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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869.

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Die Knorpelstöre. Rüsselstöre.

Ein kurzer Darmschlauch, von dem fleischigen Magen durch eine ansehnliche Klappe geschieden,
die in zwei Haupt- und zahlreiche Nebenlappen zerfallende Leber, die langen Nieren, deren Harnleiter
zugleich als Samen- oder Eileiter dienen, da sie sich mit diesen in einen gemeinsamen Ausführungs-
gang vereinigen, die außerordentlich großen Eierstöcke und Hoden, welche sich fast durch die ganze
Länge der Bauchhöhle erstrecken, die stets große, einfache, ei- oder länglichrunde Schwimmblase, der
mit zwei Reihen von Klappen besetzte Arterienstiel, die in einer rinnenförmigen Aushöhlung an der
unteren Fläche der knorpeligen Wirbelsäule verlaufende große Schlagader und andere Merkmale des
inneren Baues verdienen ebenfalls Beachtung.

Die Rüsselstöre gehören dem gemäßigten nördlichen Gürtel der Erde an und verbreiten sich
ebensowenig weit nach Norden hinauf als weit nach Süden herab. Sie herbergen im Meere oder
in großen Landseen, verlassen diese aber zu bestimmten Jahreszeiten und treten in die einmündenden
Flüsse ein, um in ihnen monatelang zu verweilen. Alle gehören zu den Raubfischen und sind sehr
gefräßig; doch greifen nur die wenigstens halberwachsenen größere Thiere an, während sich die
kleineren mit Würmern, Weichthieren, Fischeiern und dergleichen, welche sie aus dem Schlamme
herausbohren, genügen lassen. Jhre Vermehrung ist außerordentlich stark, gleichwohl nehmen sie
von Jahr zu Jahr an Menge ab, weil ihr Fang mit der allen Fischern eigenen unverständigen Rück-
sichtslosigkeit betrieben wird.



Unter den sieben Arten von Stören, welche in den Strömen und Flüssen vorkommen, stelle ich
den bekanntesten obenan. Der Stör (Acipenser sturio) hat eine mäßig gestreckte Schnauze, schmale

[Abbildung] Der Stör (Acipenser sturio). Nat. Größe 5 bis 6 Fuß.
Oberlippe, wulstige, in der Mitte getheilte Unterlippe, einfache Bartfäden, dicht aneinander gereihte,
große Seitenschilder und vorn und hinten niedrige, in der Mitte hohe Rückenschilder. Die Färbung
der Oberseite ist ein mehr oder minder dunkles Braun, Braungrau oder Braungelb, die der Unter-
seite ein glänzendes Silberweiß; die Schilder sehen schmuzigweiß aus. Jn der Rückenflosse zählt
man 11 und 29, in der Brustflosse 1 und 38, in der Bauchflosse und Afterflosse je 11 und 14, in der
Schwanzflosse 22 und 75 Strahlen. Die Länge kann bis zu 20 Fuß ansteigen; die gewöhnliche
Größe beträgt jedoch selten mehr als 5 oder 6 Fuß.

Das atlantische Weltmeer einerseits, das Mittelmeer, die Nord- und Ostsee andererseits, sind
die Heimat des Störes; im schwarzen Meere fehlt er gänzlich, und somit wird er auch niemals im
Donaugebiete gefunden. Jm Rheine steigt er nur selten bis Mainz und blos in Ausnahmefällen bis
Basel auf; in der Weser kommt er kaum bis zum Zusammenfluß der Werra und Fulda vor; in der
Elbe wandert er bis nach Böhmen zu Berge, tritt sogar in die Moldau und deren Nebenflüsse ein; von

Die Knorpelſtöre. Rüſſelſtöre.

Ein kurzer Darmſchlauch, von dem fleiſchigen Magen durch eine anſehnliche Klappe geſchieden,
die in zwei Haupt- und zahlreiche Nebenlappen zerfallende Leber, die langen Nieren, deren Harnleiter
zugleich als Samen- oder Eileiter dienen, da ſie ſich mit dieſen in einen gemeinſamen Ausführungs-
gang vereinigen, die außerordentlich großen Eierſtöcke und Hoden, welche ſich faſt durch die ganze
Länge der Bauchhöhle erſtrecken, die ſtets große, einfache, ei- oder länglichrunde Schwimmblaſe, der
mit zwei Reihen von Klappen beſetzte Arterienſtiel, die in einer rinnenförmigen Aushöhlung an der
unteren Fläche der knorpeligen Wirbelſäule verlaufende große Schlagader und andere Merkmale des
inneren Baues verdienen ebenfalls Beachtung.

Die Rüſſelſtöre gehören dem gemäßigten nördlichen Gürtel der Erde an und verbreiten ſich
ebenſowenig weit nach Norden hinauf als weit nach Süden herab. Sie herbergen im Meere oder
in großen Landſeen, verlaſſen dieſe aber zu beſtimmten Jahreszeiten und treten in die einmündenden
Flüſſe ein, um in ihnen monatelang zu verweilen. Alle gehören zu den Raubfiſchen und ſind ſehr
gefräßig; doch greifen nur die wenigſtens halberwachſenen größere Thiere an, während ſich die
kleineren mit Würmern, Weichthieren, Fiſcheiern und dergleichen, welche ſie aus dem Schlamme
herausbohren, genügen laſſen. Jhre Vermehrung iſt außerordentlich ſtark, gleichwohl nehmen ſie
von Jahr zu Jahr an Menge ab, weil ihr Fang mit der allen Fiſchern eigenen unverſtändigen Rück-
ſichtsloſigkeit betrieben wird.



