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Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901.

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dem Erdhügel begraben worden sei. Im allergünstigsten
Falle wird ihr Name noch in einem Geschichtswerke
erwähnt, und muß sich eine verhältnißmäßig nur kleine
Anzahl Menschen, die sich trotz aller Mühe des Ge-
schichtsprofessors kaum momentan für sie begeistern
können, abplagen mit dem Studium ihres Lebens und
ihrer Thaten. Sonst aber sind sie ganz vergessen.
Und doch, was bietet man nicht Alles beim Tode eines
solchen angesehenen Mannes auf, um seinen Ruhm in
vollem Glanze zu erhalten und noch zu erhöhen. Man
spricht in überschwenglichen Ausdrücken von dem uner-
setzlichen Verluste, der die Wissenschaft, den Staat und
die ganze Gesellschaft durch den Tod dieses Mannes
getroffen. Aus weiter Ferne reisen hochgestellte Männer
hin, um an seinem Begräbnisse Theil zu nehmen;
man hält ihm eine Grabrede, die ihn als das Ideal
eines Mannes hinstellt, die von ihm sagt, daß er
Jahre lang die Seele großer Unternehmungen gewesen,
daß mit ihm eine Hauptzierde der Menschheit in's
Grab sinke, doch er werde fortleben im Andenken der
spätesten Geschlechter. Dann setzt man ihm einen
Grabstein, der mit goldenen Buchstaben seine hohen
Titel und seine vorzüglichsten Thaten der Welt ver-
kündet; schließlich tritt noch ein Comite zur Errichtung
eines Ehrendenkmals des Gestorbenen zusammen. Doch
was geschieht? Es sind vielleicht kaum dreißig oder
vierzig Jahre verflossen, und die Inschrift des Grabes
ist vom Regen und Wetter verwischt und Niemand
läßt sie erneuern. An dem Denkmal bleibt kaum mehr

dem Erdhügel begraben worden sei. Im allergünstigsten
Falle wird ihr Name noch in einem Geschichtswerke
erwähnt, und muß sich eine verhältnißmäßig nur kleine
Anzahl Menschen, die sich trotz aller Mühe des Ge-
schichtsprofessors kaum momentan für sie begeistern
können, abplagen mit dem Studium ihres Lebens und
ihrer Thaten. Sonst aber sind sie ganz vergessen.
Und doch, was bietet man nicht Alles beim Tode eines
solchen angesehenen Mannes auf, um seinen Ruhm in
vollem Glanze zu erhalten und noch zu erhöhen. Man
spricht in überschwenglichen Ausdrücken von dem uner-
setzlichen Verluste, der die Wissenschaft, den Staat und
die ganze Gesellschaft durch den Tod dieses Mannes
getroffen. Aus weiter Ferne reisen hochgestellte Männer
hin, um an seinem Begräbnisse Theil zu nehmen;
man hält ihm eine Grabrede, die ihn als das Ideal
eines Mannes hinstellt, die von ihm sagt, daß er
Jahre lang die Seele großer Unternehmungen gewesen,
daß mit ihm eine Hauptzierde der Menschheit in's
Grab sinke, doch er werde fortleben im Andenken der
spätesten Geschlechter. Dann setzt man ihm einen
Grabstein, der mit goldenen Buchstaben seine hohen
Titel und seine vorzüglichsten Thaten der Welt ver-
kündet; schließlich tritt noch ein Comité zur Errichtung
eines Ehrendenkmals des Gestorbenen zusammen. Doch
was geschieht? Es sind vielleicht kaum dreißig oder
vierzig Jahre verflossen, und die Inschrift des Grabes
ist vom Regen und Wetter verwischt und Niemand
läßt sie erneuern. An dem Denkmal bleibt kaum mehr

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[87/0099] dem Erdhügel begraben worden sei. Im allergünstigsten Falle wird ihr Name noch in einem Geschichtswerke erwähnt, und muß sich eine verhältnißmäßig nur kleine Anzahl Menschen, die sich trotz aller Mühe des Ge- schichtsprofessors kaum momentan für sie begeistern können, abplagen mit dem Studium ihres Lebens und ihrer Thaten. Sonst aber sind sie ganz vergessen. Und doch, was bietet man nicht Alles beim Tode eines solchen angesehenen Mannes auf, um seinen Ruhm in vollem Glanze zu erhalten und noch zu erhöhen. Man spricht in überschwenglichen Ausdrücken von dem uner- setzlichen Verluste, der die Wissenschaft, den Staat und die ganze Gesellschaft durch den Tod dieses Mannes getroffen. Aus weiter Ferne reisen hochgestellte Männer hin, um an seinem Begräbnisse Theil zu nehmen; man hält ihm eine Grabrede, die ihn als das Ideal eines Mannes hinstellt, die von ihm sagt, daß er Jahre lang die Seele großer Unternehmungen gewesen, daß mit ihm eine Hauptzierde der Menschheit in's Grab sinke, doch er werde fortleben im Andenken der spätesten Geschlechter. Dann setzt man ihm einen Grabstein, der mit goldenen Buchstaben seine hohen Titel und seine vorzüglichsten Thaten der Welt ver- kündet; schließlich tritt noch ein Comité zur Errichtung eines Ehrendenkmals des Gestorbenen zusammen. Doch was geschieht? Es sind vielleicht kaum dreißig oder vierzig Jahre verflossen, und die Inschrift des Grabes ist vom Regen und Wetter verwischt und Niemand läßt sie erneuern. An dem Denkmal bleibt kaum mehr

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Zitationshilfe: Bremscheid, Matthias von. Der christliche Mann in seinem Glauben und Leben. Mainz, 1901, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bremscheid_mann_1901/99>, abgerufen am 26.04.2024.