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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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und seinen Söhnen und Töchtern zu Pferd, und sie ritten in
den wilden Wald nach dem Ort, wo er den Salmo gefunden
hatte. Da ließ er das Hühnlein laufen, und wo es hinlief,
ritten sie nach wohl vier Tage lang und kamen sehr durstig
an ein Brünnlein, daran saß Lucius, ein König von England,
der war ein Christ worden und reiste nach Augsburg, das
Christenthum zu verkünden und hielt hier Ruhe an dem
Brünnlein. Das Hühnlein Gallina aber lief auf ihn zu
und fraß ihm das Brod aus den Händen. Deß wundert
sich Belgius sehr, da Gallina sonst nicht also kühn war und
ein gar blöd züchtiges Hühnlein. Da gedachte Belgius,
das muß ein frommer, heiliger Mann seyn, weil das Hühn¬
lein ihn so lieb hat. Als sie aber miteinander sprachen,
sagte Belgius dem Lucius Alles von dem Hühnlein und dem
Salmo, und Lucius sprach so eindringlich mit Belgius, daß
er sich mit Weib und Kind von ihm in der Quelle taufen
ließ. Darnach reiste Lucius weiter gen Räthien, und Belgius
ritt dem Hühnlein Gallina nach, bis sie dahin kamen, wo
sie ausgezogen, und nahm Belgius alles das Land in Besitz
und nannte es das Hennegau, weil die Henne es umlaufen
hatte. -- Von dieser Henne Gallina nun ist von damals
immer das erstgebohrne Hühnlein bei den Grafen von Henne¬
gau aufbewahret und im Schlosse gefüttert worden, und
nennt man es im Lande allgemein Gallina, das fromme
Hühnlein und hält es gar hoch. Es ist ihm eine eigne
Pflegerin bestellt, wozu immer die älteste tugendlichste Magd
aus dem Frauenzimmer der Gräfinnen genommen wird, und
nennt man diese Pflegerin selbst das fromme Hühnlein. Dieses
Ehrenamt versieht heut zu Tage Jungfer Verena, eine gar
gottselige Jungfrau. Sie war oben von dem Rheine her
und schon als Wärterin meiner Großmutter in Vadutz ge¬
wesen. Es besteht aber das Hühnerhaus des Belgius mit
seinem Hof und Gärtchen noch, worin die erste Gallina
gelebt und gestorben und ist ein feines Stübchen darüber

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und ſeinen Soͤhnen und Toͤchtern zu Pferd, und ſie ritten in
den wilden Wald nach dem Ort, wo er den Salmo gefunden
hatte. Da ließ er das Huͤhnlein laufen, und wo es hinlief,
ritten ſie nach wohl vier Tage lang und kamen ſehr durſtig
an ein Bruͤnnlein, daran ſaß Lucius, ein Koͤnig von England,
der war ein Chriſt worden und reiste nach Augsburg, das
Chriſtenthum zu verkuͤnden und hielt hier Ruhe an dem
Bruͤnnlein. Das Huͤhnlein Gallina aber lief auf ihn zu
und fraß ihm das Brod aus den Haͤnden. Deß wundert
ſich Belgius ſehr, da Gallina ſonſt nicht alſo kuͤhn war und
ein gar bloͤd zuͤchtiges Huͤhnlein. Da gedachte Belgius,
das muß ein frommer, heiliger Mann ſeyn, weil das Huͤhn¬
lein ihn ſo lieb hat. Als ſie aber miteinander ſprachen,
ſagte Belgius dem Lucius Alles von dem Huͤhnlein und dem
Salmo, und Lucius ſprach ſo eindringlich mit Belgius, daß
er ſich mit Weib und Kind von ihm in der Quelle taufen
ließ. Darnach reiste Lucius weiter gen Raͤthien, und Belgius
ritt dem Huͤhnlein Gallina nach, bis ſie dahin kamen, wo
ſie ausgezogen, und nahm Belgius alles das Land in Beſitz
und nannte es das Hennegau, weil die Henne es umlaufen
hatte. — Von dieſer Henne Gallina nun iſt von damals
immer das erſtgebohrne Huͤhnlein bei den Grafen von Henne¬
gau aufbewahret und im Schloſſe gefuͤttert worden, und
nennt man es im Lande allgemein Gallina, das fromme
Huͤhnlein und haͤlt es gar hoch. Es iſt ihm eine eigne
Pflegerin beſtellt, wozu immer die aͤlteſte tugendlichſte Magd
aus dem Frauenzimmer der Graͤfinnen genommen wird, und
nennt man dieſe Pflegerin ſelbſt das fromme Huͤhnlein. Dieſes
Ehrenamt verſieht heut zu Tage Jungfer Verena, eine gar
gottſelige Jungfrau. Sie war oben von dem Rheine her
und ſchon als Waͤrterin meiner Großmutter in Vadutz ge¬
weſen. Es beſteht aber das Huͤhnerhaus des Belgius mit
ſeinem Hof und Gaͤrtchen noch, worin die erſte Gallina
gelebt und geſtorben und iſt ein feines Stuͤbchen daruͤber

