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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869.

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Bau des Flußkrebses. Verdanungsapparat. Blutkreislauf. Nervensystem. Entwicklung.
auch die Bauchganglienkette (vergl. Seite 11 und 12 dieses Bandes) diese Gedrängtheit
zeigt. Gleich fast sämmtlichen übrigen Krustern ist unser Flußkrebs getrennten Ge-
schlechtes.
Ohne auf die inneren Organe der
Fortpflanzung einzugehen, kann man sich leicht von
den äußeren Geschlechtsverschiedenheiten überzeugen.
Bei den Männchen ist an der Basis des fünften Fuß-
paares und gleichsam zu einer äußeren Fortsetzung der
inneren Samengänge jederseits in Gestalt einer Halb-
rinne der erste Fuß des Nachleibes (Schwanzes) um-
geformt. Die Oeffnungen der Eileiter befinden sich am
Grunde des dritten Fußpaares. Die Entwicklung,
welche der Flußkrebs im Ei durchmacht, stimmt in den
wesentlichen Grundzügen mit derjenigen des Jnsekten-
eies überein. Aus einem Keimstreifen geht die
Bauchseite des Embryo hervor. Durch eine Längs-
spaltung desselben entstehen die sogenannten Keim-
wülste,
die erste Anlage des symmetrischen, zweiseitigen
Baues, den wir in seinen weiteren Stufen durch
Quertheilung der Keimwülste und Entwickelungen
dieser "Ursegmente" nicht verfolgen. Der Flußkrebs
kommt in einem Stadium der Ausbildung aus dem
Ei, daß er eine Verwandlung, wie so viele Jnsekten
und sehr viele andere Kruster, nicht zu bestehen hat.
Jedoch erinnert seine jährliche Häutung an die mit
Häutungen verbundene Jnsektenmetamorphose. Alle
sich nicht häutenden Gliederthiere sind nach ihrer Ver-
wandlung und nachdem ihr Hautskelet eine gewisse
Starrheit und Festigkeit erlangt, an eine bestimmte
Größe gebunden: sie wachsen nicht mehr. Die sich
periodisch häutenden Krebse haben damit die Fähigkeit
erlangt, zeitlebens zu wachsen. Man betrachte einige
hundert Maikäfer: ihre geringen Größenunterschiede
haben sie aus ihrem Puppenzustande ererbt, und während
ihrer kurzen Schwärmzeit gleichen sie sich nicht aus.
Ein kleiner Krebs hat aber die Hoffnung, ein großer
zu werden, wenn nicht eine unkluge Nationalökonomie
ihn schon als Jüngling der Küche überliefert. Das
Erstaunen über die Möglichkeit, wie der Krebs sich
seines starren Panzers alljährlich entledigen könne,
wird vermehrt, wenn man sieht, wie auch die feineren
Organe, Fühlhörner, Augen, Kiemen dabei ihrer
Hüllen ledig werden, ja, daß auch der Darmkanal an
der Häutung Theil nimmt. Schon Reaumur hat
in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die
Häutung des Flußkrebses genau beobachtet und be-
schrieben. Er hielt zu diesem Zwecke Krebse in durch-
löcherten Glasgefäßen, die in fließendem Wasser standen.
Bedenkt man, daß auch die Magenhaut und die Magen-
[Abbildung] 1 Nervensystem des gemeinen Heuschreckenkrebses
(Squilla mantis). 2 Nervensystem einer Krabbe.
3 Herz- und Hauptarterien des Hummers.

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Bau des Flußkrebſes. Verdanungsapparat. Blutkreislauf. Nervenſyſtem. Entwicklung.
auch die Bauchganglienkette (vergl. Seite 11 und 12 dieſes Bandes) dieſe Gedrängtheit
zeigt. Gleich faſt ſämmtlichen übrigen Kruſtern iſt unſer Flußkrebs getrennten Ge-
ſchlechtes.
Ohne auf die inneren Organe der
Fortpflanzung einzugehen, kann man ſich leicht von
den äußeren Geſchlechtsverſchiedenheiten überzeugen.
Bei den Männchen iſt an der Baſis des fünften Fuß-
paares und gleichſam zu einer äußeren Fortſetzung der
inneren Samengänge jederſeits in Geſtalt einer Halb-
rinne der erſte Fuß des Nachleibes (Schwanzes) um-
geformt. Die Oeffnungen der Eileiter befinden ſich am
Grunde des dritten Fußpaares. Die Entwicklung,
welche der Flußkrebs im Ei durchmacht, ſtimmt in den
weſentlichen Grundzügen mit derjenigen des Jnſekten-
eies überein. Aus einem Keimſtreifen geht die
Bauchſeite des Embryo hervor. Durch eine Längs-
ſpaltung deſſelben entſtehen die ſogenannten Keim-
wülſte,
die erſte Anlage des ſymmetriſchen, zweiſeitigen
Baues, den wir in ſeinen weiteren Stufen durch
Quertheilung der Keimwülſte und Entwickelungen
dieſer „Urſegmente“ nicht verfolgen. Der Flußkrebs
kommt in einem Stadium der Ausbildung aus dem
Ei, daß er eine Verwandlung, wie ſo viele Jnſekten
und ſehr viele andere Kruſter, nicht zu beſtehen hat.
Jedoch erinnert ſeine jährliche Häutung an die mit
Häutungen verbundene Jnſektenmetamorphoſe. Alle
ſich nicht häutenden Gliederthiere ſind nach ihrer Ver-
wandlung und nachdem ihr Hautſkelet eine gewiſſe
Starrheit und Feſtigkeit erlangt, an eine beſtimmte
Größe gebunden: ſie wachſen nicht mehr. Die ſich
periodiſch häutenden Krebſe haben damit die Fähigkeit
erlangt, zeitlebens zu wachſen. Man betrachte einige
hundert Maikäfer: ihre geringen Größenunterſchiede
haben ſie aus ihrem Puppenzuſtande ererbt, und während
ihrer kurzen Schwärmzeit gleichen ſie ſich nicht aus.
Ein kleiner Krebs hat aber die Hoffnung, ein großer
zu werden, wenn nicht eine unkluge Nationalökonomie
ihn ſchon als Jüngling der Küche überliefert. Das
Erſtaunen über die Möglichkeit, wie der Krebs ſich
ſeines ſtarren Panzers alljährlich entledigen könne,
wird vermehrt, wenn man ſieht, wie auch die feineren
Organe, Fühlhörner, Augen, Kiemen dabei ihrer
Hüllen ledig werden, ja, daß auch der Darmkanal an
der Häutung Theil nimmt. Schon Réaumur hat
in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die
Häutung des Flußkrebſes genau beobachtet und be-
ſchrieben. Er hielt zu dieſem Zwecke Krebſe in durch-
löcherten Glasgefäßen, die in fließendem Waſſer ſtanden.
Bedenkt man, daß auch die Magenhaut und die Magen-
[Abbildung] 1 Nervenſyſtem des gemeinen Heuſchreckenkrebſes
(Squilla mantis). 2 Nervenſyſtem einer Krabbe.
3 Herz- und Hauptarterien des Hummers.

