig erschien. "Diser namen Track, kompt bey den Griechen von dem scharpffen gesicht her, vnd wirt offt von den schlangen ingemein verstanden. Jnsonderheit aber sol man diejenigen schlangen, so groß vnd schwer von leyb, all ander grösse halb übertreffen, Tracken heissen. Sind derhalben gegen den schlangen, wie die grossen wallsisch gegen
Die Schlangen. Stummelfüßler.
machten, ſehr begreiflich und der noch heute in vielen Köpfen ſpukende Wunderglaube neben der gegenwärtig noch beliebten Faſelei gewiſſer Reiſenden und ſogenannter Naturbeſchreiber auch ſehr verzeihlich erſcheinen. Von einem Menſchen, welcher ſich den vermeintlichen Ungeheuern gegenüber ſchwach fühlte, darf es uns nicht Wunder nehmen, daß ſeine Furcht mehr als doppelt ſah, und ſeine Einbildungskraft gedachte Ungeheuer mit Gliedern begabte, welche nicht vorhanden ſind. Die ſogenannten Afterſporen der Rieſenſchlangen, welche wir gegenwärtig als verkümmerte Fußſtummel deuten, wurden von den Alten überſehen, dafür aber den in ihren Augen ſcheußlichen Geſchöpfen eigenthümliche Füße und wunderbare Flügel angedichtet. Jm Verlaufe der Zeit begabte die Phan- taſie die Drachen noch reichlicher: der chriſtliche Teufelsſpuk kam mit ins Spiel, und aus den unver- ſtändlichen Märchenſagen der Morgenländer erwuchſen nach und nach Geſtalten, für welche der Vernünftige vergeblich Urbilder ſuchte, weil die Kunde von den Rieſenſchlangen wenigſtens faſt verloren gegangen war. Um ſo inniger klammerte ſich der Gläubige an die im Wahnſinne oder doch in der Trunkenheit entſtandene, abgeſchmackte Schilderung von dem „großen Drachen oder
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Die Walzenſchlange(Cylindrophis rufa).
der alten Schlange, die da heißet Teufel oder Satanas und ausgeworfen ward auf die Erde, um die ganze Welt zu verführen“, und mit dem Begriffe Drache verband ſich nach und nach der des Teufels, bis zuletzt die Benennung Drache zu einem Schmeichelnamen von jenem ſelbſt wurde. Jn dieſer Bedeutung wird das Wort noch heutigentages von dem Volke gebraucht, und zwar keineswegs von dem zur Wundergläubigkeit erzogenen Katholiken allein, ſondern auch von den ſogenannten Proteſtanten, beiſpielsweiſe von den in anderer Hinſicht ſehr gebildeten thüringer Bauern.
Zur Zeit des alten Geßner, alſo Ende des ſechzehnten Jahrhunderts, war die Welt noch nicht ſo arg verdorben wie heutigentages. Der gegenwärtig allgemeine Unglaube erfüllte damals nur wenige lichtvolle Köpfe, und der Märchenkram wurde gläubig hingenommen auch von Denen, welche ſich Naturforſcher nannten. Geßner hat ſich redliche Mühe gegeben, die Drachen zu ſchildern und deshalb Alles zuſammen getragen, was ihm wichtig erſchien. „Diſer namen Track, kompt bey den Griechen von dem ſcharpffen geſicht her, vnd wirt offt von den ſchlangen ingemein verſtanden. Jnſonderheit aber ſol man diejenigen ſchlangen, ſo groß vnd ſchwer von leyb, all ander gröſſe halb übertreffen, Tracken heiſſen. Sind derhalben gegen den ſchlangen, wie die groſſen wallſiſch gegen
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Die Schlangen. Stummelfüßler.
machten, ſehr begreiflich und der noch heute in vielen Köpfen ſpukende Wunderglaube neben der
gegenwärtig noch beliebten Faſelei gewiſſer Reiſenden und ſogenannter Naturbeſchreiber auch ſehr
verzeihlich erſcheinen. Von einem Menſchen, welcher ſich den vermeintlichen Ungeheuern gegenüber
ſchwach fühlte, darf es uns nicht Wunder nehmen, daß ſeine Furcht mehr als doppelt ſah, und ſeine
Einbildungskraft gedachte Ungeheuer mit Gliedern begabte, welche nicht vorhanden ſind. Die
ſogenannten Afterſporen der Rieſenſchlangen, welche wir gegenwärtig als verkümmerte Fußſtummel
deuten, wurden von den Alten überſehen, dafür aber den in ihren Augen ſcheußlichen Geſchöpfen
eigenthümliche Füße und wunderbare Flügel angedichtet. Jm Verlaufe der Zeit begabte die Phan-
taſie die Drachen noch reichlicher: der chriſtliche Teufelsſpuk kam mit ins Spiel, und aus den unver-
ſtändlichen Märchenſagen der Morgenländer erwuchſen nach und nach Geſtalten, für welche der
Vernünftige vergeblich Urbilder ſuchte, weil die Kunde von den Rieſenſchlangen wenigſtens faſt
verloren gegangen war. Um ſo inniger klammerte ſich der Gläubige an die im Wahnſinne oder
doch in der Trunkenheit entſtandene, abgeſchmackte Schilderung von dem „großen Drachen oder
[Abbildung Die Walzenſchlange (Cylindrophis rufa).]
der alten Schlange, die da heißet Teufel oder Satanas und ausgeworfen ward auf die Erde, um
die ganze Welt zu verführen“, und mit dem Begriffe Drache verband ſich nach und nach der des
Teufels, bis zuletzt die Benennung Drache zu einem Schmeichelnamen von jenem ſelbſt wurde. Jn
dieſer Bedeutung wird das Wort noch heutigentages von dem Volke gebraucht, und zwar keineswegs
von dem zur Wundergläubigkeit erzogenen Katholiken allein, ſondern auch von den ſogenannten
Proteſtanten, beiſpielsweiſe von den in anderer Hinſicht ſehr gebildeten thüringer Bauern.
Zur Zeit des alten Geßner, alſo Ende des ſechzehnten Jahrhunderts, war die Welt noch nicht
ſo arg verdorben wie heutigentages. Der gegenwärtig allgemeine Unglaube erfüllte damals nur
wenige lichtvolle Köpfe, und der Märchenkram wurde gläubig hingenommen auch von Denen, welche
ſich Naturforſcher nannten. Geßner hat ſich redliche Mühe gegeben, die Drachen zu ſchildern und
deshalb Alles zuſammen getragen, was ihm wichtig erſchien. „Diſer namen Track, kompt bey den
Griechen von dem ſcharpffen geſicht her, vnd wirt offt von den ſchlangen ingemein verſtanden.
Jnſonderheit aber ſol man diejenigen ſchlangen, ſo groß vnd ſchwer von leyb, all ander gröſſe halb
übertreffen, Tracken heiſſen. Sind derhalben gegen den ſchlangen, wie die groſſen wallſiſch gegen
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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/212>, abgerufen am 16.06.2024.
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