Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Worten: "o mein Gott, welch ein Greul, o wo seyd ihr hin,
ihr schönen Tage meiner Kindheit!" -- Gackeleia aber drehte
den Ring mit dem Wunsche, alle die Streitenden möchten
sich in unschuldige, belustigende Gegenstände verwandeln und
alsbald wurden die Könige und der Lebküchler zu Hollunder¬
männchen, welche sich einander auf den Kopf stellten und
wieder auf die Füße purzelten, was allgemeinen Beifall
fand. Die Ueberreste der Lebkuchen-Bilder wurden theils
von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina
verzehrt. -- Selbst die Konnteß lächelte darüber und
sagte: "seit ich die Achselspange der Rebecka berührt habe,
ist mir ein solcher kindlicher Friede, eine solche Lust ins
Herz gekommen, daß es mir lächerlich vorkömmt, wie ich
so entsetzlich über den Stein Jakobs habe studieren kön¬
nen, o jetzt habe ich keinen Wunsch mehr, als daß ich noch,
wie einst auf meinen Kinderstühlchen neben St. Eduards
Stuhl sitzen und meine Puppe darauf stellen könnte." --
Diese Rede gefiel der ganzen gräflichen Familie so wohl, daß
Gockel ihr Kinderstühlchen auf den Tisch und die Puppe da¬
raufstellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei,
Kronovus den Orden des goldnen Ostereis mit zwei Dottern,
und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder um¬
hängten, sie rückten zusammen und nahmen sie in die Mitte
und tranken Gesundheiten und Alles war voll Lust und Herr¬
lichkeit. -- Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der
Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geschenken Salomos und
der Königin von Saba auf dem Tische lag und überreichte
es der Kounteß mit der Bitte, da sie sich so sehr für
schriftliche Urkunden interessire und eine so schöne Aussprache
habe, möge sie mit der Vorlesung die Mahlzeit beschließen;
wahrscheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von
den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeich¬
net seyn. -- Sie nahm das Buch, blätterte ein wenig da¬
rin hin und her, wie ein Kind, das keine Lust zu lesen hat,

Worten: „o mein Gott, welch ein Greul, o wo ſeyd ihr hin,
ihr ſchoͤnen Tage meiner Kindheit!“ — Gackeleia aber drehte
den Ring mit dem Wunſche, alle die Streitenden moͤchten
ſich in unſchuldige, beluſtigende Gegenſtaͤnde verwandeln und
alsbald wurden die Koͤnige und der Lebkuͤchler zu Hollunder¬
maͤnnchen, welche ſich einander auf den Kopf ſtellten und
wieder auf die Fuͤße purzelten, was allgemeinen Beifall
fand. Die Ueberreſte der Lebkuchen-Bilder wurden theils
von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina
verzehrt. — Selbſt die Konnteß laͤchelte daruͤber und
ſagte: „ſeit ich die Achſelſpange der Rebecka beruͤhrt habe,
iſt mir ein ſolcher kindlicher Friede, eine ſolche Luſt ins
Herz gekommen, daß es mir laͤcherlich vorkoͤmmt, wie ich
ſo entſetzlich uͤber den Stein Jakobs habe ſtudieren koͤn¬
nen, o jetzt habe ich keinen Wunſch mehr, als daß ich noch,
wie einſt auf meinen Kinderſtuͤhlchen neben St. Eduards
Stuhl ſitzen und meine Puppe darauf ſtellen koͤnnte.“ —
Dieſe Rede gefiel der ganzen graͤflichen Familie ſo wohl, daß
Gockel ihr Kinderſtuͤhlchen auf den Tiſch und die Puppe da¬
raufſtellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei,
Kronovus den Orden des goldnen Oſtereis mit zwei Dottern,
und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder um¬
haͤngten, ſie ruͤckten zuſammen und nahmen ſie in die Mitte
und tranken Geſundheiten und Alles war voll Luſt und Herr¬
lichkeit. — Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der
Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geſchenken Salomos und
der Koͤnigin von Saba auf dem Tiſche lag und uͤberreichte
es der Kounteß mit der Bitte, da ſie ſich ſo ſehr fuͤr
ſchriftliche Urkunden intereſſire und eine ſo ſchoͤne Ausſprache
habe, moͤge ſie mit der Vorleſung die Mahlzeit beſchließen;
wahrſcheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von
den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeich¬
net ſeyn. — Sie nahm das Buch, blaͤtterte ein wenig da¬
rin hin und her, wie ein Kind, das keine Luſt zu leſen hat,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="219"/>
Worten: &#x201E;o mein Gott, welch ein Greul, o wo &#x017F;eyd ihr hin,<lb/>
ihr &#x017F;cho&#x0364;nen Tage meiner Kindheit!&#x201C; &#x2014; Gackeleia aber drehte<lb/>
den Ring mit dem Wun&#x017F;che, alle die Streitenden mo&#x0364;chten<lb/>
&#x017F;ich in un&#x017F;chuldige, belu&#x017F;tigende Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde verwandeln und<lb/>
alsbald wurden die Ko&#x0364;nige und der Lebku&#x0364;chler zu Hollunder¬<lb/>
