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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Pentacrinus. Comatel.
Es dürften kaum einige Dutzend Exemplare des Pentacrinus gefischt und in den größeren Museen
erhalten sein. Von zwei anderen solchen zeitlebens gestielten Sippen ist gar nur je ein Exemplar
aufgefunden worden.

Von einer vierten Sippe dagegen, die am liebsten als Haarstern, Comatula, bezeichnet
wird, sind gegen 40 Arten aus allen Meeren bekannt, und auch in den europäischen Meeren sind
die Comateln auf Schlammgrund in Tiefen von etwa 12 bis zu 50 Faden höchst gemein. Sie
kriechen, die Mundscheibe von 3 bis 4 Linien Durchmesser nach unten gewendet, mit Hülfe ihrer
10 rankenförmigen, gefiederten Arme und nehmen blos mit dem Schlamm die zufällig darin
enthaltene Nahrung zu sich. Läßt man sie im Wasser frei fallen, so rudern sie, je fünf und fünf
Arme abwechselnd hebend und senkend. Jch habe jedoch dabei nie ein eigentliches Schwimmen
und Aufsteigen wahrgenommen, sondern nur eine Verlangsamung des Falles, so daß sie
ungezwungen sich kaum zum Verlassen des Meeresgrundes entschließen dürften. Die Comatel
gleicht also im Wesentlichen einem vom Stiele abgelösten Pentacrinus; ja noch mehr. Am Rücken
trägt sie einen kleinen von Ranken umgebenen Knopf, und dieser ist der Rest eines wirklichen
Stieles, auf welchem die Thiere in ihrer Jugend festgewachsen sind. So erscheint also Pentacrinus
gewisser Maßen als Larven- und Jugendform der Comatel, letztere durch das Freiwerden als ein
höher entwickelter Pentacrinus.

Steigt man nun in die Urwelt der Stachelhäuter hinab, so wird man unter die bunteste
Manchfaltigkeit lauter solcher gestielter Haarsterne und crinoidenartiger Sippen versetzt, von denen,
wenn man die sehr abweichenden Blastoiden hinzunimmt, etwa 680 Arten bekannt geworden
sind. Jm Zusammenhang mit diesen, bezüglich deren näherer Bekanntschaft wir auf Bronn's
treffliche "Klassen und Ordnungen" verweisen, bleiben uns also die heutigen Haarsterne nicht
mehr bloße unverständliche Kuriosa, wenn auch Fremdlinge unter den übrigen Klassengenossen.
Erst nach und nach gewinnen diese im Verlaufe der neueren geologischen Perioden die Oberhand
gegen die mehr verschwindenden Haarsterne von altmodischer Tracht. Sehr frühe haben die Asterien
sich von jenen abgezweigt. Die ältesten bekannten Sippen der Seesterne tragen unverkennbare
Charaktere der Haarsterne. Ungefähr gleichzeitig beginnt aber auch von sitzenden, armlosen,
crinoidenartigen Wesen aus die Abzweigung der Seeigel. Leider ist es gänzlich unbekannt, wo
man mit den Holothurien anknüpfen soll; es geht mit ihnen, wie mit allen den Thieren, welche
beim Tode sich in Atome auflösen oder nur solche feste Theilchen hinterlassen, welche Atomen
gleich verschwinden.



Pentacrinus. Comatel.
Es dürften kaum einige Dutzend Exemplare des Pentacrinus gefiſcht und in den größeren Muſeen
erhalten ſein. Von zwei anderen ſolchen zeitlebens geſtielten Sippen iſt gar nur je ein Exemplar
aufgefunden worden.

Von einer vierten Sippe dagegen, die am liebſten als Haarſtern, Comatula, bezeichnet
wird, ſind gegen 40 Arten aus allen Meeren bekannt, und auch in den europäiſchen Meeren ſind
die Comateln auf Schlammgrund in Tiefen von etwa 12 bis zu 50 Faden höchſt gemein. Sie
kriechen, die Mundſcheibe von 3 bis 4 Linien Durchmeſſer nach unten gewendet, mit Hülfe ihrer
10 rankenförmigen, gefiederten Arme und nehmen blos mit dem Schlamm die zufällig darin
enthaltene Nahrung zu ſich. Läßt man ſie im Waſſer frei fallen, ſo rudern ſie, je fünf und fünf
Arme abwechſelnd hebend und ſenkend. Jch habe jedoch dabei nie ein eigentliches Schwimmen
und Aufſteigen wahrgenommen, ſondern nur eine Verlangſamung des Falles, ſo daß ſie
ungezwungen ſich kaum zum Verlaſſen des Meeresgrundes entſchließen dürften. Die Comatel
gleicht alſo im Weſentlichen einem vom Stiele abgelöſten Pentacrinus; ja noch mehr. Am Rücken
trägt ſie einen kleinen von Ranken umgebenen Knopf, und dieſer iſt der Reſt eines wirklichen
Stieles, auf welchem die Thiere in ihrer Jugend feſtgewachſen ſind. So erſcheint alſo Pentacrinus
gewiſſer Maßen als Larven- und Jugendform der Comatel, letztere durch das Freiwerden als ein
höher entwickelter Pentacrinus.

