Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

nem Leib-Lebküchler bestand, die Alle mit ihr an einer
Tafel saßen. -- Der Oberhof-Osterhaas stellte sie den
hohen Herrschaften mit den Worten vor: "die sehr hono¬
rable Konnteß Samsonia Molle Gothol, Meisterinn von
St. Eduards Stuhl, auf welchem die Könige von Eng¬
land gesalbt werden, eine Nachkomminn der schottischen Kö¬
nige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. s. w.,
welche schon Jahrhunderte vor christlicher Zeit, auf jenem
Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz
schlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, des¬
sen Pflege ihr anvertraut ist. Diese hohe Dame ist mir von
der Akademie der old druidical Superstitions dringend em¬
pfohlen, sie hat sich eine schwarze Melancholie durch zu uräl¬
terliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem sie schon
auf ihrem Kinderstühlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem da¬
rin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe spie¬
lend zur Wache gesessen und dann durch stätes Brüten über die
Herkunft dieses Steins vor lauter Kindern Gottes und der
Menschen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit
verloren hat. Nun aber reist sie mit ihrem Kinderstühlchen
umher, dieselbe wieder zu finden und darauf zu setzen.
Da sie Alles vom Ei an ergründen muß, und von mei¬
nen geringen Verdiensten als unwürdigem Oberhof-Oster¬
haas gehört hat, hat sie gehofft, vielleicht in einem Osterei,
den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! --
Es ist ihr bei längerem Aufenthalt in der Grafschaft Vadutz
bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieser Grafschaft
die Achselspangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und
weil sie weiß, daß diese Kleinode mit dem Stein Jakobs
zusammenhängen, so wünscht sie für ihre Studien eine nä¬
here Kenntniß dieser Alterthümer aus schriftlichen, gleich¬
zeitigen Urkunden zu erlangen. -- Die bei ihr befindlichen
Lebkuchen sind ihre theils noch heidnische Vorfahren, die schot¬
tischen Könige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und der¬

nem Leib-Lebkuͤchler beſtand, die Alle mit ihr an einer
Tafel ſaßen. — Der Oberhof-Oſterhaas ſtellte ſie den
hohen Herrſchaften mit den Worten vor: „die ſehr hono¬
rable Konnteß Samſonia Molle Gothol, Meiſterinn von
St. Eduards Stuhl, auf welchem die Koͤnige von Eng¬
land geſalbt werden, eine Nachkomminn der ſchottiſchen Koͤ¬
nige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. ſ. w.,
welche ſchon Jahrhunderte vor chriſtlicher Zeit, auf jenem
Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz
ſchlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, deſ¬
ſen Pflege ihr anvertraut iſt. Dieſe hohe Dame iſt mir von
der Akademie der old druidical Superstitions dringend em¬
pfohlen, ſie hat ſich eine ſchwarze Melancholie durch zu uraͤl¬
terliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem ſie ſchon
auf ihrem Kinderſtuͤhlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem da¬
rin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe ſpie¬
lend zur Wache geſeſſen und dann durch ſtaͤtes Bruͤten uͤber die
Herkunft dieſes Steins vor lauter Kindern Gottes und der
Menſchen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit
verloren hat. Nun aber reiſt ſie mit ihrem Kinderſtuͤhlchen
umher, dieſelbe wieder zu finden und darauf zu ſetzen.
Da ſie Alles vom Ei an ergruͤnden muß, und von mei¬
nen geringen Verdienſten als unwuͤrdigem Oberhof-Oſter¬
haas gehoͤrt hat, hat ſie gehofft, vielleicht in einem Oſterei,
den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! —
Es iſt ihr bei laͤngerem Aufenthalt in der Grafſchaft Vadutz
bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieſer Grafſchaft
die Achſelſpangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und
weil ſie weiß, daß dieſe Kleinode mit dem Stein Jakobs
zuſammenhaͤngen, ſo wuͤnſcht ſie fuͤr ihre Studien eine naͤ¬
here Kenntniß dieſer Alterthuͤmer aus ſchriftlichen, gleich¬
zeitigen Urkunden zu erlangen. — Die bei ihr befindlichen
Lebkuchen ſind ihre theils noch heidniſche Vorfahren, die ſchot¬
tiſchen Koͤnige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und der¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="216"/>
nem Leib-Lebku&#x0364;chler be&#x017F;tand, die Alle mit ihr an einer<lb/>
Tafel &#x017F;aßen. &#x2014; Der Oberhof-O&#x017F;terhaas &#x017F;tellte &#x017F;ie den<lb/>
hohen Herr&#x017F;chaften mit den Worten vor: &#x201E;die &#x017F;ehr hono¬<lb/>
rable Konnteß Sam&#x017F;onia Molle Gothol, Mei&#x017F;terinn von<lb/>
St. Eduards Stuhl, auf welchem die Ko&#x0364;nige von Eng¬<lb/>
land ge&#x017F;albt werden, eine Nachkomminn der &#x017F;chotti&#x017F;chen Ko&#x0364;¬<lb/>