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[243/0297] und ſeinen Soͤhnen und Toͤchtern zu Pferd, und ſie ritten in den wilden Wald nach dem Ort, wo er den Salmo gefunden hatte. Da ließ er das Huͤhnlein laufen, und wo es hinlief, ritten ſie nach wohl vier Tage lang und kamen ſehr durſtig an ein Bruͤnnlein, daran ſaß Lucius, ein Koͤnig von England, der war ein Chriſt worden und reiste nach Augsburg, das Chriſtenthum zu verkuͤnden und hielt hier Ruhe an dem Bruͤnnlein. Das Huͤhnlein Gallina aber lief auf ihn zu und fraß ihm das Brod aus den Haͤnden. Deß wundert ſich Belgius ſehr, da Gallina ſonſt nicht alſo kuͤhn war und ein gar bloͤd zuͤchtiges Huͤhnlein. Da gedachte Belgius, das muß ein frommer, heiliger Mann ſeyn, weil das Huͤhn¬ lein ihn ſo lieb hat. Als ſie aber miteinander ſprachen, ſagte Belgius dem Lucius Alles von dem Huͤhnlein und dem Salmo, und Lucius ſprach ſo eindringlich mit Belgius, daß er ſich mit Weib und Kind von ihm in der Quelle taufen ließ. Darnach reiste Lucius weiter gen Raͤthien, und Belgius ritt dem Huͤhnlein Gallina nach, bis ſie dahin kamen, wo ſie ausgezogen, und nahm Belgius alles das Land in Beſitz und nannte es das Hennegau, weil die Henne es umlaufen hatte. — Von dieſer Henne Gallina nun iſt von damals immer das erſtgebohrne Huͤhnlein bei den Grafen von Henne¬ gau aufbewahret und im Schloſſe gefuͤttert worden, und nennt man es im Lande allgemein Gallina, das fromme Huͤhnlein und haͤlt es gar hoch. Es iſt ihm eine eigne Pflegerin beſtellt, wozu immer die aͤlteſte tugendlichſte Magd aus dem Frauenzimmer der Graͤfinnen genommen wird, und nennt man dieſe Pflegerin ſelbſt das fromme Huͤhnlein. Dieſes Ehrenamt verſieht heut zu Tage Jungfer Verena, eine gar gottſelige Jungfrau. Sie war oben von dem Rheine her und ſchon als Waͤrterin meiner Großmutter in Vadutz ge¬ weſen. Es beſteht aber das Huͤhnerhaus des Belgius mit ſeinem Hof und Gaͤrtchen noch, worin die erſte Gallina gelebt und geſtorben und iſt ein feines Stuͤbchen daruͤber 16 *

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/297>, abgerufen am 15.05.2024.