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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

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Der Lammes-Kopf.
Daß zarte Nerven durch sie gehen; es endigen sich viel' in
Sehnen.

Die Kiefern sieht man eingetheilt in viele Fächerchen mit
Zähnen.

Noch wird ein wirckliches Gewölbe von grössern Umfang,
von der Stirn,

Bis hinten durch den gantzen Kopf, als ein Behälter zum
Gehirn,

Jm harten Knochen angetroffen. Jch stutzt', als ich dieß
alles sah,

Und dachte mit gerührter Seele: Wie ward dieß alles?
welche Hand

Hat dieses künstliche Gebäude formirt, errichtet, ausge-
spannt?

Nach welcher Richtschnur legt sies an?
Was für ein Werck-Zeug brauchte sie,
Es auszuhölen, es zu bilden? woher nahm sie die Symmetrie,
Daß alles so gar Negel-recht, daß alles gleich auf beiden
Seiten?

Woher ein so geschärfft Gesicht? da so viel kleine Kleinigkeiten
Mit Fleiß allhier zu bilden waren: Jch find' hier weder
Hand noch Augen,

Die solch ein überkünstlich Werck zu sehn und zu formiren
taugen:

Jch finde nicht einmahl ein Licht, wobey solch Kunst-reich
Werck gemacht,

Jndem es, wie bekannt, im dunckeln gewirckt wird und her-
vor gebracht.

Hier stehet all mein dencken still. Jch seh' allhier gantz
andre Kräffte,

Als alle Kräffte, die die Menschheit, trotz ihrem Dünckel, ie
besaß;

Ob sie bisher gleich mehrentheils, nach ihrem Maß-Stab,
alles maß.

Es

Der Lammes-Kopf.
Daß zarte Nerven durch ſie gehen; es endigen ſich viel’ in
Sehnen.

Die Kiefern ſieht man eingetheilt in viele Faͤcherchen mit
Zaͤhnen.

Noch wird ein wirckliches Gewoͤlbe von groͤſſern Umfang,
von der Stirn,

Bis hinten durch den gantzen Kopf, als ein Behaͤlter zum
Gehirn,

Jm harten Knochen angetroffen. Jch ſtutzt’, als ich dieß
alles ſah,

Und dachte mit geruͤhrter Seele: Wie ward dieß alles?
welche Hand

Hat dieſes kuͤnſtliche Gebaͤude formirt, errichtet, ausge-
ſpannt?

Nach welcher Richtſchnur legt ſies an?
Was fuͤr ein Werck-Zeug brauchte ſie,
Es auszuhoͤlen, es zu bilden? woher nahm ſie die Symmetrie,
Daß alles ſo gar Negel-recht, daß alles gleich auf beiden
Seiten?

Woher ein ſo geſchaͤrfft Geſicht? da ſo viel kleine Kleinigkeiten
Mit Fleiß allhier zu bilden waren: Jch find’ hier weder
Hand noch Augen,

Die ſolch ein uͤberkuͤnſtlich Werck zu ſehn und zu formiren
taugen:

Jch finde nicht einmahl ein Licht, wobey ſolch Kunſt-reich
Werck gemacht,

Jndem es, wie bekannt, im dunckeln gewirckt wird und her-
vor gebracht.

Hier ſtehet all mein dencken ſtill. Jch ſeh’ allhier gantz
andre Kraͤffte,

Als alle Kraͤffte, die die Menſchheit, trotz ihrem Duͤnckel, ie
beſaß;

Ob ſie bisher gleich mehrentheils, nach ihrem Maß-Stab,
alles maß.

Es
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[264/0296] Der Lammes-Kopf. Daß zarte Nerven durch ſie gehen; es endigen ſich viel’ in Sehnen. Die Kiefern ſieht man eingetheilt in viele Faͤcherchen mit Zaͤhnen. Noch wird ein wirckliches Gewoͤlbe von groͤſſern Umfang, von der Stirn, Bis hinten durch den gantzen Kopf, als ein Behaͤlter zum Gehirn, Jm harten Knochen angetroffen. Jch ſtutzt’, als ich dieß alles ſah, Und dachte mit geruͤhrter Seele: Wie ward dieß alles? welche Hand Hat dieſes kuͤnſtliche Gebaͤude formirt, errichtet, ausge- ſpannt? Nach welcher Richtſchnur legt ſies an? Was fuͤr ein Werck-Zeug brauchte ſie, Es auszuhoͤlen, es zu bilden? woher nahm ſie die Symmetrie, Daß alles ſo gar Negel-recht, daß alles gleich auf beiden Seiten? Woher ein ſo geſchaͤrfft Geſicht? da ſo viel kleine Kleinigkeiten Mit Fleiß allhier zu bilden waren: Jch find’ hier weder Hand noch Augen, Die ſolch ein uͤberkuͤnſtlich Werck zu ſehn und zu formiren taugen: Jch finde nicht einmahl ein Licht, wobey ſolch Kunſt-reich Werck gemacht, Jndem es, wie bekannt, im dunckeln gewirckt wird und her- vor gebracht. Hier ſtehet all mein dencken ſtill. Jch ſeh’ allhier gantz andre Kraͤffte, Als alle Kraͤffte, die die Menſchheit, trotz ihrem Duͤnckel, ie beſaß; Ob ſie bisher gleich mehrentheils, nach ihrem Maß-Stab, alles maß. Es

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/296>, abgerufen am 07.05.2024.