nige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. &#x017F;. w.,<lb/>
welche &#x017F;chon Jahrhunderte vor chri&#x017F;tlicher Zeit, auf jenem<lb/>
Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz<lb/>
&#x017F;chlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en Pflege ihr anvertraut i&#x017F;t. Die&#x017F;e hohe Dame i&#x017F;t mir von<lb/>
der Akademie der <hi rendition="#aq">old druidical Superstitions</hi> dringend em¬<lb/>
pfohlen, &#x017F;ie hat &#x017F;ich eine &#x017F;chwarze Melancholie durch zu ura&#x0364;<lb/>
terliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
auf ihrem Kinder&#x017F;tu&#x0364;hlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem da¬<lb/>
rin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe &#x017F;pie¬<lb/>
lend zur Wache ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und dann durch &#x017F;ta&#x0364;tes Bru&#x0364;ten u&#x0364;ber die<lb/>
Herkunft die&#x017F;es Steins vor lauter Kindern Gottes und der<lb/>
Men&#x017F;chen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit<lb/>
verloren hat. Nun aber rei&#x017F;t &#x017F;ie mit ihrem Kinder&#x017F;tu&#x0364;hlchen<lb/>
umher, die&#x017F;elbe wieder zu finden und darauf zu &#x017F;etzen.<lb/>
Da &#x017F;ie Alles vom Ei an ergru&#x0364;nden muß, und von mei¬<lb/>
nen geringen Verdien&#x017F;ten als unwu&#x0364;rdigem Oberhof-O&#x017F;ter¬<lb/>
haas geho&#x0364;rt hat, hat &#x017F;ie gehofft, vielleicht in einem O&#x017F;terei,<lb/>
den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! &#x2014;<lb/>
Es i&#x017F;t ihr bei la&#x0364;ngerem Aufenthalt in der Graf&#x017F;chaft Vadutz<lb/>
bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen die&#x017F;er Graf&#x017F;chaft<lb/>
die Ach&#x017F;el&#x017F;pangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und<lb/>
weil &#x017F;ie weiß, daß die&#x017F;e Kleinode mit dem Stein Jakobs<lb/>
zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngen, &#x017F;o wu&#x0364;n&#x017F;cht &#x017F;ie fu&#x0364;r ihre Studien eine na&#x0364;¬<lb/>
here Kenntniß die&#x017F;er Alterthu&#x0364;mer aus &#x017F;chriftlichen, gleich¬<lb/>
zeitigen Urkunden zu erlangen. &#x2014; Die bei ihr befindlichen<lb/>
Lebkuchen &#x017F;ind ihre theils noch heidni&#x017F;che Vorfahren, die &#x017F;chot¬<lb/>
ti&#x017F;chen Ko&#x0364;nige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und der¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[216/0268] nem Leib-Lebkuͤchler beſtand, die Alle mit ihr an einer Tafel ſaßen. — Der Oberhof-Oſterhaas ſtellte ſie den hohen Herrſchaften mit den Worten vor: „die ſehr hono¬ rable Konnteß Samſonia Molle Gothol, Meiſterinn von St. Eduards Stuhl, auf welchem die Koͤnige von Eng¬ land geſalbt werden, eine Nachkomminn der ſchottiſchen Koͤ¬ nige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. ſ. w., welche ſchon Jahrhunderte vor chriſtlicher Zeit, auf jenem Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz ſchlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, deſ¬ ſen Pflege ihr anvertraut iſt. Dieſe hohe Dame iſt mir von der Akademie der old druidical Superstitions dringend em¬ pfohlen, ſie hat ſich eine ſchwarze Melancholie durch zu uraͤl¬ terliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem ſie ſchon auf ihrem Kinderſtuͤhlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem da¬ rin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe ſpie¬ lend zur Wache geſeſſen und dann durch ſtaͤtes Bruͤten uͤber die Herkunft dieſes Steins vor lauter Kindern Gottes und der Menſchen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit verloren hat. Nun aber reiſt ſie mit ihrem Kinderſtuͤhlchen umher, dieſelbe wieder zu finden und darauf zu ſetzen. Da ſie Alles vom Ei an ergruͤnden muß, und von mei¬ nen geringen Verdienſten als unwuͤrdigem Oberhof-Oſter¬ haas gehoͤrt hat, hat ſie gehofft, vielleicht in einem Oſterei, den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! — Es iſt ihr bei laͤngerem Aufenthalt in der Grafſchaft Vadutz bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieſer Grafſchaft die Achſelſpangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und weil ſie weiß, daß dieſe Kleinode mit dem Stein Jakobs zuſammenhaͤngen, ſo wuͤnſcht ſie fuͤr ihre Studien eine naͤ¬ here Kenntniß dieſer Alterthuͤmer aus ſchriftlichen, gleich¬ zeitigen Urkunden zu erlangen. — Die bei ihr befindlichen Lebkuchen ſind ihre theils noch heidniſche Vorfahren, die ſchot¬ tiſchen Koͤnige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und der¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/268
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/268>, abgerufen am 15.05.2024.