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Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838.

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deten Weihrauch und Gebete aus den Opferschalen ihrer
Kelche empor.

Zu Füßen des Hennen-Kreuzes trauerte in stummem
Schmerz ein adeliger Fräuleinverein von lauter Pflanzen und
Kräutern, welche der Gräfin Hinkel von Hennegau namens¬
verwandt und seit Olims Zeilen in diesem Schloße einhei¬
misch waren. Hier weinten unter dem Vorstand der alle
Schmerzen übernehmenden Fräulein Grasette Fetthenne ihre
stillen Thränen die edlen Fräulein Moscatellina von Hahnen¬
fuß, Ornitogalia von Hühnermilch, Serpoleta von Hühner¬
klee, Morgelina von Hühnerbiß, Cornelia von Hahnenpföt¬
chen, Osterlustia von Hahnensporn, Cretellina von Hahnen¬
kamm und Esparsetta von Hahnenkämmchen. -- Dank den
edlen schönen Seelen!

Es haben sich außerdem allerlei Gerüchte von außeror¬
dentlichen Erscheinungen verbreitet, die bei diesem Begräb¬
niß eingetreten seyn sollen, und es ist noch jetzt das Gerede
unter den Vögeln der Umgegend davon: "es sey ein Comet
in der Gestalt eines Paradiesvogels am Himmel gesehen
worden, und unter der Linde hätten die drei Lilien zu leuchten
begonnen, Sterne seyen in sie niedersinkend gesehen worden
und vor ihnen sey eine schöne edle Frau, eine Gräfin von
Hennegau, erschienen und habe beim Vorübergang der Leiche
die Worte gesungen:

O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
worauf Alles verschwunden sey." Wir stellen diese Gerüchte,
als dem Reiche der Phantasie angehörig, unverbürgt dem
Glauben eines Jeden anheim.

Als Gockel und Alektryo in der dachlosen, Busch und
Baum durchwachsenen Kapelle mit den Ueberresten Gallina's
angekommen war, schüttete er dieselben fein sachte auf die
Stufen des zerfallenen Altares aus und zog seine Mütze

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deten Weihrauch und Gebete aus den Opferſchalen ihrer
Kelche empor.

Zu Fuͤßen des Hennen-Kreuzes trauerte in ſtummem
Schmerz ein adeliger Fraͤuleinverein von lauter Pflanzen und
Kraͤutern, welche der Graͤfin Hinkel von Hennegau namens¬
verwandt und ſeit Olims Zeilen in dieſem Schloße einhei¬
miſch waren. Hier weinten unter dem Vorſtand der alle
Schmerzen uͤbernehmenden Fraͤulein Graſette Fetthenne ihre
ſtillen Thraͤnen die edlen Fraͤulein Moscatellina von Hahnen¬
fuß, Ornitogalia von Huͤhnermilch, Serpoleta von Huͤhner¬
klee, Morgelina von Huͤhnerbiß, Cornelia von Hahnenpfoͤt¬
chen, Oſterluſtia von Hahnenſporn, Cretellina von Hahnen¬
kamm und Esparſetta von Hahnenkaͤmmchen. — Dank den
edlen ſchoͤnen Seelen!

Es haben ſich außerdem allerlei Geruͤchte von außeror¬
dentlichen Erſcheinungen verbreitet, die bei dieſem Begraͤb¬
niß eingetreten ſeyn ſollen, und es iſt noch jetzt das Gerede
unter den Voͤgeln der Umgegend davon: „es ſey ein Comet
in der Geſtalt eines Paradiesvogels am Himmel geſehen
worden, und unter der Linde haͤtten die drei Lilien zu leuchten
begonnen, Sterne ſeyen in ſie niederſinkend geſehen worden
und vor ihnen ſey eine ſchoͤne edle Frau, eine Graͤfin von
Hennegau, erſchienen und habe beim Voruͤbergang der Leiche
die Worte geſungen:

O Stern und Blume, Geiſt und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!
worauf Alles verſchwunden ſey.“ Wir ſtellen dieſe Geruͤchte,
als dem Reiche der Phantaſie angehoͤrig, unverbuͤrgt dem
Glauben eines Jeden anheim.

Als Gockel und Alektryo in der dachloſen, Buſch und
Baum durchwachſenen Kapelle mit den Ueberreſten Gallina's
angekommen war, ſchuͤttete er dieſelben fein ſachte auf die
Stufen des zerfallenen Altares aus und zog ſeine Muͤtze

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[49/0075] deten Weihrauch und Gebete aus den Opferſchalen ihrer Kelche empor. Zu Fuͤßen des Hennen-Kreuzes trauerte in ſtummem Schmerz ein adeliger Fraͤuleinverein von lauter Pflanzen und Kraͤutern, welche der Graͤfin Hinkel von Hennegau namens¬ verwandt und ſeit Olims Zeilen in dieſem Schloße einhei¬ miſch waren. Hier weinten unter dem Vorſtand der alle Schmerzen uͤbernehmenden Fraͤulein Graſette Fetthenne ihre ſtillen Thraͤnen die edlen Fraͤulein Moscatellina von Hahnen¬ fuß, Ornitogalia von Huͤhnermilch, Serpoleta von Huͤhner¬ klee, Morgelina von Huͤhnerbiß, Cornelia von Hahnenpfoͤt¬ chen, Oſterluſtia von Hahnenſporn, Cretellina von Hahnen¬ kamm und Esparſetta von Hahnenkaͤmmchen. — Dank den edlen ſchoͤnen Seelen! Es haben ſich außerdem allerlei Geruͤchte von außeror¬ dentlichen Erſcheinungen verbreitet, die bei dieſem Begraͤb¬ niß eingetreten ſeyn ſollen, und es iſt noch jetzt das Gerede unter den Voͤgeln der Umgegend davon: „es ſey ein Comet in der Geſtalt eines Paradiesvogels am Himmel geſehen worden, und unter der Linde haͤtten die drei Lilien zu leuchten begonnen, Sterne ſeyen in ſie niederſinkend geſehen worden und vor ihnen ſey eine ſchoͤne edle Frau, eine Graͤfin von Hennegau, erſchienen und habe beim Voruͤbergang der Leiche die Worte geſungen: O Stern und Blume, Geiſt und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! worauf Alles verſchwunden ſey.“ Wir ſtellen dieſe Geruͤchte, als dem Reiche der Phantaſie angehoͤrig, unverbuͤrgt dem Glauben eines Jeden anheim. Als Gockel und Alektryo in der dachloſen, Buſch und Baum durchwachſenen Kapelle mit den Ueberreſten Gallina's angekommen war, ſchuͤttete er dieſelben fein ſachte auf die Stufen des zerfallenen Altares aus und zog ſeine Muͤtze 4

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Zitationshilfe: Brentano, Clemens: Gockel, Hinkel und Gackeleia. Frankfurt, 1838, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brentano_gockel_1838/75>, abgerufen am 30.04.2024.