Unter den ſieben Arten von Stören, welche in den Strömen und Flüſſen vorkommen, ſtelle ich
den bekannteſten obenan. Der Stör (Acipenser sturio) hat eine mäßig geſtreckte Schnauze, ſchmale

[Abbildung] Der Stör (Acipenser sturio). Nat. Größe 5 bis 6 Fuß.
Oberlippe, wulſtige, in der Mitte getheilte Unterlippe, einfache Bartfäden, dicht aneinander gereihte,
große Seitenſchilder und vorn und hinten niedrige, in der Mitte hohe Rückenſchilder. Die Färbung
der Oberſeite iſt ein mehr oder minder dunkles Braun, Braungrau oder Braungelb, die der Unter-
ſeite ein glänzendes Silberweiß; die Schilder ſehen ſchmuzigweiß aus. Jn der Rückenfloſſe zählt
man 11 und 29, in der Bruſtfloſſe 1 und 38, in der Bauchfloſſe und Afterfloſſe je 11 und 14, in der
Schwanzfloſſe 22 und 75 Strahlen. Die Länge kann bis zu 20 Fuß anſteigen; die gewöhnliche
Größe beträgt jedoch ſelten mehr als 5 oder 6 Fuß.

Das atlantiſche Weltmeer einerſeits, das Mittelmeer, die Nord- und Oſtſee andererſeits, ſind
die Heimat des Störes; im ſchwarzen Meere fehlt er gänzlich, und ſomit wird er auch niemals im
Donaugebiete gefunden. Jm Rheine ſteigt er nur ſelten bis Mainz und blos in Ausnahmefällen bis
Baſel auf; in der Weſer kommt er kaum bis zum Zuſammenfluß der Werra und Fulda vor; in der
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[768/0810] Die Knorpelſtöre. Rüſſelſtöre. Ein kurzer Darmſchlauch, von dem fleiſchigen Magen durch eine anſehnliche Klappe geſchieden, die in zwei Haupt- und zahlreiche Nebenlappen zerfallende Leber, die langen Nieren, deren Harnleiter zugleich als Samen- oder Eileiter dienen, da ſie ſich mit dieſen in einen gemeinſamen Ausführungs- gang vereinigen, die außerordentlich großen Eierſtöcke und Hoden, welche ſich faſt durch die ganze Länge der Bauchhöhle erſtrecken, die ſtets große, einfache, ei- oder länglichrunde Schwimmblaſe, der mit zwei Reihen von Klappen beſetzte Arterienſtiel, die in einer rinnenförmigen Aushöhlung an der unteren Fläche der knorpeligen Wirbelſäule verlaufende große Schlagader und andere Merkmale des inneren Baues verdienen ebenfalls Beachtung. Die Rüſſelſtöre gehören dem gemäßigten nördlichen Gürtel der Erde an und verbreiten ſich ebenſowenig weit nach Norden hinauf als weit nach Süden herab. Sie herbergen im Meere oder in großen Landſeen, verlaſſen dieſe aber zu beſtimmten Jahreszeiten und treten in die einmündenden Flüſſe ein, um in ihnen monatelang zu verweilen. Alle gehören zu den Raubfiſchen und ſind ſehr gefräßig; doch greifen nur die wenigſtens halberwachſenen größere Thiere an, während ſich die kleineren mit Würmern, Weichthieren, Fiſcheiern und dergleichen, welche ſie aus dem Schlamme herausbohren, genügen laſſen. Jhre Vermehrung iſt außerordentlich ſtark, gleichwohl nehmen ſie von Jahr zu Jahr an Menge ab, weil ihr Fang mit der allen Fiſchern eigenen unverſtändigen Rück- ſichtsloſigkeit betrieben wird. Unter den ſieben Arten von Stören, welche in den Strömen und Flüſſen vorkommen, ſtelle ich den bekannteſten obenan. Der Stör (Acipenser sturio) hat eine mäßig geſtreckte Schnauze, ſchmale [Abbildung Der Stör (Acipenser sturio). Nat. Größe 5 bis 6 Fuß.] Oberlippe, wulſtige, in der Mitte getheilte Unterlippe, einfache Bartfäden, dicht aneinander gereihte, große Seitenſchilder und vorn und hinten niedrige, in der Mitte hohe Rückenſchilder. Die Färbung der Oberſeite iſt ein mehr oder minder dunkles Braun, Braungrau oder Braungelb, die der Unter- ſeite ein glänzendes Silberweiß; die Schilder ſehen ſchmuzigweiß aus. Jn der Rückenfloſſe zählt man 11 und 29, in der Bruſtfloſſe 1 und 38, in der Bauchfloſſe und Afterfloſſe je 11 und 14, in der Schwanzfloſſe 22 und 75 Strahlen. Die Länge kann bis zu 20 Fuß anſteigen; die gewöhnliche Größe beträgt jedoch ſelten mehr als 5 oder 6 Fuß. Das atlantiſche Weltmeer einerſeits, das Mittelmeer, die Nord- und Oſtſee andererſeits, ſind die Heimat des Störes; im ſchwarzen Meere fehlt er gänzlich, und ſomit wird er auch niemals im Donaugebiete gefunden. Jm Rheine ſteigt er nur ſelten bis Mainz und blos in Ausnahmefällen bis Baſel auf; in der Weſer kommt er kaum bis zum Zuſammenfluß der Werra und Fulda vor; in der Elbe wandert er bis nach Böhmen zu Berge, tritt ſogar in die Moldau und deren Nebenflüſſe ein; von

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 5. Hildburghausen, 1869, S. 768. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben05_1869/810>, abgerufen am 06.05.2024.