ma&#x0364;nnchen, welche &#x017F;ich einander auf den Kopf &#x017F;tellten und<lb/>
wieder auf die Fu&#x0364;ße purzelten, was allgemeinen Beifall<lb/>
fand. Die Ueberre&#x017F;te der Lebkuchen-Bilder wurden theils<lb/>
von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina<lb/>
verzehrt. &#x2014; Selb&#x017F;t die Konnteß la&#x0364;chelte daru&#x0364;ber und<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;&#x017F;eit ich die Ach&#x017F;el&#x017F;pange der Rebecka beru&#x0364;hrt habe,<lb/>
i&#x017F;t mir ein &#x017F;olcher kindlicher Friede, eine &#x017F;olche Lu&#x017F;t ins<lb/>
Herz gekommen, daß es mir la&#x0364;cherlich vorko&#x0364;mmt, wie ich<lb/>
&#x017F;o ent&#x017F;etzlich u&#x0364;ber den Stein Jakobs habe &#x017F;tudieren ko&#x0364;<lb/>
nen, o jetzt habe ich keinen Wun&#x017F;ch mehr, als daß ich noch,<lb/>
wie ein&#x017F;t auf meinen Kinder&#x017F;tu&#x0364;hlchen neben St. Eduards<lb/>
Stuhl &#x017F;itzen und meine Puppe darauf &#x017F;tellen ko&#x0364;nnte.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Die&#x017F;e Rede gefiel der ganzen gra&#x0364;flichen Familie &#x017F;o wohl, daß<lb/>
Gockel ihr Kinder&#x017F;tu&#x0364;hlchen auf den Ti&#x017F;ch und die Puppe da¬<lb/>
rauf&#x017F;tellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei,<lb/>
Kronovus den Orden des goldnen O&#x017F;tereis mit zwei Dottern,<lb/>
und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder um¬<lb/>
ha&#x0364;ngten, &#x017F;ie ru&#x0364;ckten zu&#x017F;ammen und nahmen &#x017F;ie in die Mitte<lb/>
und tranken Ge&#x017F;undheiten und Alles war voll Lu&#x017F;t und Herr¬<lb/>
lichkeit. &#x2014; Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der<lb/>
Ahnfrau, das vor ihnen bei den Ge&#x017F;chenken Salomos und<lb/>
der Ko&#x0364;nigin von Saba auf dem Ti&#x017F;che lag und u&#x0364;berreichte<lb/>
es der Kounteß mit der Bitte, da &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;chriftliche Urkunden intere&#x017F;&#x017F;ire und eine &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;ne Aus&#x017F;prache<lb/>
habe, mo&#x0364;ge &#x017F;ie mit der Vorle&#x017F;ung die Mahlzeit be&#x017F;chließen;<lb/>
wahr&#x017F;cheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von<lb/>
den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeich¬<lb/>
net &#x017F;eyn. &#x2014; Sie nahm das Buch, bla&#x0364;tterte ein wenig da¬<lb/>
rin hin und her, wie ein Kind, das keine Lu&#x017F;t zu le&#x017F;en hat,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0271] Worten: „o mein Gott, welch ein Greul, o wo ſeyd ihr hin, ihr ſchoͤnen Tage meiner Kindheit!“ — Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunſche, alle die Streitenden moͤchten ſich in unſchuldige, beluſtigende Gegenſtaͤnde verwandeln und alsbald wurden die Koͤnige und der Lebkuͤchler zu Hollunder¬ maͤnnchen, welche ſich einander auf den Kopf ſtellten und wieder auf die Fuͤße purzelten, was allgemeinen Beifall fand. Die Ueberreſte der Lebkuchen-Bilder wurden theils von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina verzehrt. — Selbſt die Konnteß laͤchelte daruͤber und ſagte: „ſeit ich die Achſelſpange der Rebecka beruͤhrt habe, iſt mir ein ſolcher kindlicher Friede, eine ſolche Luſt ins Herz gekommen, daß es mir laͤcherlich vorkoͤmmt, wie ich ſo entſetzlich uͤber den Stein Jakobs habe ſtudieren koͤn¬ nen, o jetzt habe ich keinen Wunſch mehr, als daß ich noch, wie einſt auf meinen Kinderſtuͤhlchen neben St. Eduards Stuhl ſitzen und meine Puppe darauf ſtellen koͤnnte.“ — Dieſe Rede gefiel der ganzen graͤflichen Familie ſo wohl, daß Gockel ihr Kinderſtuͤhlchen auf den Tiſch und die Puppe da¬ raufſtellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei, Kronovus den Orden des goldnen Oſtereis mit zwei Dottern, und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder um¬ haͤngten, ſie ruͤckten zuſammen und nahmen ſie in die Mitte und tranken Geſundheiten und Alles war voll Luſt und Herr¬ lichkeit. — Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geſchenken Salomos und der Koͤnigin von Saba auf dem Tiſche lag und uͤberreichte es der Kounteß mit der Bitte, da ſie ſich ſo ſehr fuͤr ſchriftliche Urkunden intereſſire und eine ſo ſchoͤne Ausſprache habe, moͤge ſie mit der Vorleſung die Mahlzeit beſchließen; wahrſcheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeich¬ net ſeyn. — Sie nahm das Buch, blaͤtterte ein wenig da¬ rin hin und her, wie ein Kind, das keine Luſt zu leſen hat,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/271
Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/271>, abgerufen am 15.05.2024.