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[627/0665] Bau des Flußkrebſes. Verdanungsapparat. Blutkreislauf. Nervenſyſtem. Entwicklung. auch die Bauchganglienkette (vergl. Seite 11 und 12 dieſes Bandes) dieſe Gedrängtheit zeigt. Gleich faſt ſämmtlichen übrigen Kruſtern iſt unſer Flußkrebs getrennten Ge- ſchlechtes. Ohne auf die inneren Organe der Fortpflanzung einzugehen, kann man ſich leicht von den äußeren Geſchlechtsverſchiedenheiten überzeugen. Bei den Männchen iſt an der Baſis des fünften Fuß- paares und gleichſam zu einer äußeren Fortſetzung der inneren Samengänge jederſeits in Geſtalt einer Halb- rinne der erſte Fuß des Nachleibes (Schwanzes) um- geformt. Die Oeffnungen der Eileiter befinden ſich am Grunde des dritten Fußpaares. Die Entwicklung, welche der Flußkrebs im Ei durchmacht, ſtimmt in den weſentlichen Grundzügen mit derjenigen des Jnſekten- eies überein. Aus einem Keimſtreifen geht die Bauchſeite des Embryo hervor. Durch eine Längs- ſpaltung deſſelben entſtehen die ſogenannten Keim- wülſte, die erſte Anlage des ſymmetriſchen, zweiſeitigen Baues, den wir in ſeinen weiteren Stufen durch Quertheilung der Keimwülſte und Entwickelungen dieſer „Urſegmente“ nicht verfolgen. Der Flußkrebs kommt in einem Stadium der Ausbildung aus dem Ei, daß er eine Verwandlung, wie ſo viele Jnſekten und ſehr viele andere Kruſter, nicht zu beſtehen hat. Jedoch erinnert ſeine jährliche Häutung an die mit Häutungen verbundene Jnſektenmetamorphoſe. Alle ſich nicht häutenden Gliederthiere ſind nach ihrer Ver- wandlung und nachdem ihr Hautſkelet eine gewiſſe Starrheit und Feſtigkeit erlangt, an eine beſtimmte Größe gebunden: ſie wachſen nicht mehr. Die ſich periodiſch häutenden Krebſe haben damit die Fähigkeit erlangt, zeitlebens zu wachſen. Man betrachte einige hundert Maikäfer: ihre geringen Größenunterſchiede haben ſie aus ihrem Puppenzuſtande ererbt, und während ihrer kurzen Schwärmzeit gleichen ſie ſich nicht aus. Ein kleiner Krebs hat aber die Hoffnung, ein großer zu werden, wenn nicht eine unkluge Nationalökonomie ihn ſchon als Jüngling der Küche überliefert. Das Erſtaunen über die Möglichkeit, wie der Krebs ſich ſeines ſtarren Panzers alljährlich entledigen könne, wird vermehrt, wenn man ſieht, wie auch die feineren Organe, Fühlhörner, Augen, Kiemen dabei ihrer Hüllen ledig werden, ja, daß auch der Darmkanal an der Häutung Theil nimmt. Schon Réaumur hat in der erſten Hälfte des vorigen Jahrhunderts die Häutung des Flußkrebſes genau beobachtet und be- ſchrieben. Er hielt zu dieſem Zwecke Krebſe in durch- löcherten Glasgefäßen, die in fließendem Waſſer ſtanden. Bedenkt man, daß auch die Magenhaut und die Magen- [Abbildung 1 Nervenſyſtem des gemeinen Heuſchreckenkrebſes (Squilla mantis). 2 Nervenſyſtem einer Krabbe. 3 Herz- und Hauptarterien des Hummers.] 40*

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 6. Hildburghausen, 1869, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben06_1869/665>, abgerufen am 26.04.2024.