Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Wider den Hochmuht.
Geheimnisse der Schrift zu fassen, und selbe deutlich zu
erklären,
Die doch, wenn sie Erklärung fähig, gar nicht Geheim-
nisse mehr wären.
Jnzwischen lassen sie die Wunder von GOttes Lieb' und
weisen Macht,
Jn welchen sie doch gleichsam schwimmen, recht unver-
nünftig aus der Acht.
GOtt hat uns auf die Welt gesetzt, um Seine Ehre zu
erheben,
Er hat uns ungezähltes Gutes, zur Lust und zum Genuß,
gegeben.
Wir aber achten dieses nichts. Der Geist fliegt in die
Höh', wir schweben
Aus unserm angewies'nen Ort in einen andern, und ver-
gessen,
Jn unserm aufgeblas'nen Flug, des Schöpfers Ordnung
zu ermessen,
Die uns zur Richtschnur dienen sollte, und zwar, ohn'
Ausnahm, ganz allein.
GOtt will uns hier auf Erden haben, wir wollen nicht
auf Erden seyn.
Der Geist verschmäht das uns von GOtt allhier gegön-
nete Vergnügen,
Und sucht, auf seine Weis', ihm Flügel (könnt' er) selbst
über GOtt zu fliegen.
Ach, mögten wir doch unsre Pflicht, und in derselben
GOttes Willen,
Jm angewies'nen Brauch des Geistes, und nicht der Wis-
sens-Sucht, erfüllen!
Ach,
Wider den Hochmuht.
Geheimniſſe der Schrift zu faſſen, und ſelbe deutlich zu
erklaͤren,
Die doch, wenn ſie Erklaͤrung faͤhig, gar nicht Geheim-
niſſe mehr waͤren.
Jnzwiſchen laſſen ſie die Wunder von GOttes Lieb’ und
weiſen Macht,
Jn welchen ſie doch gleichſam ſchwimmen, recht unver-
nuͤnftig aus der Acht.
GOtt hat uns auf die Welt geſetzt, um Seine Ehre zu
erheben,
Er hat uns ungezaͤhltes Gutes, zur Luſt und zum Genuß,
gegeben.
Wir aber achten dieſes nichts. Der Geiſt fliegt in die
Hoͤh’, wir ſchweben
Aus unſerm angewieſ’nen Ort in einen andern, und ver-
geſſen,
Jn unſerm aufgeblaſ’nen Flug, des Schoͤpfers Ordnung
zu ermeſſen,
Die uns zur Richtſchnur dienen ſollte, und zwar, ohn’
Ausnahm, ganz allein.
GOtt will uns hier auf Erden haben, wir wollen nicht
auf Erden ſeyn.
Der Geiſt verſchmaͤht das uns von GOtt allhier gegoͤn-
nete Vergnuͤgen,
Und ſucht, auf ſeine Weiſ’, ihm Fluͤgel (koͤnnt’ er) ſelbſt
uͤber GOtt zu fliegen.
Ach, moͤgten wir doch unſre Pflicht, und in derſelben
GOttes Willen,
Jm angewieſ’nen Brauch des Geiſtes, und nicht der Wiſ-
ſens-Sucht, erfuͤllen!
