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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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Ihr Leben ward täglich erträglicher in dem wilden
Schloß. Gockel gieng oft ganze Tage in den Wald, bald
zu jagen, bald um die Vögelchen und Hühnchen der Frau
Hinkel in den hohlen Baum zu tragen, wo er immer für
jedes zwei Kreuzer von Hrn. Gebrüder Portorico ohne Rip¬
pen durch den Conducteur und neue Bestellungen, und was
er selbst bestellt, hingelegt fand. -- Wenn Gockel weggieng,
befahl er immer, was gearbeitet werden sollte, und Alektryo
horchte seinen Aufträgen jedesmal sehr ernsthaft zu. Seine
Befehle wurden aber nicht immer befolgt. Zum Beispiel:
Gackeleia sollte aus Weidenruthen Hühnernester flechten und
die Weidenruthen in den Brunnen vor dem Schloßgarten le¬
gen, damit sie sich recht geschmeidig flechten ließen; aber
sie that das sehr nachlässig, war eine neugierige, naschhafte
kleine Spielratze, guckte in alle Vogelnester, naschte von al¬
len Beeren, machte sich Blumenkränze und hatte keine rechte
Lust zum Arbeiten, weßwegen der strenge Alektryo sie manch¬
mal mit großem Zorn ankrähte, so daß sie erschreckt zu ih¬
rer Arbeit zurücklief. Darum faßte sie einen starken Unwil¬
len auf den alten Wetterpropheten und verklagte ihn bei der
Mutter. Auch diese hatte keine Liebe zu Alektryo, denn,
wenn sie sich manchmal über der Gartenarbeit ermüdet auf
einen Stein setzte und sehnsüchtig an die Fleischer- und Bä¬
ckerladen zu Gelnhausen dachte, begann Alektryo, der ihr
immer wie ein beschwerlicher Haushofmeister auf allen Schrit¬
ten nachgieng, auf den zu bestellenden Gartenbeeten zu schar¬
ren und zu krähen, um sie an die Arbeit zu erinnern.

Als sie nun einstens so sitzend eingeschlafen war und
vergessen hatte, der Henne Gallina Futter vorzustreuen und
frisches Wasser zu geben, träumte ihr auch von den Geln¬
hausner Braten und Eierwecken so klar und deutlich, daß
sie im Traum sagte: "ach es ist Wahrheit, es ist kein
Traum;" da krähte ihr Alektryo so schneidend dicht in die
Ohren, daß sie vor Schrecken erwachte und an die harte

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Ihr Leben ward taͤglich ertraͤglicher in dem wilden
Schloß. Gockel gieng oft ganze Tage in den Wald, bald
zu jagen, bald um die Voͤgelchen und Huͤhnchen der Frau
Hinkel in den hohlen Baum zu tragen, wo er immer fuͤr
jedes zwei Kreuzer von Hrn. Gebruͤder Portorico ohne Rip¬
pen durch den Conducteur und neue Beſtellungen, und was
er ſelbſt beſtellt, hingelegt fand. — Wenn Gockel weggieng,
befahl er immer, was gearbeitet werden ſollte, und Alektryo
horchte ſeinen Auftraͤgen jedesmal ſehr ernſthaft zu. Seine
Befehle wurden aber nicht immer befolgt. Zum Beiſpiel:
Gackeleia ſollte aus Weidenruthen Huͤhnerneſter flechten und
die Weidenruthen in den Brunnen vor dem Schloßgarten le¬
gen, damit ſie ſich recht geſchmeidig flechten ließen; aber
ſie that das ſehr nachlaͤſſig, war eine neugierige, naſchhafte
kleine Spielratze, guckte in alle Vogelneſter, naſchte von al¬
len Beeren, machte ſich Blumenkraͤnze und hatte keine rechte
Luſt zum Arbeiten, weßwegen der ſtrenge Alektryo ſie manch¬
mal mit großem Zorn ankraͤhte, ſo daß ſie erſchreckt zu ih¬
rer Arbeit zuruͤcklief. Darum faßte ſie einen ſtarken Unwil¬
len auf den alten Wetterpropheten und verklagte ihn bei der
Mutter. Auch dieſe hatte keine Liebe zu Alektryo, denn,
wenn ſie ſich manchmal uͤber der Gartenarbeit ermuͤdet auf
einen Stein ſetzte und ſehnſuͤchtig an die Fleiſcher- und Baͤ¬
ckerladen zu Gelnhauſen dachte, begann Alektryo, der ihr
immer wie ein beſchwerlicher Haushofmeiſter auf allen Schrit¬
ten nachgieng, auf den zu beſtellenden Gartenbeeten zu ſchar¬
ren und zu kraͤhen, um ſie an die Arbeit zu erinnern.

