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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Pantöffelchen verloren, o Mutter Hinkel sieh, wie muß das
liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatscht
seyn, die Spitze des Fußes ist ganz braun, sie hat sich die
Füße verfroren, -- wart, ich weiß, was ich thue, in der
goldnen Gallina der Königin von Saba ist eine Frostsalbe,
hohle mir sie Kronovus!" -- Gleich brachte Kronovus die
Salbe und sie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit
und schaute mit Thränen den Vater an und sprach: "Vater
Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau ist schon lange
todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das
ist nicht ganz unvernünftig? denn sieh, ich muß es thun aus
Liebe und Dank und würde mich schämen, so ich es nicht
thäte, ich thue es mit dem Wunsche, es ihr selbst zu thun,
sie wird schon wissen, wozu sie es gebrauchen kann, viel¬
leicht kann sie jetzt, da ich ihr Liebe erwiesen habe, viel
lustiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir
es." -- Unter diesen Worten küßte Gackeleia den Fuß, den
sie gepflegt und mit einem reinen Tüchlein verbunden hatte
und steckte ihn wieder in das Pantöffelchen, dann erhob sie
sich und alle umarmten sie schweigend, und es ertönte von
dem Geiste der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Ge¬
sang her:

"Mein Schmerz ward milder, tausend Dank!
Lieb ewig heilt, was zeitlich krank,
Nimm dir zu deiner Liebe Lohn
Die ächten Steine von Vadutz;
Im großen Buche findst du schon,
Wie heilsam dieser Gnadenputz;
O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!"

Es war eine schimmernde Freude in der Erscheinung
und den drei weisen Nönnchen bei den Lilien, die süßer duf¬
teten, als je. -- Gackeleia aber besann sich nicht lange,
schnell vertauschte sie ihre Achselspangen mit jenen des armen

Pantoͤffelchen verloren, o Mutter Hinkel ſieh, wie muß das
liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatſcht
ſeyn, die Spitze des Fußes iſt ganz braun, ſie hat ſich die
Fuͤße verfroren, — wart, ich weiß, was ich thue, in der
goldnen Gallina der Koͤnigin von Saba iſt eine Froſtſalbe,
hohle mir ſie Kronovus!“ — Gleich brachte Kronovus die
Salbe und ſie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit
und ſchaute mit Thraͤnen den Vater an und ſprach: „Vater
Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau iſt ſchon lange
todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das
iſt nicht ganz unvernuͤnftig? denn ſieh, ich muß es thun aus
Liebe und Dank und wuͤrde mich ſchaͤmen, ſo ich es nicht
thaͤte, ich thue es mit dem Wunſche, es ihr ſelbſt zu thun,
ſie wird ſchon wiſſen, wozu ſie es gebrauchen kann, viel¬
leicht kann ſie jetzt, da ich ihr Liebe erwieſen habe, viel
luſtiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir
es.“ — Unter dieſen Worten kuͤßte Gackeleia den Fuß, den
ſie gepflegt und mit einem reinen Tuͤchlein verbunden hatte
und ſteckte ihn wieder in das Pantoͤffelchen, dann erhob ſie
ſich und alle umarmten ſie ſchweigend, und es ertoͤnte von
dem Geiſte der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Ge¬
ſang her:

„Mein Schmerz ward milder, tauſend Dank!
Lieb ewig heilt, was zeitlich krank,
Nimm dir zu deiner Liebe Lohn
Die aͤchten Steine von Vadutz;
Im großen Buche findſt du ſchon,
Wie heilſam dieſer Gnadenputz;
O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“

Es war eine ſchimmernde Freude in der Erſcheinung
und den drei weiſen Noͤnnchen bei den Lilien, die ſuͤßer duf¬
teten, als je. — Gackeleia aber beſann ſich nicht lange,
ſchnell vertauſchte ſie ihre Achſelſpangen mit jenen des armen

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[206/0258] Pantoͤffelchen verloren, o Mutter Hinkel ſieh, wie muß das liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatſcht ſeyn, die Spitze des Fußes iſt ganz braun, ſie hat ſich die Fuͤße verfroren, — wart, ich weiß, was ich thue, in der goldnen Gallina der Koͤnigin von Saba iſt eine Froſtſalbe, hohle mir ſie Kronovus!“ — Gleich brachte Kronovus die Salbe und ſie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit und ſchaute mit Thraͤnen den Vater an und ſprach: „Vater Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau iſt ſchon lange todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das iſt nicht ganz unvernuͤnftig? denn ſieh, ich muß es thun aus Liebe und Dank und wuͤrde mich ſchaͤmen, ſo ich es nicht thaͤte, ich thue es mit dem Wunſche, es ihr ſelbſt zu thun, ſie wird ſchon wiſſen, wozu ſie es gebrauchen kann, viel¬ leicht kann ſie jetzt, da ich ihr Liebe erwieſen habe, viel luſtiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir es.“ — Unter dieſen Worten kuͤßte Gackeleia den Fuß, den ſie gepflegt und mit einem reinen Tuͤchlein verbunden hatte und ſteckte ihn wieder in das Pantoͤffelchen, dann erhob ſie ſich und alle umarmten ſie ſchweigend, und es ertoͤnte von dem Geiſte der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Ge¬ ſang her: „Mein Schmerz ward milder, tauſend Dank! Lieb ewig heilt, was zeitlich krank, Nimm dir zu deiner Liebe Lohn Die aͤchten Steine von Vadutz; Im großen Buche findſt du ſchon, Wie heilſam dieſer Gnadenputz; O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Es war eine ſchimmernde Freude in der Erſcheinung und den drei weiſen Noͤnnchen bei den Lilien, die ſuͤßer duf¬ teten, als je. — Gackeleia aber beſann ſich nicht lange, ſchnell vertauſchte ſie ihre Achſelſpangen mit jenen des armen

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/258>, abgerufen am 16.05.2024.