Ach,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0721" n="703"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Wider den Hochmuht.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Geheimni&#x017F;&#x017F;e der Schrift zu fa&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;elbe deutlich zu</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">erkla&#x0364;ren,</hi> </l><lb/>
                <l>Die doch, wenn &#x017F;ie Erkla&#x0364;rung fa&#x0364;hig, gar nicht Geheim-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ni&#x017F;&#x017F;e mehr wa&#x0364;ren.</hi> </l><lb/>
                <l>Jnzwi&#x017F;chen la&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie die Wunder von GOttes Lieb&#x2019; und</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">wei&#x017F;en Macht,</hi> </l><lb/>
                <l>Jn welchen &#x017F;ie doch gleich&#x017F;am &#x017F;chwimmen, recht unver-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nu&#x0364;nftig aus der Acht.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>GOtt hat uns auf die Welt ge&#x017F;etzt, um Seine Ehre zu</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">erheben,</hi> </l><lb/>
                <l>Er hat uns ungeza&#x0364;hltes Gutes, zur Lu&#x017F;t und zum Genuß,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">gegeben.</hi> </l><lb/>
                <l>Wir aber achten die&#x017F;es nichts. Der Gei&#x017F;t fliegt in die</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Ho&#x0364;h&#x2019;, wir &#x017F;chweben</hi> </l><lb/>
                <l>Aus un&#x017F;erm angewie&#x017F;&#x2019;nen Ort in einen andern, und ver-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ge&#x017F;&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
                <l>Jn un&#x017F;erm aufgebla&#x017F;&#x2019;nen Flug, des Scho&#x0364;pfers Ordnung</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">zu erme&#x017F;&#x017F;en,</hi> </l><lb/>
                <l>Die uns zur Richt&#x017F;chnur dienen &#x017F;ollte, und zwar, ohn&#x2019;</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Ausnahm, ganz allein.</hi> </l><lb/>
                <l>GOtt will uns hier auf Erden haben, wir wollen nicht</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">auf Erden &#x017F;eyn.</hi> </l><lb/>
                <l>Der Gei&#x017F;t ver&#x017F;chma&#x0364;ht das uns von GOtt allhier gego&#x0364;n-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nete Vergnu&#x0364;gen,</hi> </l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ucht, auf &#x017F;eine Wei&#x017F;&#x2019;, ihm Flu&#x0364;gel (ko&#x0364;nnt&#x2019; er) &#x017F;elb&#x017F;t</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">u&#x0364;ber GOtt zu fliegen.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <lg n="6">
                <l>Ach, mo&#x0364;gten wir doch un&#x017F;re Pflicht, und in der&#x017F;elben</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">GOttes Willen,</hi> </l><lb/>
                <l>Jm angewie&#x017F;&#x2019;nen Brauch des Gei&#x017F;tes, und nicht der Wi&#x017F;-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;ens-Sucht, erfu&#x0364;llen!</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Ach,</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[703/0721] Wider den Hochmuht. Geheimniſſe der Schrift zu faſſen, und ſelbe deutlich zu erklaͤren, Die doch, wenn ſie Erklaͤrung faͤhig, gar nicht Geheim- niſſe mehr waͤren. Jnzwiſchen laſſen ſie die Wunder von GOttes Lieb’ und weiſen Macht, Jn welchen ſie doch gleichſam ſchwimmen, recht unver- nuͤnftig aus der Acht. GOtt hat uns auf die Welt geſetzt, um Seine Ehre zu erheben, Er hat uns ungezaͤhltes Gutes, zur Luſt und zum Genuß, gegeben. Wir aber achten dieſes nichts. Der Geiſt fliegt in die Hoͤh’, wir ſchweben Aus unſerm angewieſ’nen Ort in einen andern, und ver- geſſen, Jn unſerm aufgeblaſ’nen Flug, des Schoͤpfers Ordnung zu ermeſſen, Die uns zur Richtſchnur dienen ſollte, und zwar, ohn’ Ausnahm, ganz allein. GOtt will uns hier auf Erden haben, wir wollen nicht auf Erden ſeyn. Der Geiſt verſchmaͤht das uns von GOtt allhier gegoͤn- nete Vergnuͤgen, Und ſucht, auf ſeine Weiſ’, ihm Fluͤgel (koͤnnt’ er) ſelbſt uͤber GOtt zu fliegen. Ach, moͤgten wir doch unſre Pflicht, und in derſelben GOttes Willen, Jm angewieſ’nen Brauch des Geiſtes, und nicht der Wiſ- ſens-Sucht, erfuͤllen! Ach,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/721
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/721>, abgerufen am 21.05.2024.