Als ſie nun einſtens ſo ſitzend eingeſchlafen war und
vergeſſen hatte, der Henne Gallina Futter vorzuſtreuen und
friſches Waſſer zu geben, traͤumte ihr auch von den Geln¬
hausner Braten und Eierwecken ſo klar und deutlich, daß
ſie im Traum ſagte: „ach es iſt Wahrheit, es iſt kein
Traum;“ da kraͤhte ihr Alektryo ſo ſchneidend dicht in die
Ohren, daß ſie vor Schrecken erwachte und an die harte

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[33/0059] Ihr Leben ward taͤglich ertraͤglicher in dem wilden Schloß. Gockel gieng oft ganze Tage in den Wald, bald zu jagen, bald um die Voͤgelchen und Huͤhnchen der Frau Hinkel in den hohlen Baum zu tragen, wo er immer fuͤr jedes zwei Kreuzer von Hrn. Gebruͤder Portorico ohne Rip¬ pen durch den Conducteur und neue Beſtellungen, und was er ſelbſt beſtellt, hingelegt fand. — Wenn Gockel weggieng, befahl er immer, was gearbeitet werden ſollte, und Alektryo horchte ſeinen Auftraͤgen jedesmal ſehr ernſthaft zu. Seine Befehle wurden aber nicht immer befolgt. Zum Beiſpiel: Gackeleia ſollte aus Weidenruthen Huͤhnerneſter flechten und die Weidenruthen in den Brunnen vor dem Schloßgarten le¬ gen, damit ſie ſich recht geſchmeidig flechten ließen; aber ſie that das ſehr nachlaͤſſig, war eine neugierige, naſchhafte kleine Spielratze, guckte in alle Vogelneſter, naſchte von al¬ len Beeren, machte ſich Blumenkraͤnze und hatte keine rechte Luſt zum Arbeiten, weßwegen der ſtrenge Alektryo ſie manch¬ mal mit großem Zorn ankraͤhte, ſo daß ſie erſchreckt zu ih¬ rer Arbeit zuruͤcklief. Darum faßte ſie einen ſtarken Unwil¬ len auf den alten Wetterpropheten und verklagte ihn bei der Mutter. Auch dieſe hatte keine Liebe zu Alektryo, denn, wenn ſie ſich manchmal uͤber der Gartenarbeit ermuͤdet auf einen Stein ſetzte und ſehnſuͤchtig an die Fleiſcher- und Baͤ¬ ckerladen zu Gelnhauſen dachte, begann Alektryo, der ihr immer wie ein beſchwerlicher Haushofmeiſter auf allen Schrit¬ ten nachgieng, auf den zu beſtellenden Gartenbeeten zu ſchar¬ ren und zu kraͤhen, um ſie an die Arbeit zu erinnern. Als ſie nun einſtens ſo ſitzend eingeſchlafen war und vergeſſen hatte, der Henne Gallina Futter vorzuſtreuen und friſches Waſſer zu geben, traͤumte ihr auch von den Geln¬ hausner Braten und Eierwecken ſo klar und deutlich, daß ſie im Traum ſagte: „ach es iſt Wahrheit, es iſt kein Traum;“ da kraͤhte ihr Alektryo ſo ſchneidend dicht in die Ohren, daß ſie vor Schrecken erwachte und an die harte 3

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/59>, abgerufen am 30.04.2024.