Steigt man nun in die Urwelt der Stachelhäuter hinab, ſo wird man unter die bunteſte
Manchfaltigkeit lauter ſolcher geſtielter Haarſterne und crinoidenartiger Sippen verſetzt, von denen,
wenn man die ſehr abweichenden Blaſtoiden hinzunimmt, etwa 680 Arten bekannt geworden
ſind. Jm Zuſammenhang mit dieſen, bezüglich deren näherer Bekanntſchaft wir auf Bronn’s
treffliche „Klaſſen und Ordnungen“ verweiſen, bleiben uns alſo die heutigen Haarſterne nicht
mehr bloße unverſtändliche Kurioſa, wenn auch Fremdlinge unter den übrigen Klaſſengenoſſen.
Erſt nach und nach gewinnen dieſe im Verlaufe der neueren geologiſchen Perioden die Oberhand
gegen die mehr verſchwindenden Haarſterne von altmodiſcher Tracht. Sehr frühe haben die Aſterien
ſich von jenen abgezweigt. Die älteſten bekannten Sippen der Seeſterne tragen unverkennbare
Charaktere der Haarſterne. Ungefähr gleichzeitig beginnt aber auch von ſitzenden, armloſen,
crinoidenartigen Weſen aus die Abzweigung der Seeigel. Leider iſt es gänzlich unbekannt, wo
man mit den Holothurien anknüpfen ſoll; es geht mit ihnen, wie mit allen den Thieren, welche
beim Tode ſich in Atome auflöſen oder nur ſolche feſte Theilchen hinterlaſſen, welche Atomen
gleich verſchwinden.



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[987/1037] Pentacrinus. Comatel. Es dürften kaum einige Dutzend Exemplare des Pentacrinus gefiſcht und in den größeren Muſeen erhalten ſein. Von zwei anderen ſolchen zeitlebens geſtielten Sippen iſt gar nur je ein Exemplar aufgefunden worden. Von einer vierten Sippe dagegen, die am liebſten als Haarſtern, Comatula, bezeichnet wird, ſind gegen 40 Arten aus allen Meeren bekannt, und auch in den europäiſchen Meeren ſind die Comateln auf Schlammgrund in Tiefen von etwa 12 bis zu 50 Faden höchſt gemein. Sie kriechen, die Mundſcheibe von 3 bis 4 Linien Durchmeſſer nach unten gewendet, mit Hülfe ihrer 10 rankenförmigen, gefiederten Arme und nehmen blos mit dem Schlamm die zufällig darin enthaltene Nahrung zu ſich. Läßt man ſie im Waſſer frei fallen, ſo rudern ſie, je fünf und fünf Arme abwechſelnd hebend und ſenkend. Jch habe jedoch dabei nie ein eigentliches Schwimmen und Aufſteigen wahrgenommen, ſondern nur eine Verlangſamung des Falles, ſo daß ſie ungezwungen ſich kaum zum Verlaſſen des Meeresgrundes entſchließen dürften. Die Comatel gleicht alſo im Weſentlichen einem vom Stiele abgelöſten Pentacrinus; ja noch mehr. Am Rücken trägt ſie einen kleinen von Ranken umgebenen Knopf, und dieſer iſt der Reſt eines wirklichen Stieles, auf welchem die Thiere in ihrer Jugend feſtgewachſen ſind. So erſcheint alſo Pentacrinus gewiſſer Maßen als Larven- und Jugendform der Comatel, letztere durch das Freiwerden als ein höher entwickelter Pentacrinus. Steigt man nun in die Urwelt der Stachelhäuter hinab, ſo wird man unter die bunteſte Manchfaltigkeit lauter ſolcher geſtielter Haarſterne und crinoidenartiger Sippen verſetzt, von denen, wenn man die ſehr abweichenden Blaſtoiden hinzunimmt, etwa 680 Arten bekannt geworden ſind. Jm Zuſammenhang mit dieſen, bezüglich deren näherer Bekanntſchaft wir auf Bronn’s treffliche „Klaſſen und Ordnungen“ verweiſen, bleiben uns alſo die heutigen Haarſterne nicht mehr bloße unverſtändliche Kurioſa, wenn auch Fremdlinge unter den übrigen Klaſſengenoſſen. Erſt nach und nach gewinnen dieſe im Verlaufe der neueren geologiſchen Perioden die Oberhand gegen die mehr verſchwindenden Haarſterne von altmodiſcher Tracht. Sehr frühe haben die Aſterien ſich von jenen abgezweigt. Die älteſten bekannten Sippen der Seeſterne tragen unverkennbare Charaktere der Haarſterne. Ungefähr gleichzeitig beginnt aber auch von ſitzenden, armloſen, crinoidenartigen Weſen aus die Abzweigung der Seeigel. Leider iſt es gänzlich unbekannt, wo man mit den Holothurien anknüpfen ſoll; es geht mit ihnen, wie mit allen den Thieren, welche beim Tode ſich in Atome auflöſen oder nur ſolche feſte Theilchen hinterlaſſen, welche Atomen gleich verſchwinden.

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 987. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/1037>, abgerufen am 27.04.2024.